Regen

Mühsam schlug sie ihre Augen auf, brauchte aber lange, bis sie auch nur einen Punkt in dem kleinen Kabuff fixieren konnte. Konnte mal jemand das Zimmer anhalten, damit es aufhörte sich zu drehen?! Sie kniff ihre Augen wieder zu, worauf sich der stechende Schmerz in ihrem Kopf einstellte und ihr ein kehliges, heiseres Brummen entlockte. Erst jetzt bemerkte sie den kupfernen Geschmack in ihrem Mund und so langsam kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück. Sie waren dunkel, teils lagen sie gänzlich im dicken Nebel ihres Vollrausches, doch an den kassierten Fausthieb erinnerte sie sich rasch, denn der Kiefer schmerzte heute stärker als am Vorabend. Da hatte sie sogar noch einen Schlag zurück gegeben. Zumindest hatte sie den Eindruck, dass sie sich vage an so etwas erinnerte. Die Finger und ihr gesamter Arm begannen sich schließlich träge zu bewegen und tasteten sich über das Lager. Doch nein, es war kein Fell oder Stoff unter ihr. Es fühlte sich an wie Holz und scheinbar lag sie auf dem Boden des stinkenden Kabuffs. Oder war sie es, die so stank? Unwichtich… drang es ihr in den Kopf, zusammen mit dem Gefühl eines grässlichen Brandes. Etwas hastiger tastete ihre Hand nach der ersehnten Flasche, bis sich die Finger zittrig um den Flaschenhals schlossen. So blieb sie einen Augenblick lang regungslos liegen, keuchte schwer aus, als hätte sie eben eine der größten Schlachten ihres Lebens bestritten. Außerdem musste sie ihre Konzentration darauf lenken, sich auf die Seite zu drehen. Sie wollte schließlich nicht an einem Schluck Rum ersticken. Obwohl… nein, das war kein Tod, der ihrer würdig wäre. All die Kraft, die sie im ausgelaugten Körper hatte, sammelte sie und begann sich zu drehen. Doch sie kam kein Stück weiter, denn ihr Körper fühlte sich so schwer, als hätte jemand Kanonenkugeln auf sie gelegt. Sie brummte trocken und blinzelte erneut vorsichtig, damit das Dämmerlicht ihren Kopfschmerz nicht noch unerträglicher machte. Träge hob sie ihre freie Hand und ließ sie schwer auf ihren Bauch fallen, um zu ertasten, was sie an einer Bewegung hinderte. Klatschend landeten ihre Finger auf nackter Haut und für einen quälend langen Augenblick hatte sie den Eindruck, dass ihr Bauch verschwunden war. Ein lautes, durchdringendes Grunzen ließ sie jedoch stutzig werden und sie patschte auf der nackten Haut herum. In ein Ohr hinein, über Augen hinweg und dann zu einer Nase, bis ihre Fingerkuppen plötzlich auf Zähne stießen. Langsam, mit jedem weiteren Stück das sie erkundete, stellten sich weitere Erinnerungen an den vergangenen Abend ein, bis sie schließlich wieder halbwegs klar wusste, was – oder eher wer da auf ihr lag und ihr auf den Bauch geiferte.


Gefühlte Stunden später stürzte sie wankend aus der Türe hinaus auf den kleinen Ausguck und fand sich im strömenden Regen wieder. Eine Hand krallte sich an die Rumflasche, während die Andere sich mit Müh und Not an dem Geländer des schäbigen Balkons halten konnte und sie sich damit gerade so auf den wackligen Beinen. Die Wolken ergossen alles, was sie gesammelt hatten über Löwenstein, das beinahe so düster wirkte, wie vor einigen Jahren. Und das Weib goss sich den Rum in den Rachen, verschluckte sich dabei und lehnte sich hustend und keuchend mit dem nackten Hintern an das Geländer. Der Regen wusch den alten Alkohol, den vielfältigen Dreck und das Blut nach und nach von ihr ab und sie genoss das kühle Nass auf ihrem müden und ausgelaugten Körper, sowie den brennenden Rum in ihrer Kehle.



25 Jahre zuvor


Im strömenden Regen stand das junge Mädchen an den Docks von Löwenstein und schaute hinaus auf die Bucht, die durch die vielen Tropfen aufgewühlt war und wie eine wilde Menge an Würmern aussah, die ins Wasser sprangen. Das hellblonde Haar klebte in ihrem blassen Gesicht, aber das Mädchen grinste dennoch fröhlich und sah dem Spektakel mit großer Faszination zu. Um sie herum lagen kleinere Schaluppen und Barkassen vor Anker, doch die großen Schiffe die lagen weiter draußen. Und eins davon, das hatte sie schon öfter gesehen. Es war eine Schebecke von beeindruckender Größe, hatte dunkle Planken und drei Masten mit noch dunkleren Segeln. Aber diese sah man bei diesem Wetter nicht, sie waren eingeholt. Doch besonders die Flagge, die dieses Schiff gehisst hatte zog das Mädchen in seinen Bann, denn eine Handvoll Kinder hier in Löwenstein hatten ihr von dem Kapitän dieses Schiffes erzählt. Blutfaust, wie das Zeichen auf der Flagge. Eine rote Faust mit gekreuzten Säbeln im Hintergrund.
„Holst dir noch‘n Tod.“ Eine tiefe, leise Stimme in ihrem Rücken grollte ihr die Worte entgegen, worauf das Mädchen herum wirbelte und die Strähnen des nassen blonden Haares in ihr Gesicht klatschten. Sie wischte sich diese aus der Sicht und schaute nach oben. Weit nach oben.
„Uh! Ho!“ Ein Norn stand vor ihr, so groß und breit, dass er sie sicher mit zwei Fingern zerdrücken konnte. Dennoch grinste das Mädchen.
„‘s läuft heut keiner aus, aye?“
„Weiß ich doch!“
Unter dem Bart, dessen Spitzen von ein paar Wassertropfen behangen waren, zeichnete sich ein Grinsen ab. Der Norn ging locker in die Hocke und stemmte seine Ellenbogen auf seine Knie. Nun war er beinahe auf Augenhöhe mit dem Mädchen.
„Un‘ was macht‘n Stump‘n wie du hier?“
„Ich wollt‘ die Schiffe anschau‘n un‘ im Regen steh‘n. Daheim gibt‘s nur Schnee,“ sie hob die Schultern, klang sogar ein wenig enttäuscht. „Da bin ich halt wieder abgehau‘n. Außerdem will ich den Käpt‘n treff‘n!“
„Chrm…“ Der Norn brummte grollend tief, wie ein Bär. Sein Blick folgte dem Deut des Mädchens durch den Regen hindurch die Bucht hinaus. Sie zeigte auf das Schiff mit den schwarzen Segeln, das vor Anker lag und der Norn lachte donnernd auf. „Dann komm, Stump‘n.“ Er erhob sich wieder.
„Ich heiß‘ Valka! Un‘ ich bin eine echt starke Norn und kein Stumpen! Wirst schon seh‘n!“
Er nickte knapp, was sie von dort unten nicht sehen konnte, da sie ihm mit eiligen Schritten folgte, um überhaupt Schritt halten zu können. Er führte sie fort von den Docks.
„Und wer bist du? Weil mein Pa sagt immer, dass ma‘ nich‘ mit Fremden geht!“
„‘ch bin der Käpt‘n. Eero Blutfaust.“

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

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