Familienangelegenheiten

Nina, die Haushälterin des kleinen Jagdanwesens, lief ihr mit sorgenvoller Miene entgegen, kaum das sie die Auffahrt betreten hatte.
„Der Herr ist da!“ teilte sie Hannah kurz darauf nach Luft japsend mit. „.. der Herr, stellt Euch vor! - Und er ist sehr verstimmt.“
Die junge Dunkelhaut betrachtete die Haushälterin einen Moment lang schweigend und reglos, dann nickte sie langsam.
„Ich schau bei den Hasen nach dem Rechten – Kündige mich bitte an. Er soll nach mir rufen lassen, wenn er mich empfangen mag.“
„Oh, Fräulein Hannah... was wird jetzt nur aus uns?“ fragte die Haushälterin bedrückt und schaute dem Mädchen hilflos entgegen, ging aber kurz darauf schon resigniert zurück zum Jagdhaus als Hannah wie so oft keine Antwort gab.




Als er sie endlich zu sich rufen ließ stand die Sonne bereits hoch am Himmel – Sie hatte stundenlang warten müssen. Natürlich. Immerhin wollte er ihr klar machen, wer von ihnen beiden welche Position inne hatte.


Das weite Lächeln mit dem er sie dann schließlich begrüßte, die ausgebreiteten Arme, die Umarmung in die er sie zog erschienen ihr wie blanker Hohn.
„Hannah. Wie schön, dich wohlauf zu sehen, Kind. Bitte, setze dich doch.“
Der Stuhl auf den er wies musste extra aus der Küche geholt worden sein, denn im Gegensatz zu dem Sessel auf den er selbst sich niederließ war er nicht mehr als eine schlichte Holzkonstruktion, die so gar nicht in das pompös ausgestattete Arbeitszimmer passte. Einen Moment lang überlegte das Mädchen einfach stehen zu bleiben, doch entschied es sich doch anders. Seine Mundwinkel zuckten, als Hannah sich auf den gewiesenen Stuhl setzte. Auf dem Tisch zwischen den beiden stand eine Karaffe Wasser sowie ein noch leeres Glas – seines war bereits mit Wein gefüllt, wie sie erkennen konnte.
Eine Weile sprach sie nicht, schaute auf die Karaffe.
„Ich danke für den freundlichen Empfang.“ murmelte sie schließlich, hob den Blick, bis sie dem Seinen begegnete. Alt war er geworden, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte: Graue Strähnen mischten sich in das dunkle Braun seiner Haare und die seichten Fältchen, an die sie sich erinnerte, waren zu verhärmten Runzeln geworden.


„Wie ist es dir ergangen in der Stadt? Wie geht es deinem Bruder? Ich hörte, er sei..“ begann er, doch Hannah fiel ihm sogleich ins Wort, ihre vorsichtige Zurückhaltung über Bord werfend:
„Du bist unzufrieden.“ stellte sie halblaut fest.
Seine Brauen zuckten ob der Unhöflichkeit scharf in die Höhe, doch er fing sich schnell und stellte stattdessen ein betont mitfühlendes Schmunzeln zur Schau. Seine Stimme klang weich, als er abermals das Wort ergriff.
„Nun... du nutzt ungefragt meinen Grund und Boden. Ich bin mir sicher, das es gute Gründe für deine Handlungen gab, die du mir ausführlich und nachvollziehbar erklären wirst nachdem du dich angemessen entschuldigt hast.“
Hannahs Finger krallten sich unbewusst in den Stoff ihrer Hose und sie schwieg angespannt, während sie fieberhaft nach den rechten Worten, nach diplomatischen Ausführungen für das Übertreten gleich dutzender Regeln und Gesetze suchte... und schließlich aufgab.
„Nein.“
„Nein?!“ Er blinzelte regelrecht schockiert, sog die Luft scharf durch den Mund ein und erhob sich, um mit großen Schritten zum Fenster zu tigern – und wieder zurück. Seine Hände stützten sich auf dem Tisch auf, als er sich zu ihr herüberbeugte. „Wie darf ich das verstehen?“ zischte er.


„Du hast dich hier über sechs Jahre lang nicht blicken lassen, was kümmert es dich, was hier passiert?“ Sie engte die Augen und hob herausfordernd das Kinn.
„Pass auf wie du mit mir sprichst, Fräulein, sonst-“
„An deiner Stelle würde ich mir genau überlegen, ob du mir tatsächlich drohen möchtest.“ brummte sie, nun ungehalten, mitten in seinen Satz.
Sein Gesicht wurde schlagartig rot und sein Kiefer stach hervor, als er diesen anspannte.
„Zu den Gründen: Ich habe Informationen eingeholt.“ sprach sie weiter, bevor er sich fangen oder auch seiner Wut nachgeben konnte.
„Mein Vater hat dir das Anwesen damals unter der Prämisse überlassen, das es als Urlaubsort für die gesamte Familie genutzt wird und überdies Jagdhunde aus der Zucht kostenlos an interessierte Familienmitglieder gehen werden.“ sie machte eine kleine Pause. „Doch hat sich komischerweise seit etlichen Jahren niemand hierher verirrt. Die Jagdhundzucht hast du aufgelöst, da sie dir im Gegensatz zu deinen Kalkulationen nicht genug Geld einbrachte, und das letzte Mal, das du Zuwendungen hast fließen lassen ist ebenfalls Jahre her. Die meisten Arbeitskräfte haben das Anwesen verlassen da sie schlichtweg keinen Lohn bekamen, und die, die noch hier sind, leben getrieben von Loyalität gegenüber der Familie von den spärlichen Einnahmen, die Obst- und Gemüseernten einbringen. Sie bekommen keinen Lohn. Ihre Kinder erhalten keine Bildung. Das Anwesen wittert vor sich hin. Wie ist so etwas möglich?“


Hannah versuchte krampfhaft ruhig zu wirken während sie sprach, obgleich sie innerlich vor Wut kochte und auch die Mimik ihres Gegenübers sich immer weiter zu purem Hass wandelte. Sie erhob sich und machte unter seinen lauernden Blicken betont herrisch ein paar große Schritte durch den Raum. Immerhin musste klar gestellt werden, wer hier tatsächlich welche Position inne hatte.


„Die Kräuter die ich hier anbauen lasse sind selten und wertvoll und ermöglichen mir gemeinsam mit der Wachtel- und Hasenzucht einen Lehrer für die Kinder zu unterhalten und den Arbeitern zumindest einen spärlichen Lohn zu zahlen. Ich schlage also vor, deine Besuche bleiben weiterhin in dem bisherigen Rahmen. Konzentriere dich auf die Dinge, die dir wichtig sind, und nicht auf ein Stück Land das du dir aufgrund deiner grenzenlosen Gier angeeignet hast ohne auch nur einen Hauch Interesse für das Geschehen hier zu...“
Nun war er es, der sie schreiend und rot vor Zorn unterbrach:
„MISTSTÜCK! WIE KANNST DU ES WAGEN?!“
Seine Faust schlug auf den Tisch.
Hannah zuckte zusammen.
„Mh... Hab noch einen angenehmen, nicht zu langen Aufenthalt.“


Ohne zurück zu blicken verließ sie das Arbeitszimmer, taumelte durch den Flur und schließlich aus dem Haus heraus.




Als sie über den Hof schritt um das Anwesen hinter sich zu lassen kam ihr die Haushälterin entgegen, noch immer stand dieser die Sorge ins Gesicht geschrieben.
„Ist alles gut, Nina. Mein Onkel reist bald wieder ab.“
Sie hob einen Mundwinkel, um kurz darauf im Wald zu verschwinden.

Kommentare 2