Tagebuch eines Söldners - Buch XII, 1. Eintrag

Als sich Cenedor auf den Stuhl nieder ließ, der vor dem kleinen Beistelltisch stand, ertönte ein bedrohliches Knarzen, so, als würde das Holz lautstark gegen die plötzliche Last protestieren. Mit einem missbilligendem Zug um die Lippen hielt der Mann einen Moment inne bevor er das Buch mit dem dunklen, ledernden Einband aufschlug. Die erste Seite, dessen Leere im entgegen schlug, bedachte der Söldner mit einem stoischen Blick. Beinahe könnte man gar den Verdacht hegen, dass all die Worte, die er wohl schreiben wollte, sich verflüchtigt hatten. Aber eben nur beinah, denn mit sicheren Handgriffen öffnete er das Tintenfäßchen, nimmt die Schreibfeder zur Hand und tunkte diese in die Tinte ehe er sie kratzend über das Papier führte - natürlich nachdem er die überflüssige Tinte abgestrichen hatte.


Wir schreiben den 13. Tag im Jahre 1326 NE, Zeit des Zephyrs und dies ist mein 1. Eintrag in diesem Buch. Es sind nur wenige Wochen vergangen seit meinem letzten Eintrag und doch ist vieles passiert. Vieles, was nicht hätte passieren müssen. Aber Eines nach dem Anderen.

Der Feldzug war zu Ende gegangen mit einem 'glorreichen' Sieg von Haus Starfall sowie den Hilfstruppen. Der Rückmarsch gestaltete sich sehr ruhig. Zu ruhig, um von einem weit gefeierten Sieg zu sprechen. Aber weder die Meinen noch ich hatten daran teilgenommen, um den persönlichen Ruhm zu steigern. Den Ruf, das Gold – ja, das war unser Ziel gewesen. Und es hatte sich definitiv gelohnt, hatten wir doch zwei hehrere Angebote bekommen. Eines von Haus Starfall, ein anderes von Haus Locksley. Beide waren lukrativer Art und ein Beleg dafür, dass wir aus der grauen Masse der Söldner hervor gestochen haben.

Am 357. Tag im letzten Jahr besuchten sowohl Calliope als auch ich selbst die Rurikhalle, ein Treffpunkt derer von Stand oder viel Gold. Gehobene Gesellschaft, die über Politik, Kriege, allgemeinen Tratsch und Klatsch oder anderes philosophierte. Nichts desto trotz wurden wir von Seiner Hochgeboren Brandon Locksley eingelassen, obwohl wir alles andere als passend gekleidetet waren. Auch seine Schwester, Ihre Gnaden von Locksley, schien sich nicht an unserer Aufmachung zu stören. Vielmehr war sie in ein Gespräch mit meiner Schwester vertieft damals, in dem es mitunter darum ging, dass wir zwei Tage später in das Anwesen derer von Locksley eingeladen waren. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob dieses Gespräch nicht eine Art Vorabprüfung Ihrer Gnaden war oder wirklich nur ein höflicher Austausch. Einerlei. Seine Hochgeboren Denorat Starfall unterbrach das Gespräch und bat mich meine Beschwerde über Sir Aiven Thul vorzutragen.

Nachdem Seine Gnaden mit mir sowie meiner Schwester und einer seiner Leibwachen das obige Stockwerk aufgesucht hatte, bat er mich zu berichten – was ich tat. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass Seine Hochgeboren den Ritter bereits aus seinen Diensten entlassen hatte, was meine Beschwerde völlig hinfällig machte. Im Nachhinein betrachtet war dieses gewährte Gespräch nur ein Zeichen des Wohlwollens von ihm, um mir und den Meinen zu zeigen, dass er durchaus interessiert an uns sowie dem ist, was wir zu sagen haben. Das würde auch seine recht merkwürdige Frage im Anschluss zu meiner Beschwerde erklären, stand sie doch in keinem Zusammenhang. Die Frage war strategischer und taktkischer Natur. Es verwundert mich bis heute, dass ein Mann seines Formats diese Frage einem Söldner stellt. Natürlich, ich habe gewisse Erfahrung im Kampf gegen Zentauren aber die Antwort zu seiner 'Idee' gab es in jedem Buch der Kriegsführung. Aber man stellt einen Grafen nicht in Frage solange man selbst lediglich in den unteren Reihen der Gesellschaft steht. Deshalb gab ich ihm die Antwort und wurde daraufhin mit einem Lob entlassen. Manch einer hätte seine Antwort sicherlich verkauft aber der Zuspruch von einem Grafen, der in der Stadt und im Umlang einen Namen hat, ist die Anzahl der Wörter in Gold wert. Aber wie dem auch sei – ich lies Calliope noch ein wenig die Hallen und den Garten bestaunen ehe wir uns zurück zogen.

Am 359. Tag im letzten Jahr folgten Aestas, Calliope und ich der Einladung in das Anwesen der Locksleys. Es war, zugegebener Maßen, ein interessantes Gespräch. Sie machten keinen Hehl daraus, was sie vor hatten und legten ihre Karten offen auf den Tisch. Sold, Unterkunft, Waffen, Rüstung, Ausbildung – all diese Themen wurden abgedeckt. Dennoch erwarteten sie wohl, dass wir alle drei von vorne herein eine Art Treueschwur ablegen. Oder sie gaben uns die Möglichkeit dazu, was aber weder für Aestas, Calliope noch mich wirklich ein verlockendes Angebot gewesen wäre. Für Aestas aus einem anderen Grund, als für Calliope und mich. Aber das brauch sie nicht zu wissen. Wichtig war, dass wir in einer kleinen Unterredung eine Entscheidung trafen. Zusammen. Wie es sich für eine Söldnerschar gehört. Diese Entscheidung endete damit, dass wir am 05. Tag im Jahre 1326 NE den Vertrag unterschieben hatten, der uns für die nächsten drei Monate bindet. Ein gutes Geschäft, da die Bedingungen durchaus großzügig sind. Das ist selten. Wobei es auch einen Unterschied gibt, ob man für die Seraphen im Hinterland kämpft oder für ein Adelshaus.

Abgesehen von den Tagen, wo wir lediglich als Geleitschutz tätig waren, bewachten wir auch die Rurikhalle, wenn sie öffnete. Aber alles hielt sich im Rahmen unserer Fähigkeiten, selbst die Weinverköstigung an so einem schlecht gewählten Ort wie die Taverne in Shaemoor. Ich verstehe nicht, weshalb ein Baron sich dazu herab lassen musste und die Verköstigung dort stattfinden lassen musste. Sie fand am 13. Tag im Jahre 1326 NE statt und war hoffnungslos überfüllt in meinen Augen. Ich schätze es durchaus, wenn meine Dienstherrin Vertrauen in meine Fähigkeiten und die meiner Schwester setzt aber hätte es jemand darauf angelegt diese Veranstaltung zu überfallen, wäre das Eine oder Andere Adelsgeschlecht ihren Erben losgeworden. Aber der Abend blieb ruhig, wenn man von dieser eigenwilligen Sophia, der betrunkenen Ayven und dieser Norn ab sah. Keine Drohungen, keine gezogenen Klingen und keine Ehrenduelle, geschweige denn Duelle mit Worten. Wobei, wenn ich es genau nehme, gab es ein Duell. Als Ihre Gnaden sowie Sir Thul mit Aestas und Calliope abgezogen ist, war diese Sophia, die Leibwächterin Ihrer Hochwohlgeboren Belthan wieder an der Schenke und wollte ihren Gefallen einfordern, den ich ihr versprochen hatte – immerhin hatte sie mir geholfen Ayven davor zu bewahren sich selbst zu blamieren.

Fünf Fragen, das war ihre Forderung. Jede dieser Fragen war wohl überlegt gestellt und zielte auf bestimmte Themen ab, die ihr helfen würden. Sie scheint eine Frau zu sein, die weiß, wo ihre Grenzen liegen und vor allem scheint sie einen starken Willen sowie großen Stolz zu besitzen. Das Gespräch endete damit, dass sie und ich einen Übungskampf ausfochten. Geschickt und flink setzte sie offensichtlich auf ihre Vorteile aber es fehlte ihr an Erfahrung. Oder sie hatte einen schlechten Tag. Einerlei, sie war die deutliche Verliererin des Duells und reagierte auch nicht ungehalten auf diesen Umstand, was widerrum für die Fähigkeit sprach, dass sie sich selbst Niederlagen eingestehen konnte. Eine seltene Gabe und eine wertvolle. Vielleicht sollte ich versuchen sie für meine Söldnerscharr zu gewinnen, denn wenn die drei Monate um sind, wird es vielleicht wieder Zeit den Seraphen im Hinterland zur Seite zu stehen. Und ich möchte nicht erst im Wildgrat-Hügel irgendwelche Grünschnäbel anheuern, die bereits im ersten Scharmützel zu Grenth ziehen. Dieser Tage sind von Balthasar gesegnete Kämpfer eine wahre Seltenheit geworden. Wie dem auch sei – ich halte mich vorerst mit einem endgültigen Urteil über diese Frau zurück. Ein Gespräch und ein Kampf sagt einem zwar viel über den Mensch dahinter und seinen Charakter aber es reicht keineswegs aus, um ein vernünftiges Urteil zu fällen. Außerdem schien sie von ihrer Arbeit als Leibwächterin Ihrer Hochwohlgeboren Belthan sehr überzeugt zu sein, diese Baronin gar als Freundin sehend. Die Zeit wird ihr vor Augen führen müssen, dass die Hohen Stände keineswegs Freunde unter bürgerlichen suchen. Loyale Anhänger, ja – aber Freunde? Nein. Das entspräche nicht ihrem Stand oder gar ihrer Erziehung. Doch diese Lektion muss sie für sich selbst lernen.

Der Mond steht bereits im Zenit und morgen wird ein anstrengender Tag, denn der Botschafter der Charr-Legionen wird die Rurikhalle besuchen. Ich sollte schließen.


Die Sechs mit Dir, Calliope.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)