Schönheit

~Was ist Schönheit?
Eine Abhandlung von


Seit nunmehr zwei Stunden hatte sie nicht mehr aufs Papier bekommen, sah man einmal von einer Reihe kleiner Farbkleckse darauf ab, die der stete Takt mit der die Stiftspitze darauf stupste , dort hinterlassen hatte. Tok....tok...tok...immer und immer wieder, während der müde Blick über die wenigen Worte strich und die Muse zu einem fangenden Text suchte. Verse, die man gerne las, die den Interessierten bewegten und zum nachdenken anregten und vor allem ihre Sicht der Dinge wiederspiegelte. Doch wie, wenn im Kopf zu diesem einen Wort, nur gähnende Leere herrschte?


Nur langsam erhob Leza sich und schob die Finger über den Nasenrücken hoch zur Wurzel und begann sie zu massieren, was die schmale Brille dort in kritische Schräglage versetzte. Das Gestell saß auch noch schief auf der Nase, als die Finger längst verschwunden waren und der dunkle Blick langsam zum Bett wanderte. Sie sollte schlafen, dass wäre gesund und ihr Körper würde es ihr danken, andererseits war sie ja doch schon ein verdammtes Wrack und im Bett, zwischen allerlei Kleidern, Stofftieren, Büchern und einem Kind das alle viere von sich gestreckt hatte, war ja doch kein Platz mehr für sie selbst. Also marschierte sie zur chaotischen Schlafstätte und deckte das junge Mädchen darin zu, dass das schönste Lächeln trotz enstellter Züge zeigte- denn sie vertraute blind, konnte am besten schlafen, wenn das reiche rascheln umgeschlagener Bücherseiten den jungen Geist in den Schlaf trug, oder das kratzen einer altmodischen Schreibfeder auf Papier. Das Mädchen kannte all die kleinen Marotten ihrer Gönnerin und Adoptivmutter, die anfangs so seltsam erschienen und heute das einfache Heim und ein Zuhause versprachen.
Leza lächelte bei den Gedanken, die die meisten dort draussen ihr nicht einmal zutrauten. Dort war sie nur die dürre Hexe und Exzentrikerin, die den hübschen Maiden ihres Ordens ein Schandfleck war.
Weil sie doch gar nichts anderes sein wollte, denn auch ihresgleichen brauchte manches mal einen Spiegel, damit sie vom Alltagsgeseiere locker ließen und daran erinnert wurden, was die alten Schriften lehrten. Eigentlich erschlug es die Leute förmlich, sprang aus dem Text direkt ins Gesicht und doch- sie ließen sich immer wieder täuschen von hübschen Gesichtern und fahlen Kurven, die vom essentiellen ablenkten und alles verzerrten.


Vorsichtig sank sie neben Annemarie auf die Bettkante und ignorierte das leidige Knarzen des Holzes, dass nach Ölung schrie, während sie das Gesicht des Mädchens betrachtete. Früher war sie so ein hübsches Mädchen, hätte wohl irgendwann ein Elfengesicht gehabt, dass die meisten Knaben um den Verstand brachte- doch heute war ein guter Teil des Kindsgesichtes verzerrt und entstellt, als Erinnerung an ihren Unfall. Es hatte das junge Ding soviele Tränen und Unverständnis gekostet, soviel getobe und Wut, bis sie wieder zum ersten Lächeln gefunden hatte. Anfangs war es so scheu und zart, drohte sich unter jeder falschen Reaktion ihres Gegenübers wieder aufzulösen, doch Annemarie hatte wacker um ihr Lachen gekämpft und wusste heute damit einen Raum auf so herzliche Art zu füllen, dass es jeden Makel ihres Antlitz überschattete.
"Du bist Schönheit..." flüsterte die Ältere leise und strich dem Kinde eine Locke aus der Stirn. Anne seufzte leise im Schlaf, murmelte etwas unverständliches und gluckste daraufhin leise, im Amüsement über ein Geschehen in ihrem Traum. Leza vergewisserte sich, dass ihr Mädchen auch wirklich schlief und beugte sich hinab, um einen Kuss auf ihre Stirn zu bringen. "Hör niemals auf zu Lachen, kleine Anne. Schenk es uns weiter in diesen Zeiten, denn es ist das schönste was ich jemals hörte. Träume reich, träume gut und erzähl mir morgen früh, wie Lyssa dir dieses mal in deiner Welt begegnete." Noch ein kleiner Kuss folgte den Worten, dann erhob sie sich wieder und trat zurück an den alten, maroden Schreibtisch, der nicht weniger zärtlich von den Fingerspitzen befühlt wurde."so mein alter Freund...dann wollen wir mal wieder."
Und kaum das sie saß, strich sie die ersten Worte durch, um neu zu beginnen:



~Die Schönheit kleiner Gesten.
Leza Taariq~