Maskerade II

Adel verpflichtet. Ein Satz derer sich viele bedienten, wenn es darum ging dem Adel etwas abzupressen, ihn in die Pflicht zu nehmen, um die eigenen Bedürfnisse erfüllt zu sehen ohne selbst in die Bredouille zu kommen dankbar zu sein. Denn warum sollte man dankbar sein, wenn der Gegenüber lediglich der Verpflichtung seines angeborenen Standes nachging? Immerhin erhielt er bereits Privilegien dafür, nicht wahr? Kretins, allesamt. Die Verpflichtungen des blauen Blutes waren mannigfaltig und reich gesät, oftmals nicht als solche zu erkennen. Weshalb sonst also fuhr seine gemietete Kutsche, denn seine eigene hätte den Sinn des Festes verraten, an jenem Vorstadtsanwesen vor, welches die Einladung in der Frakinnentasche beschrieb.


Noch in der Kutsche wanderte die dunkelblaue Maske mit den güldenen Verzierungen an ihren angestammten Platz. Nicht das man ihn auf wundersame Weise jetzt nicht mehr erkennen würde, waren doch seine Aufmachung und, allem voran, die stechend-grauen Augen sowie das lange, hellblonde Haar ein klares Indiz dafür, wer sich hinter der Maske verbarg. Nicht nur ihm ging es so, denn wenn man einen Namen hatte in der ewig gleichbleibenden und sich doch stetig wandelnden Stadt, bedurfte es weit mehr als schmückendes Zierwerk im Gesicht, um sich Unerkannt bewegen zu können. Doch auch das würde den Geist, das zu Grunde liegende Prinzip der Feierlichkeit zunichtemachen, immerhin war gesehen zu werden bereits ein Teil der Pflichterfüllung seines Standes, trug es einen kleinen Teil zum eigenen Gravitas bei.


Das Anwesen, welches umrahmt wurde von einem weitläufigen Garten, abgegrenzt durch einen Zaun sowie einer wohl getrimmten Hecke, war der Inbegriff des Wandels von Tradition und der einhergehenden Reputation zu dem Unsinn von dem flatterhaften Verständnis von modischen Erscheinungen, die schneller einen gesellschaftlichen Tod starben, als dass der Tageslauf hätte mithalten können. Aus dunkelgrauem Stein gemauert und mit weißem Holz für Fenster und Türen versehen war es sicherlich für den Einen oder Anderen Neuzugang ein wahres Wunderwerk. Er jedoch empfand nur aufkeimende Abneigung, wohl verborgen hinter dem trügerischen Schein eines aufgehenden Lächelns. Lediglich das Meer aus farbenprächtigen Blüten gewannen einen zweiten und auch einen dritten Blick, war es ihm oftmals möglich aus den Pflanzen etwas über einen bisher weites gehenden Unbekannten Gastgeber mehr zu erfahren. War er vermögend? Oder war alles nur Trug und Schein, Schall und Rauch? War er bewandert in den Feinheiten der Sprache dieser stummen Geschöpfe und verstand diese gewissenhaft einzustreuen in dieser Vielfalt? Wenige Seinesgleichen verstanden sich noch auf solche Details. Es war eine aussterbende Kunst.


Gänzlich unwissend schien der Gastgeber dennoch nicht zu sein, brachte der heraneilende Page ihm ein Glas blutroten Inhalts, der, wie ein probierendes Nippen ihm bewies, lieblich war. Ja, man gab vor sich an diesem Abend unter Unbekannten zu befinden, unter Fremden, die in einen elitären Klub gehörten zu welchem der Zugang fast allen auf Ewig versperrt blieb. Und doch kannte jeder jeden, wusste bei welchen maskierten Damen und Herren man vorstellig werden musste, so man sie nicht brüskieren wollte – ob gewollt oder nicht spielte dabei keine Rolle. Deshalb dauerte es auch nicht lange, dass der hochgewachsene Mann, gehüllt in dunklem Blau, mattem Gold und kräftigem Weiß sich auf den Weg machte jene aufzusuchen, die mit ihm auf derselben Stufe oder gar über ihm standen. Zweitere gab es nur noch wenige für ihn, doch wollten sie sich geehrt wissen, erkannt und geschmeichelt, die Macht spüren, die sie über jene hatten, deren Zeit noch nicht gekommen war und vielleicht nie kommen würde. Harmloses Geplänkel, höfliche Floskeln und seichte Kommentare wurden ausgetauscht, auf den ersten Blick nichts weiter, als verschwenderischer Umgang von Zeit und Nerven. Ein jedes Wort jedoch war umsichtig bemessen, abgewogen in seiner Kraft, seiner Platzierung und Bedeutung. Jedes Gespräch war ein Schachspiel mit einem Meister seines Fachs, das leicht den Untergang des eigenen Namens und Hauses bedeuten könnte, so, wie ein sanfter Flügelschlag eines Schmetterlings einen wahren Sturm lostreten konnte. Paradox und zugleich einer verständlichen Logik unterliegend.


Auf dem Weg um sich ein weiteres Glas zu gönnen, begegnete er ihr. Dunkelviolette Seide umschmiegte ihren Körper in gewagten Schnitten, zeigte viel von der sonst so sorgsam versteckten Haut, und war mit kleinen, glitzernden Steinchen auf dem Taft verziert. Über dem Dekolleté geschickt einen Blickfang platziert in Form einer mondänen Brosche, untermalt von dem mit Silberfäden durchzogenen Band, welches sich einmal um ihre Taille schling. Aber was diese Frau für ihn zu Jemanden machte, den er kannte, ja, zu Jemanden, den er so kannte als sei es sein eigenes Blut, waren die dunklen, türkisblauen Iriden, die aus den Sehschlitzen, umringt von Gold, Silber und edlen Steinchen, hervor stachen. Hier benötigte es kein Gespräch, keinen rhetorischen Schlagabtausch, sondern lediglich ein anerkennendes Nicken, hatte er sich doch bereits in sanfter Sorge gewiegt, ob ihrer Freundin. Unbegründet, wenn auch nur teilweise, wie es nun schien.


Nichtsdestoweniger konnte er seine Aufmerksamkeit nur schwerlich von ihr nehmen, selbst als er nun seinerseits von Männern und Frauen gleichermaßen aufgesucht und umringt wurde. Ein Glück für ihn also, dass er schon früh gelernt hatte nicht nur eine Maske zu tragen, sondern auch wie ein aufgezogenes Uhrwerk in jeglicher Situation zu funktionieren, sich gemessen der Etikette zu verhalten und innerhalb der Grenzen zu bewegen, welche ihm von seiner Reputation auferlegt worden sind. So ruhten das gräuliche Augenmerk auf seiner Auserkorenen, gekonnt überspielt in einer leicht verdaulichen Gesellschaft, gewürzt durch wohlplatzierte Spitzen, als sich die verschiedenen Parteien sich ihm anbiederten. Zugegeben, er hätte mehr dem Gespräch folgen müssen aber gleichzeitig war er dafür bekannt oftmals mit seinem Standesdünkel über die Strenge zu schlagen. Nicht, dass es ihn viel Mühe gekostet hat diesen Ruf zu verdienen, ebenso wenig, wie den eines Spielers. Hier und jetzt aber galt sein Interesse ihr; Ihrem Gebaren, ihren Schritte und auch ihrem feurigen Tanz, sog jedes Detail mit seinem Blick auf und verzog gar die Lippen zu einem der seltenen Lächeln, zu denen er durchaus fähig war – entgegen der kursierenden Gerüchte.


Es war wenig verwunderlich, dass sie ihn schließlich ertappte, hatte er sich keine Mühe gegeben den Umstand zu verbergen, dass er sie beobachtete und beobachtet hatte. Auch war ihre Einladung etwas, dass er zum einen zwar auch erwartet aber vorrangig erhofft hatte. Einige Augenblicke später entschuldigte er sich mit einer knappen Geste, welche gemeinhin schon fast an das Unhöfliche grenzte, und nahm zwei Gläser Rotweins vom Tablett eines passierenden Pagen. Ja, der Adel hatte seine Pflichten, die in vielen Variationen, Farben und Kombinationen daherkamen. Aber diese Einladung war keine davon.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)

Kommentare 4

  • Danke für das Lob von euch beiden. <verneig>


    Ja, Richard ist mir ein sehr lieber Charakter, gerade wegen den vielen Ecken und Kanten an denen man sich bei ihm stoßen kann. Daher ist ein Lob in dieser Form mir sehr viel Wert, Gwennis :)


    Guffel; <3

  • Sehr eloquent geschrieben.


    Ich finde es witzig, dass du die Geschichte von damals nun quasi "schließt" bzw abrundest.

  • Das ist soooo "Richard von Hohenheim."


    Deine Darstellung eines ascalonischen Adligen ist durch und durch perfekt.
    Ich glaube, dass ist die erste Geschichte, die ich von dir über Richard und nicht über einen Soldaten lese :). Ich finde den Charakter gang ganz toll.


    Und abgesehen von deinem Richard ist dein persönlicher Schreibstil richtig gut.

  • :love: Mehr muss ich dazu nicht sagen. <3