Opfergaben

Langsam setzte die Norn einen Schritt durch die große Türe und sah in die Halle des Wolfes. Schon oft war sie hier gewesen und schon oft hatte sie ihrem Totem ein Opfer dargebracht. Doch heute schien es ihr um ein vielfaches wichtiger und ernster zu sein, als je zuvor. Tief atmete sie durch, nickte dem Verkünder des Wolfes zu, als sie ihn passierte und die Stufen hinunter ging. Er sah ihr einen Moment lang nach, widmete sich jedoch wieder seinen Pflichten. Die Lautstärke und das Getümmel, welches wie üblich in dieser Halle herrschte blendete sie gänzlich aus, denn das Abbild des Wolfes zog sie zu sich.
Sie ging auf den Schrein zu und neigte das Haupt vor der Schamanin, die dort stand als hätte sie gewusst, dass die rothaarige Norn heute mit einer Opfergabe kommen würde. Schwer fiel die Wölfin auf ihre Knie, legte die Hände auf ihre Schenkel und neigte ihren Oberkörper nach vorn gen Boden, bis ihre Stirn beinahe den blanken Stein berührte.
Leise, mehr einem Raunen gleich, sprach die Norn dann zu ihrem Totem. Zu ihrem Geist, der sie bereits ein Leben lang begleitete.
„Wolf, mein Bruder. Du, der immer an meiner Seite läuft und an dessen Seite ich noch weiter laufe, höre mich an.“
Sie pausierte, atmete den warmen Atem auf die Steine vor dem Schrein und sog den Duft von Erdreich, Bier, Kräutern und Feuer ein. Erst nach einigen Augenblicken, als sie sich stark genug fühlte, erhob sie abermals das Wort. Und wieder war es mehr ein Raunen, welches Wolf galt.
„Mein Leben, meine Leidenschaft und meine Klinge. Durch dich, für mein Rudel. Für meine Kinder, geboren oder ungeboren. Schenke ihnen deinen Segen.“
Langsam richtete sie sich wieder auf und zog eine Schriftrolle aus ihrer Manteltasche. Sie war mit silbrigem Siegelwachs auf welchem ein Wolfskopf prangte, verschlossen. Diese schob sie in die Flammen des Schreinfeuers, wo sie unter den wachsamen Augen der Schamanin verbrannte.


Die Halle der großen Bärin war nicht weniger voll, doch war die Lautstärke hier geringfügig leiser. Auch hier nickte die Rothaarige dem Verkünder der großen Bärin zu, machte sich jedoch zielstrebig auf den Weg zur Senke hinunter, wo sie abermals schwer auf die Knie fiel. Es war einem Ritus gleich, den sie verinnerlicht hatte und der auf Abruf bereit war. Denn die Hände schoben sich auf ihre Schenkel und der Oberkörper neigte sich wieder weit nach vorne, ehe die Norn leise zu sprechen begann.
„Bärin, meine Mutter. Du, die meinen Rücken stärkt und mich prüft, in den Herausforderungen des Lebens, höre mich an.“
Wieder pausierte die Norn und atmete einige Male durch. Sie ließ sich Zeit, bewegte sich ohne Hast und war dennoch bis zum Bersten angespannt.
„Mein Herz, meine Sturheit und meine Stärke. Durch dich, für meine Jungen. Hilf meinem Ungeborenen die Herausforderung zu bestehen und schenke ihm deinen Segen.“
Hier zog sie einen geborstenen Pfeil aus der Manteltasche, dessen Spitze und ungefähr ein Drittel des Schaftes fehlten. In Gedanken drehte sie das Stück in den Fingern, ehe sie es den Flammen der Senke überließ.


Die Halle, die man Gevatter Rabe errichtet hatte, war schon immer faszinierend für die rote Norn gewesen. Doch heute hatte sie ihr Ziel klar im Blick, wo sie sonst gerne die Höhe und die Weite der Halle bewunderte. Auch hier galt der Verkünderin ein ehrfürchtiges Nicken und Moda sah ihr nach. Selbst dann noch, als sie zum dritten Mal an diesem Tag auf ihre Knie fiel und das Haupt tief nach unten neigte.
„Rabe, mein Vater. Du, der seine Schwingen um mich legt, wenn einst der Tag gekommen ist und meine Wege in die Nebel führen, höre mich an.“
Ihr Mund blieb offen stehen, als sie ihre Worte unterbrach und sich sammelte. Jedes Wort musste sorgfältig gewählt werden, denn das, was sie hier tat war von größter Wichtigkeit.
„Meine Seele, meinen Geist und mein Wissen. Durch dich, für meinen Schwarm. Schenke meinem Ungeborenen deinen Segen.“
Eine weitere Schriftrolle, doch ohne ein Siegel, wurde aus der Tasche gezogen und fand seinen Weg in die Flammenschale an dem Schrein des Geflügelten. Dieses Mal sah die Norn selbst zu, wie das Papier von den Flammen aufgefressen wurde.


Vor der Halle der Schneeleopardin hielt sie inne. Es war die Halle, die sie am seltensten aufsuchte und es war die Halle, die ihr das größte Unwohlsein bescherte. Tief atmete sie durch und ging schließlich hinein. Valharantha schien sogar kurzzeitig überrascht von dem seltenen Besucher, doch auch dieser wurde zugenickt und sich mit bedachten Schritten zu der Senke begeben, wo sie abermals auf ihre Knie sank.
„Schneeleopardin, meine Schwester. Du, die mir ihre Gabe leiht wenn ich sie verdient habe, höre mich an.“
Hier schwieg sie länger, denn es war ihr, als hallten ihre leisen Worte durch die Halle hindurch und hinaus in den kalten Wind. Ihr Körper spannte sich ein Stück mehr an und sie schloss einen Moment lang die Augen, ehe sie weiter sprach. Noch etwas leiser als zuvor.
„Meine Gedanken, meine Wege und meine List. Durch dich, für meine Jungen. Schenke meinem Ungeborenen deinen Segen.“
Und wieder zog sie eine Schriftrolle aus der Tasche, die aus mehreren Pergamenten bestand. Doch auch diese Rolle wurde in die züngelnden Flammen geschoben, wo sie nicht lange überlebte.


Zuletzt stand sie an der Senke der Verlorenen und sah zu dem Abbild der Eule hinauf. Graziös war das hölzerne Tier, welches zur Erinnerung und zu Ehren der Eule errichtet worden war. Und auch hier fiel die Norn auf ihre Knie, störte sich dabei nicht an dem Schnee der ihre Hose durchweichte.
„Eule… meine Mutter. Hoffnungsträgerin.“
Ihre Worte gerieten ins Stocken und sie schloss einen Moment lang ihre Augen. Sie wusste nicht, was sie dem Abbild der Eule sagen konnte. Welches Gebet vielleicht zu ihr dringen würde, wo so viele doch an ihr zweifelten. Langsam richtete sich die Norn auf, schob ihre Finger von den Knien auf ihren Bauch und atmete tiefe Züge der eisigen Luft ein und aus. Lange harrte sie so vor dem Schrein der Eule aus und sprach kein einziges Wort. Denn kein Wort konnte das ausdrücken, worum sie die Mutter bitten wollte.
Schließlich, als ein kleiner Schauer durch ihren Körper ruckte und ihre Hosenbeine spürbar durchnässt waren, regte sie sich wieder und zog ein Bündel aus ihrer Manteltasche. Es war ein wenig größer als ihre Hand und sie strich vorsichtig darüber, während sie sich erhob.
„Ich bitte dich, schenke meinem ungeborenen Kind deinen Segen.“
Damit schob sie das Bündel in die Flammenschale vor dem Schrein und sah zu, wie die Flammen zuerst den Leinstoff und danach Holz, Feder und Fell fraßen.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 2

  • Hogni hat eben immer Recht ;)

  • Ich wusste es!!! Sehr schöne Geschichte!
    Mir gefällt die Stimmung und die Umschreibung des ganzen!