Tagebuch eines Söldners - Buch XII, 2. Eintrag

Mit Schritten, die sowohl von Resgination, als auch gewisser Wut zeugten, bewegte sich Cenedor von seinem Rüstständer, an welchem er zuvor seine Brigantine aufgehangen hatte, zu dem Stuhl, welcher vor dem kleinen Beistelltisch stand. Wie auch zuvor lag auf jenem Beistelltisch ein lederndes Buch, wieder mit einer leeren Seite, die dem Söldner entgegen starrte. Mit einem leisen Schnauben hob der Mann die rechte Hand und fuhr mit Daumen sowie Zeigefinger über seine Nasenwurzel ehe er kurz mit dem Kopf schüttelte. Ohne weiter zu zögern nahm er die Schreibfeder zur Hand, tunkte sie in das Tintenfäßchen und setzte an zu schreiben.



Wir schreiben den 21. Tag im Jahre 1326 NE, Zeit des Zephyrs und dies ist mein 2. Eintrag in diesem Buch. Mein letzter Eintrag ist nur acht Tage her und doch fühle ich mich, als ob ich um Jahre gealtert bin. Die schiere Gewalt der Inkompetenz, die mir in den letzten Tagen entgegen schlug ist wahrlich eine Prüfung der Götter – meine ganz Eigene wohl.

Alles fing damit an, dass an dem 14. Tag in diesem Jahr der Botschafter der Charr-Legionen die Rurikhalle besuchte. Viele Adlige, einige Ratsherren, der Priester des Balthasar und auch einige Seraphen – ohne im Dienst zu sein – suchten die Hallen auf, wohl um diesen Botschafter, als auch die Botschafterin der Sylvarie zu sehen oder sich mit ihnen zu unterhalten. Alles verlief reibungslos. Jeder gab seine Waffen ab, selbst Seine Ehrwürden des Balthasars, und begab sich in den oberen Teil der Hallen. Soweit ich es beurteilen konnte, war es ein gänzlich normaler Abend in der Rurikhalle, wenn man von den besonderen Gästen absah. Bis zu dem Zeitpunkt, als Ihre Gnaden mit der Botschafterin der Sylvarie den Garten aufsuchte. Celd folgte unserer Herrin natürlich und die Botschafterin selbst hatte ebenso Leibwächter. In Anbetracht dessen, was in den letzten Tagen in Götterfels umher ging und wie sich die Bürger aufführten, hätte ich vielleicht auch noch Calliope hinterher schicken sollen. Oder auf den Balkon im oberen Stockwerk, Gerüchte machten die Runde, dass irgendeine neue Gruppe das Volk aufhetzte, sich gegen Ihre königliche Majestät und den Adel zu erheben. Aber es blieb ruhig. Vorerst.

Vorerst deswegen, weil nach geraumer Zeit auch der Charr-Botschafter sich in den Garten begab, in Begleitung der Ratsherrin von Flammenfels, Comtess ihres Zeichens und Mündel Seiner Gnaden Starfall. Sofern ich es im Nachhinein richtig verstanden hatte, wollte er ein Gespräch mit der Botschafterin der Sylvarie führen. Es fiel mir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich auf aber jetzt erscheint es mir seltsam, dass man einen Botschafter der Charr lediglich mit seiner Adjutantin umher ziehen lässt – gänzlich ohne eine Eskorte der Ministerialwache. Aber es ist nicht an mir dies zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Es steht mir nicht zu. Jedenfalls folgte das, was niemals hätte folgen dürfen. Von oben ertönte ein Ruf. Ich konnte ihn nicht genau verstehen aber er schien alarmierend in Lautstärke und Ton, was sich kurz darauf mit dem Erscheinen der Leibwächterin von Ihrer Hochwohlgeboren Belthan bestätigte. Attentäter, auf den Mauern und ihr Ziel schien allem voran der Botschafter der Charr zu sein. Mit einem knappen Befehl schickte ich Calliope hoch, um sich auf dem Balkon zum Garten hin in eine Position zu bringen, die es ihr möglicherweise erlaubte Feinde mit Pfeilen zu spicken. Gleichzeitig nahm ich es auf mich zum Garten zu eilen. Wie nicht anders zu erwarten, war der Charr-Botschafter bereits getroffen zu Boden gegangen, während Celd versuchte Ihre Gnaden ins Innere zu bringen. Ich verdeutlichte den Befehl nochmals und nahm mich der Botschafterin der Sylvarie an, die alles andere als folgsam war und vor allem keineswegs daran dachte sich in die schützende Halle zurücl zu ziehen. Dennoch machte ich ihr die Umstände deutlich bevor ich mich dem wahren Chaos im Garten widmete. Der Charr-Botschafter wurde bereits hinein geschafft und hinter mir lauerte eine Scharr bewaffnete Adelige, die sich für Ehre und Mut in den Kampf stürzen wollten. Schwachköpfe. Allesamt.

Es waren insgesamt zwei Attentäter und beide waren bereits gefällt. Während Calliope weiterhin auf dem Balkon war und den Garten absicherte, Aestas den Aufgang zum oberen Stockwerk absperrte und Celd sich nach einem Feldscher für eine der Attentäterinnen umsah, versuchte ich den Haufen aufgeschreckter Adeliger – ein Sack voller Skrit wäre einfacher zu schützen – im Garten dazu zu bewegen sich wieder zurück in die Halle zu begeben. In diesem Moment und auch danach wünschte ich, dass ich mehr Soldaten, fähige solche, unter mir gehabt hätte. Natürlich hätte es der Erlaubnis Ihrer Gnaden bedurft, doch es gibt nichts wirksameres, als ein Kreis aus Veteranen, der sich enger zieht und die Meute zurück treibt – wie bei einer Hetzjagd, die Schlinge enger ziehen. Wie dem auch sei, im Verlauf des Abends verstarb die zweite Attentäterin in der Zelle, trotz aller Mühen, die Ihre Hochgeboren von Locksley aufbrachte. Die erste Attentäterin starb noch an Ort und Stelle nachdem sie von Calliopes' Pfeil niedergestreckt wurde. Der Charr-Botschafter trug, soweit ich es erkennen konnte, keinen nennenswerten Schaden davon, wurde er doch sorgfältig von einem Seraphen versorgt. Auch sonst wurde niemand wirklich verletzt, wenn man von dem geistlichen Qualen absieht, die Leutnant Varus Kastella und Leutnant Elasir Terix verursacht haben.

Für diese beiden Offiziere reicht der Begriff 'Inkompetenz' nicht aus. Man müsste ihn neu erfinden oder wenigstens die Definition dessen, was dieser Begriff darstellen sollte. Es war unglaublich mit welcher Gleichgültigkeit Leutnant Kastella, von der Ministerialwache, die Nachricht aufnahm, dass der Charr-Botschafter verletzten worden war. Gleichzeitig waren auch seine Männer in keinem besseren Zustand. Noch während Ihre Gnaden die verletzte Attentäterin versorgte, verlangte ich von einem ein Kohlebecken samt glühenden Kohlen heran zu schaffen. Es war ein Gang in die Küche und zurück! Kein Marsch durch das Königintal bis hin zum Fort Salma. Wahrscheinlich hatte dieser Mann das Feuer erst entdecken und das Kohlebecken erst schmieden müssen. Jedenfalls kam seine 'Hilfe' durchaus zu spät. Aber als wäre es mit diesen Unzulänglichkeiten nicht genug, erdreistete sich Leutnant Kastella auch noch ein Disziplinarverfahren gegen einen Eisenwolf – gegen einer meiner Söldner – zu verlangen! Wäre die Lage nicht so ernst gewesen und wäre es vor allem kein politischer Selbstmord für das Hause Locksley, hätte ich diesen Mann gefordert für seine Unverfrorenheit und Unfähigkeit seine eigene Inkompetenz zu erkennen. Denn, wie ich später erfahren durfte, ist dieser Mann der festen Überzeugung alles richtig gemacht und seine Pflicht über die Maße erfüllt zu haben. Wenn Männer wie er die Aufgabe haben den Adel und das Ministerium zu schützen, stellt sich mir die ehrliche Frage wieso die Drachen uns weiterhin schonen. Gleichzeitig verwundert es mich nicht, dass die Götter weiterhin schweigen, wenn manche Menschen in ihrer eigenen Eitelkeit und Überheblichkeit auf Grund von Titeln sowie Posten ertrinken. Leutnant Kastella ist definitiv einer dieser Menschen. Aber er ist nicht alleine damit.

Leutnant Elasir Terix, einer der Offiziere der 7. Nebelfeuerkompanie, ist keineswegs besser in seinem Charakter und sogar noch inkompetenter als Leutnant Kastella. Wie ich ebenfalls im Nachhinein erfahren durfte, wusste dieser Mann von dem geplanten Attentat. Er erhielt eine Warnung von einer Quelle, die er für 'nicht vertrauenswürdig' hielt. Die Adjutantin des Charr-Botschafters selbst. Bei allen Göttern, wenn jemand ein Attentat auf den Botschafter in Götterfels verhindern wollte, dann war es diese Charr. Dennoch informierte der Leutnant weder die Ministerialwache – wobei ich inzwischen anzweifle, dass es einen Unterschied gemacht hätte – noch uns, die Eisenwölfe. Lieber organisierte er eine verdeckte Mission mit drei Seraphen wovon einer ein Rekrut war. Als mir Ihre Gnaden dies erörterte traute ich meinen Ohren kaum. Ich habe Jahre lang an der Seite von Seraphen gekämpft, die weitaus mehr Integrität, Rückrat, Weisheit und vor allem Weitsicht bewiesen hatten. Und diese Männer waren keineswegs Offiziere. Noch nicht einmal Unteroffiziere. Es waren Rekruten, Soldaten, die im Dienste Ihrer könglichen Majestät ihr letztes gaben. Das dieser Mann Offizier ist und die 7. Nebelfeuerkompanie anführt, tut den Männern und Frauen an der Front großes Unrecht, denn es verfälscht das Bild der Seraphen. Und dieses Bild wurde heute, am 21. Tag im Jahre 1326 NE, noch weiter verfälscht. Trotz aller Widrigkeiten unter dem gemeinen Volk und Abschaum in den Gassen, öffnete die Rurikhalle ihre Tore wieder und lies hohe Gäste hinein. Ein Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellte, denn neben einer vermummten Gestalt auf den Mauern des Gartens, versuchte eine Diebin Ihre Hochwohlgeboren Morgenschön und Novize Calendis auf dem Balkon über den Garten – Der Garten ist die größte Lücke in der Sicherheit der Hallen – zu überfallen. Natürlich scheiterte sie, was auch sonst. Zusammen mit Ihrer Hochwohlgeboren nahm ich diese Diebin, deren Name Talianna Link ist, in Gewahrsam und führte sie zu dem Seraphenhauptquartier der Nebelfeuerkompanie. Dort bewies Leutnant Terix, dass er nicht der einzige Seraph in seiner Kompanie war, der in seiner Unfähigkeit zu glänzen wusste. Nicht nur, dass er die offensichtliche Lage nicht verstand, schickte er eine untätige Rekrutin weg und verschwand selbst mit Ihrer Durchlaucht von Rubikon in den hinteren Gängen des Hauptquartiers. Als er einige Zeit später wieder kam, erdreistete er sich gar mich zurecht zu weisen und begrüßte die Diebin Link wie eine alte Freundin. Es erscheint mir schleierhaft, wie dieser Mann es je auf seinen Posten als Leutnant schaffen konnte. Nachdem er Link und die Brandstifterin vom Anwesen in ihre Zellen abführte, verwies er Ihre Hochwohlgeboren, meine Schwester und mich an eine Rekrutin, die vor der Toren stand.

Diese Rekrutin war ebenso wie ihr Offizier der Inbegriff der Inkompetenz. Die ersten Worte, die sie an uns richtete, waren, dass sie gehört habe was der Leutnant gesagte hatte und man ihr folgen möge. Die Frage, die sich mir dann stellte war, warum sich diese Rekrutin sich dann nicht bereits in das Hauptquartier bewegte, wenn sie ihren Leutnant gehört hatte. Aber einerlei. Es ist nicht an mir über diese Männer und Frauen zu urteilen, diese Aufgabe obliegt Anderen. Die Aufnahme der Aussagen von Ihrer Hochwohlgeboren und von mir verlief – interessant, um nicht zu sagen merkwürdig. Baronin Morgenschön schien derselben Ansicht zu sein, zumindest offenbahrte mir das ihr Verhalten nachdem wir das Hauptquartier verlassen hatten. Sie ist in ihrer Position als Vorstreiterin der Klinge nicht zu beneiden, wenn sie sich mit besagten Offizieren auseinander setzen muss. Allgemein fürchte ich, dass Götterfels von vielen, kleineren Plagen heimgesucht und verschluckt wird. Was soll nur aus dieser Stadt werden, wenn selbst ein Ratsherr bei der Ernennung weiterer Ratsherren eine Rede schwingt, die blasphemischer nicht sein könnte? Ich hoffe, dass die Sechs uns für diesen Mann vergeben, denn wenn sie es nicht tun, sehe ich nicht, dass wir diese Zeiten überleben. Aber auch hier ist es an Anderen ihn seinen Platz zu weisen, nicht an mir, wenngleich mir wahrlich die Finger gejuckt haben bei seiner Rede.

Es wird langsam Zeit. Der Tag war aufreibend genug mit den Helden der 7. Nebelfeuerkompanie.


Die Sechs mit Dir Calliope.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)