Rickon - Bruder

Rickon war schon wütend, als er ihn kommen sah. Dabei hatte er sich noch nicht mal vorgestellt.
Doch anhand seiner Fellfarbe und Miene wusste er sofort, wer er war.
Er blieb vor Rickons Lager neben dem Baum stehen, verschränkte die Arme. Der Fremde trug nur seine Hose und Stiefel. Scheinbar musste er den Rest ablegen um keine Waffen oder ähnliches mitzunehmen.
„Sieg, Soldat.“ Lies er mit einem Brummen vernehmen. Immerhin klang seine Stimme nicht so abartig schnarrend. Rickon erhob sich, stellte sich gerade hin und trat einen Schritt aus seinem Lager heraus.
„Mit den Schatten. Wer bist du? Was willst du?“ Er wusste sehr wohl, wer er war. Warum er hier war. Schließlich hatte sein Legionär ihn vorgewarnt. Doch er hielt es für klug, erstmal den Ahnungslosen zu spielen.
„Caranthir Himmelsschlund. Soldat der Blut Legion. Dein Legionär hat erlaubt, dass ich mit dir reden darf. In einer bestimmten Sache.“
Rickons Blick huschte kurz auf die Mauer vor Nolan. Er sah, wie Van Schattenspäher sich dort positionierte. Gleichgültig sah er den Blutler wieder an.
„Was für eine bestimmte Sache?“ Rickon verschränkte die Arme um ein kurzes Zittern seiner Pranken zu verschleiern. Seine blauen Augen hefteten sich nun fest auf die dunkel-orangenen des Blutlers.
„Du… hast vor einiger Zeit einen Flammler getötet. Ungefähr so groß wie ich. Gelbe Augen...“
„Und mit einer scheiß Aussprache, ja“ fiel ihm Rickon ins Wort und schnaufte einmal lange aus. Caranthir verzog kurz die Augenbrauen, ein Maulwinkel zuckte und spannte kurz die schwarzen Lefzen über die recht imposanten Zähne, welche nie unter diesen verschwanden.
„Richtig. Du weißt also, um wen es geht.“ Man hörte, dass der Blutler sich beherrschte. Rickon entging nicht die kurze Muskelkontraktion in seinen Oberarmen.
Es trat kurz Stille ein. Schließlich löste Rickon die Verschränkung seiner Arme.
„Dieser Typ war ein dummer verflammter Mistkerl. Hast du verstanden? Er wollte mich töten…wegen einer Entscheidung, die ich getroffen habe. Dafür war ihm jedes Mittel recht, um an mich heran zu kommen. Er war ein skrupelloses Arschloch.“ Zischte er. An seiner aufrechten kühnen Haltung änderte er nichts.
Caranthir hingegen blinzelte kurz, brummte und wendete den Blick leicht ab.
„So war er nicht immer. Ich weiß das. Aber trotzdem…“
„Trotzdem was? Findest du gut, was er getan hat? Warum interessiert dich das überhaupt?“
Der Gegenüber schnaubte einmal.
„Mich interessiert, was mit ihm passiert ist. Zuletzt. Ich entschuldige mich nicht für sein Verhalten, ich will es einfach nur wissen.“ Er sprach etwas langsamer und schaute Rickon schließlich wieder an. Dieser antwortete erst nach ein paar Atemzügen.
„Er wollte mich auf meinem Posten angreifen. Zum Glück kam Schattenspäher dazu, sonst hätte dieser Idiot sein verflammtes Vorhaben durchgesetzt. Wir überwältigten ihn, er bekam ein paar Dolche in den Körper. Dies geschah an einem Baum, in den Hügeln nördlich von Nolan. Dort haben wir ihn dann mit unseren Waffen festgenagelt. Wie ein ehrloses Stück Vieh und das Zeichen auf seiner Stirn zerschnitten. Den Rest werden die Krähen übernommen haben.“
Rickon musste feststellen, dass ihm das tief im Inneren kurz Leid tat. Vor allem, weil aus Caranthirs Miene keinerlei Regung zu erkennen war. Doch wieder zuckten dessen Armmuskeln.
„Er war nicht….ehrlos.“
„Doch, das war er. Flamme hat nichts Besseres verdient.“ Er senkte etwas die Stimme, schloss kurz die Pranken zu Fäusten.
Caranthir grummelte leise, trat einen Schritt zurück und wandte den Blick wieder ab, als wäre er von irgendwas angewidert.
„Ja, er war Flamme. Aber nicht immer. Er war vielleicht dumm, skrupellos und tödlich begabt. Und er war mein Bruder.“