Mondkinder

Es gab nur wenige Dinge im Leben des Seekindes die es vermochten, mit ihrer Ruhe zu brechen. Die Anwesenheit der Clansschwester, schaffte derlei. Nicht nur ihr Anblick brachte Ashoka aus dem Gleichgewicht. Mehr noch war es die gefährliche Mischung dieser fernen, flüchtigen Schönheit die Aisawa besaß. Unverändert und zeitlos bot sich ihrem Blick das zerbrechliche Porzellangesicht der Frau, mit diesem zarten Lächeln auf blutroten Lippen. Es wirkte fern, der Welt entfremdet und Sphären zugetan, die den einfachen Verstand überstiegen. Sie präsentierte sich in einer Form, die alle im Hause gefürchtet hatten, denn sie fand den Weg kaum mehr ins hier und jetzt zurück. Nicht einmal mehr der blaue Blick gefrorener Bergseen, wusste seinen Fokus lange im hier und jetzt zu wahren und verlor sich viel zu schnell wieder in den Abgründen ihres Geistes und seiner grenzenlosen Ferne. Sie trug ihr Haar offen, lies zu, dass der Wind mit den seidigen Strähnen spielte und zum Tanz lockte, der ihrer Trägerin stets verwehrt blieb.
So sah Einsamkeit aus.
Das war der geistige Bruch und Verfall, den kein Geist erleiden sollte.
Das war das Ergebnis eines goldenen Käfigs und seiner Folter.
All das hätte ihre Bürde sein sollen.


Sie beiden schwiegen, standen einfach nur an der Klippe des Stausees, der einige hundert Schritt unter ihnen, nicht mehr als ein schwarzer Abgrund schien. Der Mond verwehrte in dieser Nacht sein weisendes Licht und brachte nicht mehr als eine kaum erkennbare Sichel an den Himmel. Auch die Sterne schienen unter der Müdigkeit ihres nächtlichen Hirten zu rasten, sodass nur wenige von ihnen matt glänzten.
Aisawa jedoch, strahlte ihr eigenes Licht aus. So flüchtig wie ein Irrlich, ätherisch und nicht greifbar, so dass man schnell dem Glauben erlag, neben einem Geist zu stehen.
Und die traurige Wahrheit? Wahrscheinlich war sie nicht einmal mehr das.


"Ich habe oft darüber sinniert, ob ein Fall aus dieser Höhe, die Gnade der Bewusstlosigkeit gewährt..." die leise Stimme des Blaublutes war nicht weniger zart wie ihre Erscheinung. Sanft, lieblich, schmeichelnd. Es gab Zeiten, da war sie zum Geschichten erzählen geschaffen, doch heute haftete ihr die bittere Note schwerer Melancholie an.
"Aisawa, nicht...." auch Ashokas Stimme war leise, wog gegen Kuraikos Stimmfarbe aber viel zu schwer. Rau im direkten Vergleich eines sensiblen Ohres, doch auf seine Art durchaus schmeichelnd, dank der vorhandenen Portion Lebendigkeit, die ihrer Clansschwester fehlte. Nur langsam drehte sie ihr das Haupt zu, wobei das Lächeln auf den gefärbten Lippen an Kraft gewann und doch in der Ferne blieb.
"Ich springe nicht, keine Sorge. Grenth will mich nicht." Ein leises Seufzen entrang sich der Kehle, dann sanken die Lider und verbargen den eisigen Ton ihrer Augen.


Das erste mal in ihrem Leben, fühlte Ashoka sich dem Oberhaupt des Hauses ebenbürtig und das machte ihr Angst. So sollte es nicht sein, so war es falsch und der Ärger darüber, festigte den Griff am Erbschwert an ihrer Seite. Die Rollen waren stets klar verteilt gewesen : Aisawa war Geist und Verstand, Ashoka eine der zahlreichen Klingen. Jetzt jedoch, wo der Kopf der Schlange gebrochen sank, blutete ihr das Herz. Sie hatten sich nie wirklich nahe gestanden, noch viel Zeit miteinander verbracht- immerhin hatte Ash dieses Privileg nicht zugestanden, doch an Achtung hatte es ihr nie gefehlt. Sie hatte Aisawa nie in Frage gestellt oder angezweifelt, doch das System, das aus einer Visionärin und Liebhaberin des Lebens einen solchen Schatten formte, dass war es Wert angeprangert zu werden.


"Du soltest nicht hier sein Aiko....nicht hier." Sprach sie leise, als flüstere sie einem Kinde von Sicherheit und Obhut. Nur kurz war da ein kleiner Funken Leben im Blick, ein Flehen, die Sehnsucht- dann verlor sich alles wieder hinter dem Eis ihres Blickes.
"Das solltest du auch nicht, Mandiri. Du solltest auf dem Meer sein und mit ihm singen. Mit den Wellen tanzen und den Sturm beschwören. Dich in ihm verlieren und ein jedes mal neu geboren aus ihm treten. Ach, Ashoka...wie dein Name dir nicht gerecht wird. Keiner von ihnen." Missfallen schlich sich in die Sirenenstimme, ohne das sich an Aikos Miene etwas regte. Nur die kleine Hand, noch immer schmucklos, die hob sie höher und an die Wange der ihr doch Fremden. Zärtlichkeit und Schutz wehte mit der Geste und war doch nicht stark genug, um es versprechen zu können. "Du könntest dort draussen sein und dem Ruf folgen, dem sich der Clan viel zu lange entzieht, obwohl dazu bestimmt. Warum stellst auch du dich taub Ashoka? Warum muss ich um die letzte Hoffnung weinen?"
"Das könnte ich, ja. Aber ohne meine Familie, schmeckt die See nur halb so süß."
"Sie werden nicht aufs Meer ziehen."
"Ich rede auch nicht vom Clan, Aisawa." Aiko stockte, schrägte den Kopf in ähnlicher Manier ihrer Schwester zur See, wenngleich auch deutlich weicher in seiner Form. Es brauchte einige Momente, bis sie endlich verstand, was die Ältere meinte und so verblasste das ferne Lächeln das erste mal, seit Ashoka das Oberhaupt kannte.
"Du liebst ihn.'
"Wie einen Bruder."
"Mehr als uns."
"Gewiss. Und ich würde sein Leben jederzeit vor meines stellen."
"Und meines Ashoka? Was ist mit meinem?"
"Die Antwort kennst du."
Sie nickte, bemüht darum, die ehrliche Bestürzung nicht zu zeigen, oder den Schmerz über den Verlust einer Person, die nie wirklich zu ihr gehörte.
"Es tut mir leid Ashoka. Wäre diese Welt gerechter, dann..."
"Es braucht dir nicht leid tun. Nichts davon. Dich trifft keine Schuld, noch sehe ich sie. Ohne all das...wäre ich nie bei ihnen gewesen. Hätte nie gelernt und erlebt. Erkundet und verstanden. Geliebt und verloren. All das wünsche ich auch dir vom Herzen, damit deines wieder schlägt ." Mit den Worten fingen die rauen Kriegerfinger die Träne auf der Porzellanhaut auf und spendeten einen Moment Zuversicht und Wärme, bevor das Seekind sich zurück zog. Die Hände vor der Brust aneinander gelegt, neigte sie tief das Haupt, sparte jedoch an Worten. Nur der Blick aus dem nicht verhüllten Mandelauge ruhte noch einige Herzschläge auf der Clansschwester, dann zog sie sich in die Nacht zurück und lies den Geist zurück, der so verloren und allein, wieder die Zuflucht in der Ferne suchte...~

Kommentare 4

  • Vielen Dank für das Feedback!
    Es freut mich sehr und erleichtert ebenso, dass die Geschichte das Gefühl vermittelt, dass so stark in den Chars verwurzelt ist.
    schön zu hören, vielen,vielen Dank! <3

  • Wow. Ehrlich.


    Ich kann mich richtig reinfühlen.


    Gefällt mir richtig gut.

  • Schöne Beschreibungen hast du hier gefunden. Bin diesen Wortspielen sehr zugetan.

  • Eine Geschichte die das Herz berührt. Wunderschön. Bildlich. Greifbar.


    Ganz groß, Maho. Mehr davon!