Breaking Point

Flackernder Kerzenschein untermalt mit dem gierigen Zischen der atmenden Flammen, die das notwendige Licht spendeten für den Mann mit dem güldenen Haar und den berechnenden, grauen Iriden. Wie ein König saß er da auf dem großen, schweren Stuhl, gefertigt aus feinstem Mahagoni, verziert mit Schnitzereien so fein, dass sie mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen waren. Die schwarzen Stiefel weit auseinander gesetzt, den linken Ellbogen auf die breite Holzlehne abgestellt und das markante Kinn auf die Innenfläche der mit Ringen bestückten Pranke gestützt, während die Rechte in einem Anflug von aufkeimender, wütender Ungeduld einen schnellen Takt auf dem Holz spielte. Ungemein melodisch, gar von seltener Schönheit, wäre die unausgesprochene Drohung nicht zwischen den Notensträngen, die alles versprach, nur keine heilsbringende Flucht.


„Ihr enttäuscht mich, Bartholomeus. Ihr enttäuscht mich sehr. Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich sagte, dass ich kein ‚Nein‘ akzeptieren werde. Was soll ich nur mit Euch tun? Was soll ich tun, wenn Eure Haltung bekannt wird unter den anderen Händlern und Geschäftsmännern wie -frauen? Verratet mir das, Bartholomeus.“ Der angesprochene Herr, gekleidet im feinsten Zwirn, war ein untersetzter, rundlicher Mann, dessen schütteres Haar kaum mehr den ganzen Schädel bedeckte und eine unansehnliche, kahle Stelle dann und wann offenbarte. Er schwitzte, dieser Mann, friemelte an der Krempe seines Hutes herum, welchen er zwischen seinen Händen hielt und leckte sich unentwegt die Lippen. Es mutete beinahe schon zu offensichtlich an Nervosität an, wenn das matte Blau nicht so trotzig hervor stechen würde aus der eher elenden Erscheinung. „Das ist mir egal, Richard. Das Angebot ist zu schlecht! Was denkt Ihr eigentlich, wer Ihr seid? Irgendein zweitrangiger Ratsherr, der immer noch denkt, er sei’s! Von den Gerüchten über Euren Frauenverschleiß will ich gar nicht mal anfangen, Ihr Filou!“, warf der Glaser seinem Gastgeber mutig entgegen, bar jeder Furcht und Zweifels in der Stimme. „Eher geh ich zu den Iorgas und mach mit denen Geschäfte als mit Euch, Ihr widerlicher Bastard!“


Dunkle, dichte Gewitterwolken zogen auf in den Tiefen des Nebelgraus, kündeten bereits von dem nahenden Unheil, das sich noch nicht in dem scharf geschnittenen, adligen Antlitz manifestiert hat. Oh, diese Anmaßung. Diese Dreistigkeit. Immer wieder gab es sie, Menschen, die der Auffassung waren, sie könnten ihm die Stirn bieten, weil es andere ebenso taten. Der offensichtliche Unterschied aber war, dass jene es sich leisten konnten. Dieser Mann hier jedoch nicht. Wie stets eine neutrale Mimik wahrend, hob sich der Kopf von der stützenden Hand und verlangte vom restlichen Leib sich aufzurichten, gerade und herrschaftlich in dem Stuhl zu sitzen für die Zeit des Urteils, der Abmahnung wie Abstrafung, denn diese Beleidung, dieser Widerstand musste mit Klarheit beantwortet werden. „Ich habe gehört, dass die Familie Burgali eine sehr traditionsbewusste ist. Allem voran, so sagt man, geben sie ihren Sohn nur eine unberührte Dame, die er, den Sechs zum Dank, in Eurer Tochter gefunden hat. Welch ein Glück, nicht wahr? Denn mit den Burgali’s an Eurer Seite, könnt Ihr Euren finanziellen Engpass überwinden, Verträge ausbezahlen und neues Material ordern ohne, dass Eure Kreditibilität je in Mitleidenschaft gezogen wurde. Euer eigener Sohn hingegen wünscht dem Ministerium als Wächter zu dienen. Sein Zug geht alsbald auf eine Übung, die, wenn man den Archiven Glauben schenken mag, immer wieder einen gewissen Blutzoll fordert. Nicht viel, stets nur ein wenig. Zumindest in der Vergangenheit. Aber gewiss würde sich Eure reizende Frau um ihn kümmern, nicht wahr? Vielleicht helfen ihm die Blumen von Herrn Nayyer, dessen Laden sie fast schon täglich aufsucht. Wenn sie es über den eigentlichen Grund für ihren Besuch nicht vergisst, versteht sich.“ Im sanften Plauderton trug es der Blonde vor, ließ sich sogar zu einem dezenten Lächeln hinreißen, dass für seinen Gegenüber eher eine abstrakte Grimasse darstellte, als die gespielte Versicherung, dass dies lediglich ein interessierter Austausch von Nettigkeiten war, denn über diesen Punkt waren sie bereits weit hinaus. „Ich verabscheue Gewalt, Bartholomeus. Ich verabscheue sie genauso wie ich Respektlosigkeit, Dummheit und Kurzsicht verabscheue. Ihr seid keines von diesen Dingen, nicht wahr? Ihr seid ein vorausschauender Mann, einer, der mich nicht zu etwas zwingen würde, dass ich verabscheue. Ein kluger Mann, mit Sinn für Geschäft und die Zukunft … eine Zukunft unter meine Führung.“


„Ihr würdet nicht wa-…“ Weiter kam Bartholomeus nicht, wurde er von einer unnahbaren, harten Stimme unterbrochen, deren Anfang laut, klar sowie unmissverständlich war jedoch zum Ende leise wurde. Leise, drohend und zugleich stets nie an Höflichkeit missen ließ. „Was ich tun würde und was nicht, obliegt gänzlich Euch, guter Mann. Aber ich bezweifle, dass Ihr sehen wollt, wie Euer Sohn sabbernd und vor Pisse stinkend in einem Stuhl vor sich dahin siecht, wie Eure Tochter sich für abgegriffene Kupferstücke wie ein Tier besteigen lässt, während Eure Frau, zu alt für derlei, sich als Wäscherin verdingt. Aber sorgt Euch nicht, mein Freund, Ihr werdet dieses Elend nicht lange ertragen müssen, denn ich bin kein Unmensch. Ich würde Euch von Eurer Last erlösen … wie den Richter.“ Obschon die Drohung in ihren ersten Silben ihre Wirkung keineswegs verfehlte, war es vornehmlich das Rot, dass von dem Gesicht des Glasers Besitz ergriff, ihn wie eine aufgedunsene Frucht aussehen ließ, die längst über die Reife hinaus in der Sonne lag und man sie schlicht vergessen hat einzuholen. Glasige Augen traten sacht hervor und auf der von Adern durchzogenen Knollnase – ein Anzeichen für einen werdenden Trinker – bildeten sich indes seichte, weißgelbliche Flecken. Unansehnlich, von Kopf bis Fuß, den Zenit seiner Schönheit, so je erreicht, längst ziehen lassen. Doch so schnell die Wut ihm Farbe verlieh, ein Bildnis seines gerechten Zorns schuf, so schnell verpuffte es auch wieder. Es nahm schon eine beinah grotesk witzige Note an, wie schnell das eben noch rasende Blut aus den Adern wich und Platz machte für den kalten Schweißausbruch, die aufkeimende Furcht sowie das Grauen der Erkenntnis, welche Art Mann er da vor sich hatte. Ein wahrer Hochgenuss. Das Gefühl der Macht. Wahrer Macht. Nichts konnte sich mit dem messen. Nichts!


„Ich sehe, dass wir uns verstehen. Wenn Henry, der Euch nun hinaus begleiten wird, Eure Räumlichkeiten das nächste Mal aufsucht, werdet Ihr meinem Angebot zugeneigter gegenüber stehen und es nach dem Verstreichen einer Woche signiert, gesiegelt und beglaubigt zurück schicken. Noch Fragen, mein Lieber? Nein? Hervorragend. Es war mir eine Ehre wie Freude mit Euch Geschäfte zu machen. Die Sechs mit Euch und Ehre dem Ministerium.“ Richtiggehend schlecht konnte einem wohl werden, wenn man Zeuge dieser Zufriedenheit und teilweise sogar Selbstverliebtheit wurde, ob nun gespielt oder nicht. Gepaart damit, dass man keinen Ausweg sah, war das ein rabenschwarzer Tag für den Glaser, dessen Widerstand wie ein trockenes Zweiglein brach. Nein, er würde sich mit diesem Monstrum nicht auf einen Kampf einlassen. Er würde den Kopf einziehen und sich fügen, warten und lauern, bis es stolpert, taumelt und fällt. Irgendwann. Hoffentlich. „Henry.“, erklang es schneidend von dem Blonden an einen bulligen, breitschultrigen Mann, der mehr in die Breite ging als in die Höhe. Schwere Schritte kündigten sein Kommen an, noch ehe die Hand den Oberarm des Händlers fand und ihn daran hinaus begleitete.


„Wir müssen ihn alsbald ersetzen. Treiben wir die Hochzeit mit den Burgali voran und machen uns den Sohn zu Eigen. Er übernimmt die Geschäfte dann.“ – „Je früher desto besser. Er wird beim ersten Anzeichen seinen Mut wieder hervor holen und rebellieren. Aber das hat noch Zeit. Einerlei. Was wollte Lichtenfels?“ – „Mir seine Tochter vorstellen. Ich werde zusagen, denn die potentielle Mitgift könnte gut ausfallen. Besser vielleicht als bei dem anderen Angebot.“ – „Sehr gut …“ Knirschend wie raschelnd erhob sich der hochgewachsene Mann mit den ansehnlichen Gesichtszüge und verließ den Raum, der bis auf die Kerzenstände und den Thron leer war, ließ die Ungeheuerlichkeit, die soeben passiert ist, schlicht hinter sich zurück, als sei es Teil seiner Natur, Teil der genährten Dunkelheit, die in jedem inne wohnt.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)

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