Labyrinth

Stille.
Sie war das Fundament und der Grundstein, die Mitte des Netzes, dass alles hielt. Wurde sie auch sonst vermieden, barg dieser Ort nichts anderes. Hoch oben, auf der Spitze des Berges, dessen Grund von seichten Nebelschwaden verborgen blieb, war die Unendlichkeit ein Versprechen.
Hier stand die Zeit still und wo in der Ferne an den reich bewachsenen Bergwänden, die tückischen Winde durchs Grün der Pflanzen fegten, blieb dieser eine Ort, völlig unberührt von der Laune der Natur.


Diffuses Licht tanzte mit den Schatten, den Bäume und Brunnen warfen, ohne je die Quelle einer Sonne gekannt zu haben. Hoch oben am Himmelszelt, dort thronte sie neben dem Mond, verwoben und verwaschen die Tageszeiten, die nicht mehr als erdrückendes Zwielicht schufen. In ihm schimmerten die Sterne so zahlreich und doch wirkten sie trostlos, wo ihnen die absolute Finsternis einer klaren Nacht fehlte, in denen sie dem Blick zum Gefallen strahlen durften.


Diese Welt barg soviele Fehler und doch- für diesen einen Geist der sie geschaffen hatte, gab es kaum eine perfektere. Jener Geist , der sich zum Gott erhoben hatte und unter der Last zerbrochen war, gekettet in Moral und Wertvorstellungen von Menschen, die niemals begriffen hatten- und es auch nie würden. Dieser eine Geist, er hatte sich eine Zuflucht geschaffen vor der Trostlosigkeit blinder Seelen, die mit jedem Atemzug mehr ihres Wesens verloren. Seelen, die so hohes anstrebten und doch nicht im Stande waren es zu erreichen, weil es für sie das greifen nach den Sternen bedeutete. Sie scheiterten am Weg, ohne zu erkennen, dass genau dieser das Ziel war.


Auch dieser Geist war am Weg gescheitert und gestand sich das ein, während die leichtfüßigen Schritte sie an den Stämmen der Bäume vorbei führten, die wie starre Wächter den kleinen Hain umsäumten und schützten. Das Gras das satt und Grün einst alles geprägt hatte, schlief unter der weit ausgebreiteten Schneedecke, über die sich nackte Füße stahlen, ohne einzusinken. Kein Abdruck sollte im kalten Teppich bleiben, der die empfindsamen Sinne umso mehr mit seiner Kühle streichelte. Das einzige Eingeständnis an die Realität, die hier sonst keine Kraft besaß.
Nachdenklich wanderte der Blick über die Stämme, von denen keiner dem andren glich. Es fing bei der natürlichen Maserung der Rinden an und fand seinen Höhepunkt in den groben Konturen humanoider Gestalten, die ihnen über Jahre entwachsen wollten. Für diesen einen Geist, waren sie alle vertraut, geliebt- verhasst. Die Gefühle waren so reich, dass sie zur Ehrung ihren Platz in der Galerie stiller Baumgeister gefunden hatten, um der Ewigkeit eines doch so flüchtigen Ortes entgegen zu sehen und der Schafferin stets ein Mahnmal zu sein.


Als sie begonnen hatte dieser Kunst zu fröhnen und einen Weg zu beschreiten, den nur wenige Geister heile überstanden ...welch fröhlicher Ort war ihr Hain gewesen. Die kleinen Brunnen, geboren aus natürlichen Fels im Herzen der Lichtung, sie hat sie mir leisem plätschern begrüßt. Der Wind sang zarte Arien in Baumkronen und tanzte mit seinen Blättern und auch ihr eigenes Wort war sie noch im Stande gewesen hier zu hören. Doch heute, Jahrzehnte später, waren selbst die mahnende Worte des Meisters der Stille anheim gefallen und von ihr verschluckt worden. Vergessen hatte sich hinein geschlichen und vergiftete mehr und mehr. Anfangs hatte sie es nicht fassen können, doch je weniger Zeit sie hier verbrachte, umso bewusster wurde es ihr. Wo die Realität, die wahre Welt sie wieder gelockt hatte, zahlte sie viel zu teuer und zu viel.


Nur langsam wand sie sich von den Bäumen ab und schritt zu dem blutenden Thron, der sich grotesk aus der Idylle erhob und sie verspottete. Einst helles Gestein, war fleckig vom Feuer und dem Blut das auf ihn getrocknet war. Auf ihm- dort saß 'er'. Nemesis und Idol, Gott und Dämon, in einer allzu fragilen Hülle manifestiert. Schmerzlich menschlich, dass war der Eine, dessen Geist die Tücken des Labyrinths herausgefordert hatten und sich darin verloren. Die Züge von einer Maske verborgen, blieb die Mimik das ewige Geheimnis für sie. Einzig die Augen, die kannte sie. Den stillen Spott und Wahn, im Tanz mit seltenen, klaren Momenten. In ihnen sah sie den Schmerz den er offenbarte, war man nur im Stande, genau hin zu sehen.
Er war wie sie, nur das er den einen Schritt über Grenzen gewagt hatte, um der vergifteten Welt dort draussen mit der Fackel entgegen zu treten, damit sie brennen möge. Damit man sie reinigte und ihrer Schwäche beraubte, wegen derer die Götter sich abgewandt hatten von ihren eigenen Kindern.
Und obwohl er ihr dort draussen soviel böses wollte, wo er auch sie als Gift empfand - zurecht- so empfand sie keinen Hass für ihn. Keine Wut und kein Schmerz färbten mehr die Verluste die er gebracht hatte, denn sie verstand ihn, viel zu gut.


Von Demut ergriffen sank sie tiefer, zu Füßen des Geistes, der auch sie brennen sehen wollte. Dort, unter seinem wissenden Blick, legte sie sich nieder und betrachtete von Podest seines Spottthrones ihre kleine, perfekte Welt.
Und sie lächelte, weil er sie um diese Welt beneiden würde und niemals mehr im Stande war sie anzuzünden, wo hinter ihm die alte Mutter Weide wuchs und ihren Schatten immer mehr auf den den Meisterthron warf.
Jene Weide, in deren fallenden Geäst ein manches Geheimnis begonnen hatte und andere- wie ihr Idol- allmählich der Vergessenheit anheim fallen sollten.