In der Sackgasse.

„Bin ich zu spät?“ Eider wusste, dass er es war, aber auch, dass er einen guten Grund hatte.
„Eider, mein Junge! Und wie du zu spät bist, was hast du getrieben, wo hast du wieder gesteckt. Wie heißt sie diesmal? Komm, komm setz dich. Hier.“ Da saßen noch andere am Tisch, die er im Halbdunkel nicht erkennen konnte, aber der Mann der ihm so fragend antwortete, und sich als einziger von seinem Platz erhob um ihm vom nächstgelegenen Tisch einen Stuhl heran zu ziehen, war Rupert Balder, sein Freund, Partner und Mentor, ein Feldwebel der Seraphen a.D., der früher einmal einen gefürchteten Ruf genossen hatte. Das war lange her und aus dem Kasten von einem Mann hatten die Jahre und ein kaputtes Bein einen rechten Fettsack gemacht, doch nur Narren und solche die ihn nicht kannten, würden ihn je unterschätzen, wie Eider recht früh hatte lernen müssen. Denn wer einmal in die kleinen, von Falten bekränzten Augen blicken musste, die da unter buschigen Brauen tief in ihren Höhlen lagen und wer über die Täuschung des grobschlächtigen Gesichtes mit dem breiten Mund hinweg zu sehen vermochte, der erkannte, einen wachen Geist, von Jahren der Erfahrung geschärft und nicht etwa stumpf geschlagen. Den Mächtigen ans Bein zu pissen war ihm Leidenschaft und Beruf zugleich geworden, obwohl er eigentlich in Ruhe seinen Lebensabend verbringen sollte. Doch wenn man gewisse Dinge gesehen hatte, konnte man sie nicht einfach ungesehen machen. Auch EIder wusste das. Wahrscheinlich wussten es alle hier am Tisch.
„Rupert, altes Haus, tut mir Leid, ich hab den falschen Weg genommen und hatte Scheiße am Schuh“, erwiderte Eider bei einer kameradschaftlichen Umarmung.
„Er hatte was?“ Außer Rupert saßen noch zwei weitere an gemeinsamen Ecktisch, die er jetzt, da er näher getreten war besser erkennen konnte. Die eine war eine Blonde mit kurzem Haar in hochgeschlossenem Leder, grob 30 Sommer alt wenn Eider schätzen sollte, die Pfeife rauchte und ihrem Blick nach recht humorlos wirkte. Der Andere aber war ein etwas zerbrechlich erscheinender Mann mit spitzer Nase und hohen Wangenknochen, der weder mit seinem fein geistigen Gebaren noch mit der maßgeschneiderten Kleidung hierher passen wollte. Eider schätzte ihn auf vielleicht 45 und als er sich gerade fragen wollte, wie so jemand es unbehelligt in die Sackgasse geschafft haben mochte, erkannte er die kleine Brosche an seinem Revers. Ein Mann des Zirkels also. Und jener war es auch gewesen, der just das Wort und auch die Brauen erhoben hatte.
„Beruhige dich, Gunther, das war eine Botschaft. Kein Grund deine feine Nase gefährdet zu sehen.“
„Also bitte, wenn es nur um meine Nase ginge, Rupert, hätte ich kaum diesem Treffen hier zugestimmt, geschweige denn mich neben dich gesetzt“, erwiderte dieser scharfzüngig, und Eider fiel im Lachen in das alle mit einstimmten, auf, dass der Mann sein Bier nicht angerührt hatte.
„Aber du wirst verstehen, Rupert, dass nicht jeder deine Sorglosigkeit teilt.“
„Er wurde verfolgt, ist seine Verehrer aber losgeworden“, erhob jetzt die Frau das Wort und ihre Stimme war wie erwartet herb, aber weicher als Eider es angenommen hatte. Irgendwie wärmer als erwartet, weniger kalt. Und wenn er sie gerade noch für humorlos gehalten hatte, dann hielt er sie jetzt für zynisch. Dabei hob sie den Kopf wie ein Vogel und blickte Eider durchaus fordernd ins Gesicht. „Bah, klar hab ich sie abgehängt. Das waren bloß ein paar Strauchdiebe. Ehrlich gesagt, kein Grund zur Sorge. Wollen wir? Warum dieses Treffen?“ Eider gefielen ihre Augen, mehr noch aber die Süffisanz in ihrem Blick und überheblich wie er war ließ er sich auf den Stuhl fallen, der ihm wie so oft zu klein war. Der als Gunter vorgestellte Mann aber zuckte mit den Schultern und schien fürs erste zufrieden. Er lehnte sich zurück, bis ihm wohl klar wurde, dass er sich hier eigentlich nirgendwo anlehnen wollte.
„Natürlich hat er das. Natürlich hast du. Bitte, Gunter, mach dir keine Sorgen, ohne Vorsicht könnten wir uns längst ein eigenes Grab schaufeln. Es ist aber auch so, dass ein alter Seraph hin und wieder seine Freude braucht. Und dazu gehört es immer mal wieder jemandem ans Bein zu pissen. Ganz egal, ob es nun die werten Iorgas, das feine Ministeriums, die Brüder O'Malley oder auch 'bloß' ein adliger Laffe ist“, griff Rupert, dessen fetter Wanst gerade erst zu beben aufgehört hatte das Wort dröhnend auf, wobei er kraftvoll mit seinem dicken Zeigefinger gestikulierte und räusperte dann sich ungewöhnlich ernst.
„Also. Wir sind vollständig, wir können. Freunde, das Thema ist heikel und ernst. Ich stelle euch vor. Der Bengel hier ist Eider Berson, der Sohn meines lieben Partners Anders Berson, die Götter haben ihn selig, und so etwas wie meine Rechte Hand in unserem schweren Geschäft. Auch wenn es wohl noch Jahre dauern wird bis er alle Flausen verloren hat.“
So sprach er öfter mal und Eider wusste, dass es für Rupert keinen Unterschied machte ob sie wie jetzt 25 Sommer beziehungsweise fast 60 zählten, oder ob er selbst rüstige fünfzig war und von Rupert noch auf der Bahre getadelt werden würde - „Wohl mehr deine ausführende Hand, weil du dich nicht bewegen willst“, meinte prompt die Frau mit bissigem Witz von der Sorte die man entweder unter Freunden benutzt, oder um jemanden zu beleidigen.
„Haha, sehr witzig, Mädchen. Du kannst froh sein, dass deine Mutter, die Götter haben sie selig, nicht mehr hören muss, wie ungnädig du geworden bist. Sie würde die Hände über dem Kopf zusammen schlagen und Tag und Nacht um einen Schwiegersohn beten.“ „Du bist ein Arsch, Rupert“, war alles was sie dazu sagte, und der nickte bedächtig, vielleicht sogar zustimmend und fuhr fort. „Weißt du bescheid. Na, wie auch immer. Eider, die Stutenbissige ist Morena Gaccarin, ihr kennt euch glaub ich von früher. Sie befasst sich vornehmlich mit Entführungen. Geht den Seraphen zur Hand, oder ermittelt auf eigene Faust.“
„Mit Verschwundenen, Rupert. Da liegt ein kleiner, aber feiner Unterschied“, ergänzte die, ungleich weicher jetzt, und erhob sich, um Eider die freie Rechte zu reichen. An beiden Händen trug sie Handschuhe. „Zumindest flüchtig kennen wir uns. Sehr erfreut.“
„Tun wir? Ich weiß nicht so recht. Wann soll das gewesen sein?“ Ihr Händedruck war kräftig und Eider ahnungslos.
„Vor fast sieben Jahren.“
„Sieben Jahren... . Ah, Moment, halt. Das blonde Mädchen, nicht wahr?“ Es hätte ihm auffallen müssen. Natürlich hätte es das. Damals hatte sie die Haare lang getragen und auch sonst viel lebensfroher gewirkt. Vielleicht machte das die Arbeit mit einem. Das blonde Mädchen war keine Geschichte mit glücklichem Ausgang gewesen. Er wusste nicht ob es überhaupt einen glücklichen Ausgang gab, bei ihrem Tun.
„Magda Schneider, genau. Ist lange her.“ Sie zuckte herb mit den Schultern, nahm einen Zug von der Pfeife und lehnte sich zurück, das Gesicht einen Moment lang in Dunkel und Schweigen gehüllt.
„Ich habe sie nicht vergessen, auch wenn es grad den Anschein macht“, brachte Eider hervor, und nahm Rupert die Vorstellung des Mannes aus der Hand, indem er diesem kurzerhand die Seine anbot. „Eider Berson. Ihr seid von der Bruderschaft von Turwald, wenn ich richtig hingesehen habe.“ - „Dr. Gunther Morgentau, genau.“, stellte sich dieser vor, und sein Händedruck war fein wie seine Erscheinung. „Es freut mich, um jedes Bisschen Auffassungsgabe, dass wir an unserem Tisch versammeln. Wir werden es brauchen. Bitte Rupert, fahre fort. Ich nehme noch das besondere Odor dieses Ortes an.“
Eider zog die Brauen kraus. „Werden wir? Dann danke ich Kormir dafür.“ Und auch er sah erwartungsvoll zu Rupert herüber.
„Eider, Junge, Morena hat mir schlechte Kunde gebracht, und wenn stimmt, was Gunther dazu sagt, kann ich nur hoffen, dass meine Kontakte und das Wort der Tulwald Gesellschaft etwas wert sind. Nur so viel, wir werden ihr helfen. Ich weiß, dass wir abgemacht haben so etwas gemeinsam zu beschließen, aber, bitte, vergib mir, dass ich dich in dieser Sache übergangen habe. Ich verwette mein gesundes Bein darauf, dass du mir zustimmen wirst. Also, Junge... wir jagen ein Monster.“
Und auch wenn es ihm komisch vor kam, dass Rupert die Absprache, die sie getroffen hatten, jetzt gebrochen hatte, wusste er doch, dass er es niemals ohne guten Grund getan hätte. Und was er dann hörte, ließ ihn erst genauer hinhören und ihm dann das Blut in den Adern gefrieren. Sie jagten in der Tat ein Monster.

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