Abgestürzt in Orr


"Die Beine...meine...", presste der junge Soldat hervor, dessen Kopf sie stützte. Der Schweiß rannte ihm, er zitterte. Roy blickte an ihm herab. Es war nicht mehr viel zu machen, die stetig blutenden Beinstümpfe endeten noch lange vor den Knien.
"Die sind immer noch länger als die von Tzup.", versicherte Roy ihm.
Er hustete, krächzte, lachte. Er hielt sich tapfer. Vielleicht würde Grenth ihn dafür applaudierend empfangen, wer weiss.
"Ich...bin nichts ohne meine Beine..."
Er trug die Uniform eines Spähers. In dieser Situation hätte man aber auch einem Bürohengst ohne jede Widerworte geglaubt.
"Die kann man inzwischen wieder nachwachsen lassen.", behauptete Roy.
Er sah sie benommen an. "Die...Beine? Ernst...haft?"
Sie nickte sicher.
"Ja. Wie bei Pflanzen. Neue...Forschung von Asura und Sylvari. Alles wie neu dann...nicht wahr Tzup?" Sie sah über die Schulter zu Tzup, der Asura nickte.
"Richtig...eine Injektion, die mit....nanomagitechnologischen Mikropartikeln die Selbstheilungskräfte in der Blutbahn modifiziert. Genau wie bei einem gebrochenen Ast."
Die Augen des Soldaten hellten sich auf, er schmunzelte schwach. "Genau wie bei einem...? Tut... höllisch weh, ah...?"
"Im Gegenteil." Tzup öffnete seine Ledertasche und holte eine kupferfarbene Spritze hervor. Er injizierte das Mittel in den Oberschenkel. Der Soldat biss die Zähne aufeinander, sah zu Roy auf, die ihn anlächelte.
"Wir seh'n uns im Lazarett."
"...ah?"
"Oh, ich werd' dir Frühstück ans Bett bringen."
Er lächelte, nickte schwach.
"Was darf's denn sein?"
Seine Lider flatterten, leise murmelte er etwas von Mutters Linsensuppe, von Sesambrot aus Ebonfalke, von ascalonischen Gewürzen...
Nicht eine Minute später atmete er ganz ruhig, starrte geradeaus.
Der Kopf des Soldaten rollte in Jaroyeshs Panzerhandschuhen langsam zur Seite, ehe seine Augen brachen. Vorsichtig schob sie seine Lider nach unten, ließ ihn sanft auf den kühlen, nassen Sand gleiten. Sie blinzelte, wartete, dass ihr eine Träne aus den Augenwinkeln trat.
Aber nichts da.
Versiegt, leer.


Sie setzte sich neben ihn, schwieg. Der Asura setzte sich dazu.
"Ob es wirklich mal sowas gibt?", fragte sie nach einer Weile.
"Künstliche Glieder? Möglich." Tzup öffnete zwei Bierflaschen mit seinen Klauen, reichte ihr eine. Er sah zu den Norn, die das Wrack des Kopters durchsuchten. "Piraten sind Pioniere, was künstliche Glieder angeht..."
Roy zuckte mit den Schultern. Stieß an.
"Der Kiefer ab..."
"...ihr fehlt das Ohr..." , ergänzte Tzup.
"...Liselotte kam aus..."
"...Orr!", schlossen sie beide, tranken.
Erneutes Schweigen, für den Moment.
"Und du bist ernsthaft Taktiker?", fragte Roy schließlich, skeptisch.
"Richtig."
"...seit wann das?"
"Ich wurde befördert, von Hauptmann Knochenspalter, nach Taktikerin Karlsdottirs Ableben."
Sie lachte trocken auf.
"Das kann ja jeder behaupten! Und wenn das stimmt heisst das lang' nicht, dass du Ahnung hast."
Er schob den Kopf näher, flüsterte. "....willst du ernsthaft, dass einer von denen uns anführt?"
Der Asura deutete auf Cranguz. Der Charr lachte, feuerte aufs Meer und auf die darin treibenden, toten Absturzopfer, während Olbert sich den Kopf am Kopter stieß und dafür lauthals von Svantje ausgelacht wurde.
Sie grinste schief und schüttelte den Kopf. "Äh...nein, du machst das schon ganz gut." Sie trank einen Schluck. "Nur übersieht man dich auf dem Feld manchmal."
"Man übersieht...? Ah. Plumper, rassistischer, diskrimierender Humor. Wie witzig.", bemerkte er trocken.
"Das is' immer noch der beste.", entgegnete Roy. Sie nickten sich zu und stießen an, tranken, schwiegen.
"Wheeeeeeeeeeewww!", rief der Charr und feuerte seine gewaltige Kanone erneut ins Meer ab.
Farlif, Sam und die Norn waren fertig mit dem Durchsuchen des Kopters. Niemand außer dem jungen Soldaten schien den Absturz überlebt zu habem. Vor dem Aufprall war er aus dem Kopter gefallen, in seinem Glück hatte ihm ein Rotorenblatt aber die Beine zerfetzt. Die anderen waren von einer Explosion am Heck dahingerafft, durch die Gegend und ins Meer geschleudert worden. Sechs Opfer zählten sie.
Die Steuerkanzel ragte in die Höhe.
Die Soldaten hatten eine kleine Gruppe Untoter niedergemacht, die die Reste nach dem Absturz aufpicken wollte. Das hatte dem Soldaten zumindest einen angenehmen Tod gesichert.
Roys Zeigefinger ruckte vor, zur Nase des Soldaten, sie zog ihn wieder zurück. Wieder ruckte er vor. Sie zog ihn wieder zurück.
"Brauchst 'nen Schuss Pilzsuppe?", fragte der Asura nach einem weiteren Mal.
"Nee, nein..nur ein ganz kleiner Zwang." Schließlich tippte sie ihm auf die Nasenspitze. Nochmal. Dann stand sie auf, wandte sich ab.
"Wenn du ne Spritze brauchst, sag's nur...", erwähnte Tzup und erhob sich ebenfalls, ließ den Kopf knackend kreisen.
"Eh, habt ihr sowas schon mal gesehen??", rief Svantje. Wie eine schreckliche Puppe hielt die Norn einen zerfallenden Orrianer am Hals in die Höhe. Er trug eine Maske - darauf ein ausgeblichenes, breites Grinsen, zwei schwarze Augenlöcher, ein rotes, blasses Pünktchen auf der Nasenspitze. Lustiger Kragen mit Glöckchen. Ein Hofnarr, verspottet vom Tod selbst. "Den pack' ich so komplett in den Ekelsack!!", meinte sie glucksend, der Vorschlag wurde einstimmig abgelehnt, doch man erlaubte ihr die Maske vom Gesicht zu reißen.


Vier Orrianer hatten derweil den Hügel erklettert, wohl angelockt vom Kopterabsturz. Tzup verengte die Augen, nahm das Gewehr vom Rücken. "Es werden immer mehr hier herwandeln....wir sollten unsere Position wechseln."
Cranguz eröffnete bereits das Feuer. Der erste Treffer ließ die Schulter eines Orrianers explodieren, den Kopf zur Seite rucken und ihn wie einen Betrunkenen in den Dreck fallen.
"Ne Schande ist das. Wie schön die beieinander stehen! Ich geb' euch zehn Menschenzähnchen für nen Flammenwerfer!", rief er, nahm den nächsten ins Visier.
Sam rannte eifrig los, schlug einem Orrianer die Kette gegen den Schädel. Er wankte nach hinten. Ihre glühende Handfläche presste sie ihm gegen den Bauch, durch welchen sie sich rasant hindurchschmolz. Der Untote begann von innen her zu glühen, zuckte, als Feuer und Rauch aus Mund und Augen trat, seinen Schädel schmolz.
"Haha, Flammenwerfer.", lachte Olbert trocken.
Ein Charr kam hinzu, auf allen Vieren hopsend. Graupinkes Fleisch, ein paar Fellfetzen und Lumpen hingen noch an ihm. Die Augen lange zerfallen oder aus den Sockeln gefressen.
"Na sowas!", lachte Cranguz überrascht. "Du Verräter, was lässt du dich mit Menschen ein!?"
Er feuerte auf ihn, verkrüppelte ihn am Bein, er stürzte. "Was meint ihr wie alt der ist? Ist der noch von der Invasion?" Wieder wurde auf den zappelnden Leib draufgeschossen, nochmal.
Roy sah allem zu, hatte den Schild noch auf dem Rücken, den Kolben am Gurt..
"Probiers doch mal.", bat Tzup Roy und händigte ihr sein kleines Gewehr aus.
Der letzte Orrianer, er trug einen metallverstärkten Harnisch, wackelte heran. Roy streckte ihren Arm aus, nutzte das kleine Asuragewehr wie eine Pistole.
"Hrm.", sagte sie, ehe sie abdrückte.
Der Untote ruckte nach hinten, als der Blitz die Schulter traf. Er stand wieder auf. Olbert hackte ihn mit einer Axt entzwei.
"Hrm.", wiederholtte Roy nur, gab dem Asura die Waffe wieder.


Canguz trat an den Untoten, den er geschossen hatte, heran. Er trug ein Kettchen, das in Nasenloch und Ohrläppchen eingehakt war. Er riss es grob heraus, samt Ohrläppchen packte er es in eine seiner Gürteltäschchen, die er für die Beute vorgesehen hatte.
"Wenn er da oben so zugetackert ist dann ist'er's sicher auch...", der Charr begann, die Klaue in den Hosenbund des Toten zu haken.
"Was zum...", wunderte sich Farlif.
"Lass das!", rief Sam.
"Abartiger Typ!", rief Roy
"Aufhören!", befahl Tzup
"Widerlicher, echt ne!", sagte Svantje mit lachendem Kopfschütteln.
"Ekelhaft. Kaputt.", kommentierte Olbert.
"Hä?", fragte Spaxx, rieb sich den Kopf.
Cranguz nahm die Klaue vom Hosenbund, hob die Arme. "Schmuck ist Schmuck...aber meinetwegen...", brummelte er.
Der Charr stellte sich wieder an den Strand, gerade legte er an, um weiter auf die Körper im Meer zu feuern, da wurde die Pilotenluke von Innen aus dem Kopter getreten.
"Wag es nicht! Du fetter...", hörte man die kehlige Stimme des Piloten, der keinen Platz gehabt hatte sie mitzunehmen. Sein blutverschmierter Kopf schob sich aus der Luke, seine goldgelben, zornsprühenden Augen fixierten Cranguz. Sein schwarzes Fell glänzte von der Platzwunde am Kopf, doch er wirkte noch sehr lebendig. "Was tust du da, Missgeburt?? Nenn' mir einen Grund dich nicht mit deinen fetten Därmen zu erwürgen!!" Er hievte sich aus dem Kopter, auch sein Bein schien verletzt. Er taumelte, hinkte, was ihn aber nicht daran hinderte, auf Cranguz zuzustampfen. Ein drahtiger, muskulöser Kerl, größer als der dicke Cranguz. Cranguz lachte, zielte auf ihn.
"Du schon wieder! Dachte du bist tot! Schade dass ich nicht durch die Luke geschossen habe!"
"Sofort....mit dem Schießen aufhören...wenn du nicht willst, dass ich dir dein Bajonett in den Arsch schiebe und abdrücke!", keuchte er.
"Negativ!", äffte er ihn nach, lachte, feuerte nochmal ins Meer, ehe er wieder auf den Schwarzen zielte. "Ich knall sie ab bevor sie wieder aufwachen und dich zerfleischen. Du solltest mir danken, Maus."
"Fresse, Fleischwurst!"
"Oh, du gibst mir die Schuld, dass ich deinen Scheißdreck aufräume?? Ist das meine Schuld, dass deine Mutter zu viel Maschinenöl gesoffen hat? Dass du deine erbärmliche Schmeissfliege nicht in der Luft halten konntest?"
Der Pilot stampfte wutschnaubend weiter, Cranguz grinste unerträglich hämisch, konnte sein Maul nicht halten, jetzt wo er in Fahrt war.
"Stahlll..lllibelle, was für ein lächerlicher, beschissener Name!"
Der Verwundete kam unaufhaltsam näher, blieb vor Cranguz stehen, blickte furchtlos schweigend in den Lauf.
Und Cranguz laberte und laberte. "Weisst du Schrapnellfresse, wenn du da oben in deinem bequemen Kopterstühlchen sitzt, hälst du dich vielleicht für'n Oberlegionär, aber hier unten im Dreck bis' du nix. Niiiichts."
Cranguz grinste ihn weiter hämisch an, das Gewehr noch immer auf den Piloten gerichtet. Das reichte dem Schwarzen dann, er schlug die Waffe mit einem schnellen Klauenhieb zur Seite, packte den dicken Hals des überraschten Cranguz und gab ihm eine Kopfnuss, die ihn nach hinten trudeln ließ. Ein Schuss löste sich und pfiff durch den Kopter ins Meer.
"DU...bist NICHTS!", brüllte er schnaubend, als er sich auf Cranguz stürzte, ihn zu Boden rang, ein Knie auf den Bauch drückte und begann auf ihn einzuprügeln. Cranguz Versuche der Gegenwehr wirkten erbärmlich, verglichen mit der präzisen Gewalt des Piloten. Er packte Cranguz' Hörnchen und hämmerte seinen Kopf in den Matsch. Cranguz rief nach seinen Kameraden. "Na...los...knallt ihn ab! Er ist irre!!"
Svantje lachte schallend. "Hast' endlich deinen Kater für's Leben gefunden, wah??"
Olbert schloss sich an. "Hübsch, ihr zwei!"
Cranguz knurrte, keuchte, als ihm die Visage blutig gehauen wurde, bis er sich nicht mehr wehrte und es über sich ergehen ließ. Der Pilot stand schnaubend von ihm auf, bespuckte ihn, gab nochmal einen Tritt in die Seite ab. Dann nahm er das Gewehr an sich. Er entdeckte den toten Soldaten neben Roy, blickte auf die Leiber im Meer. Keine Trauer, nur Wut und geballte Fäuste. Bis auf Spaxx hatten sich alle um die Kämpfenden versammelt. Niemand hatte eingegriffen. Vielleicht konnte der Pilot Cranguz Lektionen erteilen, für die sie keine Geduld mehr fanden.


"Recke Sy Glutrausch, Stahllibelle.", meldete er und blickte Olbert an. Der Norn war der größte und stärkste, also hielt er ihn wohl für den Anführer. "Was seid ihr überhaupt für ein Haufen? Und wer hat dieses Viech da in die Welt geschissen?" Er deutete auf den hustenden Cranguz, der sich zäh aufstützte.
"Er...spricht nicht für uns.", vermeldete Tzup.
"Das hat er vorhin sehr wohl getan...", schnaubte Sy.
"Er drängt sich gerne in den Vordergrund."
"Der Gnadenschuss ist lange überfällig. Ich helf' euch wenn ihr's nicht hinbekommt-" Der Charr zielte auf Cranguz Kopf.
Tzup machte einen Satz auf ihn zu, wedelte mit den Händen.
"Wartet...wartet. Er ist eine wandelnde Katastrophe. Das wissen wir. Aber nicht nur für uns, sondern auch für die Untoten. Wir sollten mit unseren Ressourcen sparsam umgehen!"
Cranguz fletschte die Zähne, sein Gesicht war blutverschmiert. "Pah. Solche Freunde wünsch' ich meinen Feinden..." Er sah zwischen Tzup und Sy her. "Harr! Schon passiert! Wintertag erfüllt alle Wünsche!" Er spuckte Blut in den Schlamm.
Sy humpelte wieder auf ihn zu, ebenfalls die Zähne fletschend.
"Eh...he! Schon verstanden!", stammelte Cranguz, ehe er einen überraschenden Tritt in die Wunde des Piloten gab, was diesen jaulend zu Fall brachte. Cranguz lachte dreckig und ging zum Angriff über. So abstoßend er sein konnte, sein Kampfgeist suchte seinesgleichen.
"Das...wirst du dein Restleben lang bereuen, Klumpen!", schnaubte Sy und ließ Cranguz die Faust spüren....
"Ich bin unbesiegbar du Kackfass, wenn ich mit dir-" Ein Schlag in den Mund.
"KACKfass?? Ist das dein Ernst??" Sy prügelte weiter.
Farlif legt die Stirn in die Hände.
Tzup räusperte sich, schüttelte den Kopf.
"Also...gut. Wie ihr wollt. Wir...sind hier fertig. Lasst sie spielen. Sich umbringen. Ich hab' genug gesehen...", verkündete der Asura, vielleicht in der Hoffnung, dass die beiden Charr dann aufhören würden. Fehlanzeige.
"Wir...wir sollten hier weg!", rief Spaxx, der den Hügel erklommen hatte, um seinen trüben Gedanken nachzuhängen, aber nun etwas weitaus schlimmeres erblickte. Er deutete panisch auf die Ebene, eine untote Horde kam auf sie zu. Eine sehr große Horde.
"Orrianer, Hunderte!"
Sam spurtete zu ihm, schüttelte dann aber den Kopf. "Nicht hunderte! Aber......bestimmt...über hundert."
"Riesen, die haben Riesen dabei...!", rief Spaxx und humpelte die Anhöhe wieder herunter.
"Das sind keine Riesen! Aber...aber groß... Gorillas, sowas!", verbesserte Sam, schlitterte dem Asura hinterher.
"Ach was, die machen wir platt!", rief Olbert.
"Ho!", rief Svantje.
"Keine Chance!", rief Sam, schüttelte den Kopf.
Die Charr hatten aufgehört mit ihrem Geplänkel. Wie ein ertapptes Liebespaar sahen sie in die Richtung, aus der die angebliche Horde kam.
"Tzup?", fragte Roy und räusperte sich. "...Taktiker?"
Gebrüll, Geschimpfe, Befehle, Vorschläge...alles wurde durcheinandergerufen, während die Horde näherkam.

Kommentare 1

  • Das war eine sehr lustige, wenn anfangs auch traurige Geschichte. Dennoch schön geschrieben und ein toller Einblick in so ein tägliches Leben eines Trupps :)