Schicksalstag

Der Schnee brach knackend unter den schweren Schritten und durchbrach die trügerische Stille, die sich über das Land gelegt hatte. Rasch und tief atmete der Norn durch, legte seinen Blick auf die nebligen Wolken welche aus seinem Mund stoben, denn es war eisig kalt. Er war weit gelaufen. Und er war schnell gelaufen. All das nur, um noch rechtzeitig anzukommen. Schon lange hatten die Schneeflocken aufgehört in sein Gesicht zu peitschen, denn sie waren verstummt wie die gellenden Schreie, die von der kleinen Siedlung gekommen waren als das schwarze Eis sie überrascht hatte. Jormag hatte seine Schergen auf die Bewohner losgelassen und jedes Leben ausgelöscht oder zu seinen Dienern gemacht. Wie schwarze Dornen ragten die Eiskristalle aus der Landschaft, einer thronte sogar in einer der zerstörten Hütten. Doch all der Schrecken hielt den Norn nicht auf, als er sich seinen Weg weiter in Richtung Siedlung bahnte. Anstatt Schnee fiel nun Asche auf das Land und maskierte es in Wut und Zerstörung. Kaum etwas war von der Siedlung übrig geblieben, außer ein paar zerstörten Behausungen, Blut und den zerfetzten Leibern derer, die nicht direkt beim Einschlag der Eisdornen korrumpiert wurden. Es war ein Bild des Schreckens. Ein Bild, welches selbst einem gestandenen Norn Schauer über den Rücken jagen konnte.
Dennoch ging der Norn weiter geradewegs in die zerstörte Siedlung hinein, den Bogen gespannt und den Pfeil zum Schuss bereit. Vorsichtig schritt er über einen geborstenen Stuhl hinweg, tauchte unter schief liegenden Balken hindurch und ging vorbei an mindestens einem eingeschlagenen Schädel. All das Leid das hier geschehen war besah er sich, prägte sich jede kleine Szenerie genaustens ein. Die Zeit schien währenddessen still zu stehen und nur das leise knistern von Glutnestern und die schwarzen Ascheflocken die im verglimmenden Feuerschein tanzten waren Zeuge davon, dass die Zeit doch weiter rann.
Langsam und bedacht setzte er seine Schritte weiter in den dunklen Schnee, durch ausgebrannte Ruinen von Hütten und zwischen Trümmern hindurch. In einer schier bedächtigen Bewegung mit seinem Bein trat er gegen einen Zuber der auf dem Kopf stand, doch war darunter nichts zu finden außer einem Stück Seife und einer Reibe. So sah er sich um, blieb an einem chaotischen Kistenstapel hängen, den man nicht mehr als solches bezeichnen konnte. Die Kisten waren teils zerstört, umgekippt und der Inhalt hatte sich auf dem Boden verteilt. Vom Brand allerdings, waren sie größtenteils verschont geblieben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand da war, lockerte er seine Finger und wühlte flink durch den Inhalt der Kisten. Flaschen mit Met und Bier, Beutel die scheinbar mit Kräutern gefüllt waren, Schwarzpulverbeutel, Pfeilspitzen und selbst eine Zunderdose. Alles Dinge, die er brauchen konnte und alles Dinge, die er rasch in seine geschulterte Tasche wandern lies.
Ein Speer, der einfach zur Seite in den Schnee kippte, schreckte den Norn auf und er spannte die Sehne seines Bogens bedrohlich weit, während der Blick rasch die nötigsten Informationen auffing. Nur unweit des Speeres flatterte ein gestickter Wandteppich träge hin und her, obwohl es fast gänzlich windstill war. Verwischte Fußspuren führten zwischen den Trümmern hindurch und ein Handschuh lag zwischen Speer und Behang im Schnee. Sämtliche Spuren waren zu frisch, als dass sie während des Kampfes hätten begangen worden sein. Langsam ging der Norn weiter und folgte den Fußabdrücken, bis er zu einem großen Weidenkorb kam. Er ließ seinen Bogen sinken, schob den Pfeil zurück in den Köcher und gab dem Korb einen Tritt, worauf dieser schwerfällig umkippte und ein zusammen gekauerter Junge zum Vorschein kam. Rasch zog er den Kopf ein und ein kümmerliches Wimmern kam gedämpft aus seinem Mund. Es entlockte dem Erwachsenen ein kurzes, schier hämisches Schnauben.
„M-m-mach mich nich tot!“ schrie der Kleine mit heiserer Stimme und rückte nach hinten weg, zurück zu dem schützenden Korb.
„Werde ich nicht.“ Der Norn blieb stehen und starrte zu dem Kind hinunter, welches eingeschüchtert aus seinem Korb heraus schaute. Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben, ebenso wie fürchterliche Angst.
„H-h-hilfst du mir?“ Noch immer traute sich der Junge nicht aus seinem Korb und schlang die Arme um seine Beine. Er schluchzte auf. „D-die sind alle weg…“
„Komm,“ brummte der Kerl dem Kind entgegen und streckte nach einem Augenblick seine Hand aus. Schniefend und schluckend schaute der Junge mit verheulten Augen auf, wischte sich mit dem Ärmel die Nase und griff nach der angebotenen Hand. Der Erwachsene zog das Kind auf die Beine und führte es die ersten Schritte fort von der Siedlung.
„Sieh nicht zurück. Du wirst sie vergessen, so wie sie dich vergessen haben. Sie haben dich allein gelassen, weil du ihnen lästig warst. Doch ich bringe dich zu jemandem, dem du nicht lästig bist,“ er grinste tückisch und schloss seine Hand fester um die des Kindes. „Svanir nimmt jeden Mann bei sich auf. Und du, Junge… Du wirst einer seiner Söhne werden.“

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 1

  • Wooah..... tolle Geschichte... erst dachte ich ein Norn. Bis sich am Ende sein wahres Gesicht gezeigt hat.
    der arme Junge *schnief*