Deserteur

„Es geht dich einen Scheiß an warum ich das hier mache, Maus!“ Ich keifte dem Menschen die Worte entgegen und all der Hass und die Abscheu legte ich mit hinein. Er war Abschaum. Schwacher und weicher Abschaum. Aber er war Abschaum, dessen Boss besser bezahlte und damit mein Gehalt als Legionär erheblich aufbesserte. Das hässliche Geschöpf von einem Menschen grinste nur überheblich und stellte die Tasche mit den Sprengsätzen vor mir ab. Ich schnaubte abfällig aus und warf einen prüfenden Blick in die Tasche, während die Maus mit großen Reden erklärte, wie diese kleinen Dinger funktionierten. Maus war sich ja so unglaublich sicher, dass ich ihn nicht reißen würde wie ein Stück Fleisch. Die vier Gewehrläufe, die auf mich gerichtet waren, würden ihm das Leben jedoch nicht retten. Zumindest nicht, wenn ich es darauf anlegte. Ich dachte tatsächlich kurzzeitig darüber nach, diesem selbstgefälligen Stück Scheiße die Kehle heraus zu reißen.Ich tat es nicht. Stattdessen kehrte ich mit der kleinen Tasche zurück zur Wacht, schloss mich dabei der Patrouille meines Trupps an. Sie stellten keine Fragen mehr, denn sie wussten, dass ich oft genug außerhalb unterwegs war. Ich hatte ihnen erzählt, dass ich außerhalb des Stützpunktes besser nachdenken konnte. Und nach drei Jahren hatten sie aufgehört, zu fragen und meine Tarnung war somit perfekt. Die Tasche trug ich verborgen unter meinem Mantel, wohl wissend, wie dieser Tag ausgehen würde.


Es war keine große Herausforderung, die Sprengsätze in die Munitionskammer zu bringen. Die beiden Soldaten, die an der Türe Wache schoben würden die Detonation und damit verbundene Explosion nämlich nicht überleben. Und sie waren die Einzigen, die mich gesehen hatten. Eigentlich war es schade um die beiden Soldaten. Sie hatten meinem Trupp gut und treu gedient. Doch was tat man nicht alles, für einen angemessenen Ausgleich. Kollateralschäden waren schließlich Tagesordnung.
Lange hielt ich mich nicht mit der Sache auf. Es war so simpel, dass selbst ich es verstand. Anbringen, einen Knopf drücken, den zweiten Knopf drücken und eine Stunde warten. So würden die Sprengsätze hochgehen, wenn ein Großteil beim Fressen wäre.
Ich glaube, ich lief etwas zu angespannt durch die Kaserne, denn einer meiner weiblichen Soldaten gesellte sich an meine Seite und ich blieb mit ihr gemeinsam einen Moment lang stehen. Wie so oft sah sie sich nochmals um, ehe sie mir über die Schnauze leckte und leise schnurrte. „Du bist angespannt.“ Mehr sprach sie nicht. Kalla war noch nie eine Charr vieler Worte gewesen. Ich nickte. „Der Einsatzbefehl morgen. Ich gehe die Pläne der Unterkünfte durch. Wir sind zwar viele, doch es soll glatt laufen.“ Ich setzte meine Schritte fort und Kalla begleitete mich. Sie war wie ein stiller, tödlicher Schatten. Mein stiller, tödlicher Schatten. „Du hoffst auf eine Beförderung.“ Ihre Worte brachten mich nicht dazu, aufzusehen, denn ich behielt weiterhin lieber das platt getrampelte Erdreich vor uns im Auge. Doch ich nickte langsam und kam zu dem Entschluss, dass selbst sie mir alles glaubte. Niemand schien auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, was heute noch passierte.


Selbst ich nicht.


Denn die Sprengladungen gingen früher los, als ich erwartet hatte. Es war just in dem Moment, als einer meiner Soldaten mit den quirligen Jungen über den Platz lief. Die Explosion schallte weit, Trümmer flogen durch die Luft und schlugen hier und da ein, wie auch Teile von zerfetzten Leibern. Die Mäuse mussten mich betrogen haben. Das war der erste Gedanke, der sich in mein Hirn brannte, als ich die schwarze Rauchsäule aufsteigen sah, in Mitten des geordneten Chaos. Die gesamte Wacht schien auf den Füßen, Wasser wurde geholt, Verletzte unter Trümmern hervor gezogen und Tote geborgen. Ich schaute mich um und mein Hirn schaltete einfach um. Meine Tat würde bekannt werden, wenn ich jetzt nur untätig sein würde. So stachen mir meine Soldaten ins Visier, die mich teils beobachteten. „Worauf wartet ihr! Das Feuer löschen und die Verletzten rausholen!“ Sie rannten davon, soweit sie das eben konnten und taten alles, um dem Brand entgegen zu wirken. Nur einer meiner Soldaten bewegte sich kein Stück. Ich trat an die Seite des grauen Weibchens und richtete mich zur vollen Größe auf.
„Kalla, los!“ Sie regte sich nicht. Ich sah ihren nahezu leeren Blick, der über die Flammen wanderte und musste feststellen, dass es das erste Mal war, das sie meinem Befehl nicht direkt Folge leistete. Erneut erhob ich die Stimme und bellte ihr laut und rau den einfachen Befehl entgegen. „Soldat! Verletzte versorgen! Abtreten!“ Ihre stechend grünen Augen fixierten mich einen Augenblick lang und ich dachte kurzzeitig, sie würde mich zerfetzen oder Schlimmeres tun. Doch dann nahm sie Haltung an, schlug sich die Pranke auf die Brust und machte sich an die Arbeit.
Erst später wurde mir bewusst, dass ich sie am Nachmittag das letzte Mal lachen hörte. Vermutlich lag es daran, dass unter den Toten unser Junges war.



Der Charr, welcher in seiner Zelle auf dem Boden saß unterbrach seine Erzählung. Er sah schäbig aus. Das Fell völlig verfilzt und besudelt mit den eigenen Ausscheidungen, Ruß und anderem Unrat. Die grellgelben Augen wirkten müde und der gesamte Körper ausgelaugt. Seine Ohren zuckten auf, als das Tor zum Gefängnis quietschend geöffnet wurde und eine in Rot gekleidete Charr eintrat. Er hörte den Aufseher etwas dumpfes knurren, worauf sich das Tor wieder schloss und man nur noch das dröhnende Wummen der Maschinen innerhalb des Kerns hörte.
Erst der Schatten des sehnigen Körpers ließ das Männchen aufschauen, hoch zu den stechend grünen Augen. Der Deserteur wusste, was in den nächsten fünf Minuten geschehen würde. Denn es geschah alle zwei Monate. Immer dann, wenn das Weibchen scheinbar genügend Münzen ihres Lohns beiseite gelegt hatte, um sich diese fünf Minuten bei dem Aufseher zu erkaufen. Ein schneller Schuss in den Kopf wäre ihm wesentlich lieber gewesen, als der geistige Kampf mit den Fähigkeiten der Nekromantin.
Als das Weibchen den Kopf leicht in eine Schräglage drehte, konnte er sich nicht dagegen wehren. Er konnte dem Drang nicht widerstehen, weiter in die greller werdenden grünen Augen zu sehen, während sich darin Bilder abzeichneten, die ihm vor Angst und Schrecken den Körper schlottern ließen und sich in seine Netzhaut brannten.


Die Erkenntnis traf ihn wie ein Faustschlag: Er würde sich niemals darauf vorbereiten können. Denn die Rache der Blut-Soldatin ihrem ehemaligen Legionär gegenüber war für den Moment kurz aber anhaltend bis zu seinem Tode.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 8

  • Ganz unterschiedliche Einstellungen zu Familie, diese Charr. Klarer Fall von schlechtem Karma!

  • Ich finde es sehr interessant und ein netter Einblick in die gute Kalla :3 Die Idee am Ende vor allem .. ich mag es! Wirklich <3

    • Ooooh! <3 Ich freu mich gerade wie ein Schnitzel in der Pfanne! Danke, danke, danke!
      Grad mit dem Ende war ich mir total unsicher, aber jetzt \o/ WUUH!

    • Na was, sowas gehört ja auch mal gelobt, eh? :D Vor allem, wenn's gut geworden ist! Wir brauchen mehr Charr-Geschichten!

  • Spannende Erzählung vom Charr und eine nette Wendung am Ende. Schätze das hätte er kommen sehen müssen als das Weibchen das erste Mal die Befehle nicht befolgt hatte.

    • Najaaa, so ganz stimmt die Interpretation nicht mit meinen Gedanken überein, aber es ist gut zu lesen, wie es auf Andere wirkt. :) Danke für die Rückmeldung.

    • Mit fehlt vermutlich der Hintergrund des Charakters. Trotzdem super :)