Die Geister geben, die Geister nehmen

Sie lehnte mit dem Kopf am Stützbalken der Rudelhütte und schloss die Augen für ein paar tiefe und ruhige Atemzüge. Es waren anstrengende Tage vergangen und dabei hatte sie kaum etwas getan. Rundgänge, die nicht in den Räumen des Wolfsrudels endeten; Versuche, die Stiefel für ihre Rudelschwester zu fertigen; Schneestunden mit dem Sohn, der immer wissen wollte warum denn Vivi nicht nahe der Hütte saß und die Schnauze in die Luft streckte. Gefasst hatte sie es dem Kind erklärt und Jonne hatte den Tod der grauen, alten Wölfin halbwegs verstanden. Er hatte sie angegrinst, geklatscht und ihr erklärt, dass Vivi – so wie er die Wölfin nannte – nun bei ihrem Bruder war.


Nun lächelte sie ihrem Kerl ins Gesicht, doch konnte sie den Schmerz nicht verbergen, der noch immer in ihr brannte.
„Wie geht es deinem Arm?“
Er hob den Blick von der Wurst, die er gerade schnitt und reckte ihr ein Stück davon entgegen, auch wenn sie zuvor verneint hatte. Sein Blick suchte dabei den Ihren und sie hielt ihm stand.
„Gut. Und wie geht es deinem Herzen?“
Es war wie ein Stich in eben dieses. Der Schmerz flammte erneut tief in ihrer Brust, sodass ihr kurz der Atem wegblieb. Sie schloss die Augen, zwang sich erneut zur Ruhe und schüttelte langsam den Kopf. Erst als sie sich sicher war, dass ihre Stimme nicht im Wort abbrechen würde, antwortete sie.
„Wolf hat uns vereint und Wolf hat uns getrennt. Es war für sie an der Zeit, doch sie hat ein Stück von meinem Herzen mitgenommen.“
Ihre Worte klangen auswendig gelernt, aber sie wusste nicht, was sie sonst denken sollte. Es war das einzig Richtige, genau an dies zu glauben. Wolf hatte gegeben und Wolf hatte genommen.
Er schob sich das Stück Wurst selbst in den Mund, als sie nicht danach griff. Kauend ließ er ihre Worte wirken und schob sich noch ein Stück Käse in den Mund, während er sie weiterhin mit seinem Blick bedachte. Schließlich ergriff er das Wort und seine Stimme klang ruhig und warm, in tiefem Bass durch die Ruhe der Hütte.
„Sie hatte ein schönes Leben und einen ehrenvollen Tod. Nun kann sie im großen Rudel auf alle Ewigkeit jagen. Und es ist gut, dass sie ein Stück deines Herzens mitgenommen hat, denn so seid ihr auf alle Ewigkeiten verbunden. Doch solltest du nicht trübselig in der Hütte hocken, sondern dich darüber freuen, dass sie ein neues Abenteuer erleben kann. Wenn dein Herz vor Freude pocht, wird sie es in den Nebeln spüren.“
„Ich will ihren Tod nicht betrauern. Doch jedes Mal, wenn ich an sie denke und an das, was wir gemeinsam erlebt haben, dann erinnert es mich daran, dass ich von nun an alles erneut tun werde. Nur ohne sie.“ Ihre Stimme versagte und sie presste die Lippen aufeinander, um ein Schluchzen zu ersticken.



Ein blasses Mädchen stand zitternd und heulend in der Mitte eines Rudels aus Wölfen. Sie schluchzte, lauschte vielleicht gar nicht den Worten, die der Schamane zu ihr sprach. Ein Stück entfernt wurden die beiden Scheiterhaufen aufgetürmt und noch ein Stück weiter lagen zwei große, in Leinen gewickelte Tote. Aus der Meute heraus tollte eine Welpe, rannte gegen die Beine des Mädchens und beide sahen sich einen Augenblick lang an. Das Kind rieb sich die Augen und die Welpe sprang wieder auf die Füße, nur um vor dem Mädchen herum zu springen und sie möglichst zum Spielen zu animieren. Der Schamane sah der Szenerie schweigend zu, während sich unter seinem Bart ein Lächeln abzeichnete. Er nickte, als das Mädchen zu ihm aufsah und sah ihm nach, als es begann, auf das Spiel der Welpe einzugehen.


Eine Jungnorn rannte einer grauen Wölfin nach, durch den Wald hindurch. Ein breites Grinsen auf den Lippen, versuchte sie das Tier einzuholen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Dabei nutzte das Tier nicht einmal sein volles Potenzial, lief nicht einmal auf höchster Geschwindigkeit. Sie sprinteten zusammen, maßen ihre Kräfte im Lauf. Schließlich blieb die Norn keuchend und schnaufend stehen, stemmte die Hände auf ihre Knie und zog heftig nach Luft. Die Graue trottete gemächlich an ihre Seite und setzte sich hin. Sie schnaufte aus und es schien, als würde sie die Norn ein klein wenig verspotten. Doch die Norn lachte leise auf, kraulte der Wölfin rasch den Nacken.


Wieder standen die Norn und die Wölfin nebeneinander. Gemeinsam sahen sie auf den toten Körper eines breiten Kerls, der im Schnee lag und diesen teils rot gefärbt hatte. Die Finger der Norn stahlen sich hinter die Ohren der Wölfin, kraulten locker. „Danke, Freundin. Jetzt lass uns schnell gehen.“ Und damit nahmen sie die Beine in die Hand und verschwanden im Wald.


Sie standen im Schatten des Hjölmsholmir. Die graue Wölfin drängte ihren Körper an die Beine der mittlerweile erwachsenen rothaarigen Norn und das Nackenfell der Grauen stellte sich etwas auf und auch das Weib erschauderte ein wenig. Gemeinsam atmeten sie aus, sahen sich dann nach dem restlichen Rudel um und schlossen rasch wieder zu den Norn auf, die sie in die Weiten der Firnhall‘ begleitet hatten.


Viereinhalb Finger schoben sich in das Nackenfell der grauen Wölfin, griffen hinein und die Stirn der Norn legte sich an den Kopf des Tieres. Leise raunte das Weib Worte, die nur für die Wölfin bestimmt waren. „Ein Band geknüpft und Jormag wird uns nicht trennen. Dein Leben für meins, mein Leben für deins und nur Bruder Wolf und Gevatter Rabe werden unsere Körper trennen, nicht aber unseren Geist.“


Blinzelnd sah sie den Kerl an, der sich mittlerweile an ihre Seite gesetzt hatte und dessen Arm um ihren Körper geschlungen war. Tief atmete sie durch und drückte sich an ihn.
„Sie wird dich immer begleiten. Nur auf eine andere Art und Weise, wie du sie gewohnt bist.“
Langsam begann sie zu nicken, denn sie wusste, dass der Kerl recht hatte. Es würde nur dauern, bis sie sich daran gewöhnte.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 4

  • Oi, traurige Geschichte, aber wunderschön bildlich geschrieben ! Ich will die Like Funktion hier immer noch haben !

  • So schöne traurige Geschichte. Das erinnert mich ein wenig daran was meiner Norn irgendwann bevorsteht... Arme Nia. Wiedermal sehr schön geschrieben :)

  • Vielen Dank! :)

  • Das war sehr rührend. Und hat mein Interesse für Norn ein wenig mehr geweckt.


    Schöner Stil mit der helleren Farbe für die Rückblende :)