Zertrampelt in Orr


Chaos brandete auf.
"Na...gut. Weg hier.", knurrte Olbert. Der Norn hatte bei dem Anblick der untoten Horde hinter ihnen eingesehen, dass man diese nicht mal eben 'platt' machte. Es blieb keine Zeit zum Planen, sie begannen den Strand entlang in den Süden zu laufen, zu rennen, zu hinken.
Cranguz setzte sich wie immer an die Spitze. "Sie folgen uns, weiter!", spornte er vor allem sich selbst an. Die Wunden, die Sy ihm zugefügt hatte, schienen den Charr beim Voranhopsen nicht aufzuhalten.
Eines wurde schnell klar: Jeder hatte sein eigenes Tempo. Während die Norn und der Charr in großen, schnellen Schritten davoneilten, bildeten die Menschen und die Sylvari das Mittelfeld. Tzup konnte trotz seiner Asurabeine einigermaßen mit den Menschen mithalten.
Aber Sy, der Charrpilot und vor allem Spaxx fielen mit ihren verletzten Beinen bald zurück.
"Wartet! Ich...kann nicht mithalten!", rief der Asura panisch, als er schon bald das Schlusslicht bildete.
"Hrrrnn...!", stimmte Sy missmutig grunzend zu. Er meinte das Gleiche wie Spaxx, hinkte den anderen hinterher, auch wenn er als Charr noch weitaus schneller war als der Asura...
"Verluste gibt's immer!", rief Olbert ungerührt.
"Ya, nur die Stärksten überleben!", rief Cranguz und eilte weiter, "Guten Tod Euch!" Das klang nicht mal spöttisch, wie man es von ihm gewöhnt war, sondern einfach nur ehrlich und erschreckend endgültig.
Tzup versuchte gegen das Chaos anzubrüllen. Er deutete nach links, in den Osten, wo ein Pfad vom Strand fort führte. Vielleicht in unbekanntes Gelände voller Orrianer...aber doch hoffentlich besser als die Horde hinter ihnen. "Wir...müssen uns aufteilen! Die Lahmen biegen auf den Pfad nach Osten! Die Schnellen führen die Orrianer weiter am Strand entlang, gen Süden!", rief der Taktiker im Versuch, den Trupp zusammenzuhalten. Und zu überleben.
"Am Arsch??" Svantje tippte sich an die Stirn, machte sich daran weiter Olbert zu folgen.
"Ihr könnt sie abhängen, wir nicht!", rief Tzup, als die drei Großen weiter Abstand aufbauten. "Sie werden Probleme haben im Schlick! Da könnt ihr sie abhängen! Vereist es!"
"Ach, du bist auf einmal auch 'lahm'??", ätzte Olbert noch.
"Hast du mal meine Beine gesehen?!?", schnauzte Tzup nun entnervt gen Olbert.
"Praktisch wenn man 'Taktiker' ist und das festlegen kann!", schnaubte der Norn zurück.
"Wo ist Osten??", fragte Sam.
"Nehmt uns Asura auf den Rücken!!", rief Spaxx.
Cranguz lachte. "Lieber die Beute als dich!"
"Wer ist jetzt 'lahm', wer ist 'Rest'?!", fragte Roy.
"Es ist zwecklos, sie hören nicht! Wir werden sterben!", rief Spaxx.
Roy rollte die Augen, schnaufte aus. Dieser Spaxx und sein Gejammer...vielleicht war es wirklich besser wenn sie ihn als Köder zurückließen? Aber die Orrianer würden ihn wohl einfach zertrampeln, das kaufte ihnen wenig Zeit.
Sam rief. "Reißt euch zusammen! Wir sind zusammen durch den Fleischwolf, da-"
Novize Farlif streckte plötzlich seinen dünn Pflanzenarm samt Zepter aus – und ein heftiger Windstoß fegte Cranguz, Olbert und Svantje von den Beinen.
"Was bei Rabens...??!", schnaubte der Norn, als er sich wieder aufrappelte.
Farlif rannte los, griff den Verwundeten Spaxx unter der Achsel und zerrte ihn mit sich, auf den Pfad nach Osten. Die Richtung, die die Untoten hoffentlich ignorierten. Sie mussten schnell Abstand aufbauen, bis Cranguz und die Norn sich wieder geordnet hatten.
"Komm' schon!", schnaubte der Sylvari angestrengt.
Doch Cranguz war ein nachtragender, ein impulsiver Charr. "Du Unkraut, Verräter, Misthaufen!", brüllte er, als es verstanden hatte was vor sich ging. Er hob sein Gewehr, zielte auf den Sylvari.
Er schoss. An der Schulter splitterte Farlifs Haut auf, er brach zusammen, schrie. Erst vor Schmerz, dann vor Wut. Spaxx fiel mit ihm, rüttelte an ihm, schrie. Er war nun völlig panisch.
"DA, der lenkt sie ab, uns jetzt los!", fauchte Cranguz, beim Loslaufen zielte er über die Schulter weiter auf Farlif.
Doch Sy war dem Sylvari gefolgt, hob nun schnaubend seine Pistole, stellte sich ins Schussfeld und feuerte in Richtung des anderen Charr - einmal, zweimal.
Cranguz wurde am Schulterpanzer erwischt, erwiderte das Feuer im Laufen - traf aber nicht, was Spaxx nicht am Schreien hinderte. Die Norn hatten sich nicht lange aufhalten lassen, waren weiter den Strand entlang gerannt. Dann hopste auch Cranguz ihnen nach.


"Ganz toll macht ihr das alle...", ätzte Roy, als die Norn und der Charr außer Reichweite rannten. Sie hatte langsam keine Lust mehr. Einen Moment lang überlegte sie in die Horde zu rennen und einen nach dem anderen einfach tot zu prügeln. Kurz hielt sie es für möglich, aber das waren sicher noch Nachwirkungen der Pilzsuppe, die sie sich gestern gespritzt hatte.
Die Schüsse aus Cranguz Kanone hatten die Aufmerksamkeit der meisten Orrianer, wenn man bei Untoten denn von Aufmerksamkeit reden konnte, auf ihn gelenkt. Die meisten liefen also weiter stur den Strand lang, aber eine große Gruppe spalte sich ab und bewegte sich auch auf die anderen, auf sie zu. Ob es daran lag, dass auch Sy herumgeballert hatte oder weil man sie einfach sehen konnte, das war jetzt egal. Überblick gab es schon lang keinen mehr.
Tzup war bei Spaxx, Sy und Farlif, die nun alle verwundet waren. Sie mussten ihr Glück nun im Osten suchen.
"Sam, Roy....?", rief Tzup. Sie eilten zu ihm.
"Wir sind bei euch, keine Sorge...", knurrte Sam.
"Nein, nein...Roy, Sam, geht mit ihnen." Tzup deutete den Strand entlang, auf Cranguz und die Norn.
"Willst....du uns loswerden?", fragte Roy entgeistert.
"Ihr müsst die nochmal ablenken, damit die Verletzten wegkönnen!", befahl Tzup, deutete auf die Horde, die sich abgespalten hatte. "Ihr könnt die anderen einholen, ihr könnt das schaffen, wir nicht!"
"Müssen wir, hm?", brummte Roy. Aber entweder sie blieb bei den Verletzten hier, verteidigte sie bis zum Tod....oder haute ab nach Osten, ließ sie zurück. Oder aber...sie folgte wirklich den Norn und dem Charr, was auch nichts anderes war als Rennen, nur ohne jemanden dem Tod zu überlassen.
"Also ja, gut.", sie wandte sich ab, stampfte los auf die Horde zu. Sam folgte ohne Zögern.
"Danke...", keuchte Farlif, der sich aufgerichtet hatte und von Sy gestützt wurde.
"Roy!", rief Tzup noch einmal. Der hatte Nerven. Und scheinbar verdammt viel Zeit. Sie drehte sich um.
Er warf ihr eine Spritze von Elixier P - "Pilzsuppe" zu.
Na, da sagt sie nicht Nein...
Er bekam ein letztes Nicken, von da an gingen sie getrennte Wege.


"Tja, am Ende sind's doch immer die Menschen..." Sie warteten einen Moment, bis die anderen Abstand aufgebaut hatten und bis die Orrianer näher kamen, um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Sam schickte ein Feuerprojektil in Richtung der Verfolgergruppe. Als einer in Flammen aufging, hatten die Orrianer einigermaßen schnell die Quelle ausgemacht. Sie änderten ihre Richtung, schlurften, hinkten, rannten auf Sam und Roy zu.
Es waren...einige. Dutzende.
"Rennen.", sagte Sam nur, dann stürzten sie los, den Strand entlang. Die Verwundeten und Tzup, die waren zumindest in Sicherheit. Wenn man in Orr davon sprechen konnten.


So war es also passiert.
Die Norn waren schnell, liefen in großen Schritten, welche den Matsch aufwirbelten. Cranguz machte immer wieder Pausen um nach hinten zu ballern, doch konnte er mit wenigen Hopsern schnell wieder aufholen, die Prügelwunden des Piloten hielten ihn nicht auf. Sam war leicht und flink. Und Jaroyesh...sie bemühte sich, ohne Rüstung hätte sie locker mitgehalten. Doch nach dem Sprint am Strand merkte sie, wie die Panzerstiefel bedeutend schwerer wurden, der Kopf unter dem Helm zu kochen begann, die Rüstungsplatten sie nach unten zogen. Aber wenn sie jetzt stehen blieb...nicht so gut. Ein Blick nach hinten war Motivation genug bis an die Grenzen zu gehen.
Svantje wedelte mit der Hand, ein Eiszauber verwandelte die Pfützen im Schlick zu glatten Flächen, auf denen die Untoten zuhaufe stürzten, purzelten, sich die Glieder brachen. Da ihre Gelenke in unterschiedlichster Verfassung waren, war bald ein großer Abstand aufgebaut. Aber auch der Abstand von Roy zur Gruppe wurde größer.
"Na los!", winkte Svantje ihnen keuchend aus der Ferne zu, ehe sie ihr eigenes Glück suchte, sich abwandte und weiterlief. Olbert und Cranguz waren weit an der Spitze, verschwanden hinter einer Hügelkette. Auch Sam rang bald mit dem Atem, machte eine kurze Pause, stützte die Hände auf den Beinen ab. Als Roy sie erreichte, packte sie sie grob am Oberarm und zog sie mit sich. "...na los...", keuchte sie nun selber, als sie mit der Magierin durch den spritzenden Schlick stolperte.
Ein überwältigender Anblick bot sich vor ihnen, ein gigantischer Ring, der wie ein Bogen über sie ragte, halb im Wasser, halb an Land. Doch es blieb keine Zeit zum Staunen.
Sam hob ihren freien Arm, schwang ihn zur Seite, und eine kleine Flammenwand zog sich hinter ihnen auf. Die Orrianer liefen weiter darauf zu, hindurch, begannen zu brennen, manche fielen. Aber es waren zu viele, um sich wirklich davon aufhalten zu lassen. Doch zumindest bremste es sie für den Moment.
Sie waren bald über den Hügel, um einen Fels gebogen. Die Untoten hinter ihnen hatten sie aus den Augen verloren. Erleichert atmete Sam auf.
"DRECK!", rief Cranguz gleich darauf vor ihnen.
Diesmal kamen die Orrianer ihnen entgegen. Diese Gruppe war kleiner, vielleicht zwei Dutzend von ihnen. "Na auf, durchmetzeln, so schnell's geht!", brüllte Olbert und begann, mit seiner Axt wie auf die Horde einzuhacken, wie Unkraut schnitt er sie nieder. Wenn nicht schnellstens eine Schneise geschlagen wurde, würden sie zwischen beiden Horden massakriert werden.
Zumindest konnten die Menschen nun ein Stück zu den Großen aufholen.
"Na auf, weiter weiter!", plärrte Cranguz, kurz darauf war er hinter einer Biegung verschwunden, ebenso Olbert, der sich wie ein Fasskeiler durch die teils noch wandelnde Horde hindurchschubste. Svantje sah die Menschen kurz auffordernd an, stolperte den beiden dann in großen Nornschritten hinterher, den Angriffen der verkrüppelten Orrianer ausweichend.
"..kann nicht mehr, ich...kann nicht mehr..., keuchte Sam.
"Du klingt ja wie einer von denen...auf jetzt...", knurrte Roy schnaufend.
Die Horde vor ihnen war zwar fast in Windeseile bezwungen gewesen, doch hatte man nur halbe Arbeit verrichtet - viele Orrianer waren nur verküppelt oder hatten Glieder verloren, doch krochen sie noch, schwangen ihre Waffen nach den kleineren Menschen.
"Feige Mistkrüppel.", knurrte Roy und meinte damit ihre Kameraden. Ein falscher Schritt und man hätte eine Axt im Bein, dann lag man in einem Haufen halb zerhauener, aber wehrhafter, wütender Orrianer.


Die Frauen sahen sich an, schnaufend. Durchrennen, drüberhüpfen? Oder auf Nummer Sicher gehen und die Orrianer vor ihnen töten? Das würde Zeit kosten...
Die Magierin holte mit ihrem Dolch aus. Auf die drei Orrianer, welche auf sie zukrochen, fuhr eine gleißende Flammenpeitsche hinab, hinterließ glühende Striemen auf ihren Gesichtern, entzündete den Boden - kurz darauf verendeten sie.
Sie rannten los.
Dann ging alles sehr schnell.
Aus dem Leichenhaufen erhob sich ein Orrianer mit eisblau glimmenden Augen, der seine Hand gen Sam erhob, sie kurzzeitig in eine bläulich glühende Sphäre hüllte. Sam vernichtete ihn mit einem Hieb der Flammenpeitsche.
Der Fokuskristall an ihrer Kette begann bläulich zu glimmen – und explodierte plötzlich in einer blau-orangem Flammenball, zersplitterte. Sam stolperte zurück, ihr ganzer Körper begann zu zucken, als wäre sie vom Blitz getroffen worden. Dann brach sie zusammen, als hätte man einer Puppe die Strippen gekappt.
"Sam?" Roy kniete sich zu ihr herunter. "Muss ich dich jetzt tragen oder wie?!" Sie rüttelte an ihr, packte die Magierin und hob sie sich schnaufend über die Schultern.
Als wäre die Rüstung nicht schon schwer genug...
Etwas fühlte sich seltsam an. Etwas starrte durch sie. Roy blickte nach rechts, wo Sams Kopf baumelte. Sams Augen standen offen, starrten durch sie hindurch, als erblickten sie einen fernen, besseren Ort.
Roy legte Sams Körper auf den Rücken.
Ein Blutfaden rann ihr aus der Nase. Der Blick gleich dem jungen Soldaten, der am Kopter gestorben war.
Roy schluckte, schnaubte.
Sie schloss Sams Augen mit einer Handbewegung, die mittlerweile erschreckend routiniert war.


Sam war tot und die Untoten auf dem Vormarsch, ihre Kameraden sonst wohin verschwunden.
Es musste alles so schnell gehen...es gab keine Zeit für einen Abschied. Sie wusste nur, dass Sam brennen wollte, wie sie alle, sollte sie hier sterben.
So schnell wie möglich brennen.
Das Feuer, entfacht durch die eigenen Flammenpeitschen, es loderte, es brannte noch. Es würde für sie reichen.
Die schwere Eisenkette. Ihr Rucksack...sie nahm ihn ihr vom Rücken. Sie würde ihn mitnehmen, durchsehen...doch jetzt musste Sam ins Feuer, und dann nichts wie weg, bevor sie den Anschluss zu den anderen endgültig verlor und die Horde aufgeholt hatte.
"Mach's gut...", murmelte sie, ehe sie der Magierin einen Kuss auf die Stirn gab und sie in ihre Flammen rollte. Jeder starb alleine, doch war sie bei ihr gewesen, hatte sie nicht zurückgelassen.
Sie hatte sie kaum gekannt.
Sie riss sich vom Blick verbrennender Haut los, und lief, den anderen nach.


Als sie um die Biegung kam, führte ein Gang zu ihrer linken in eine Art Tunnel oder Tempel mit kreisrundem Eingang. Der Pfad rechts führte wieder hinunter auf den Strand.
Wo waren sie hingegangen? Der Tunnel könnte in einer Falle, einer Sackgasse enden. Aber die Untoten würden wohl den Strand weitermarschieren, es wäre ein gutes Versteck...Cranguz oder Olbert, einer von ihnen hätte entschieden.
Aber der Tunnel...?
Sie sah in die endlose Schwärze.
Wie gelähmt blickte sie hinein. Er strahlte eine dunkle, unaussprechliche Präsenz aus.
Bösartig, falsch.
Als würde das Dunkle schlierenartige, schwarze Finger um ihre Augäpfel legen, sich hineinkrallen und sie langsam und schmerzhaft aus den Sockeln ziehen und...Sie riss den Blick los.
Wer zur Hölle würde in diesen Tunnel gehen wollen?
Sie waren bestimmt am Strand weitergegangen.
Also los.
Moment...
Roy hatte Sams Rucksack vergessen. Nichts wäre dann noch von Sam übrig, wenn sie alles zurückließe...es würde ganz schnell gehen, Rucksack greifen, dann den Strand hinunter.
Als sie zurückgegangen war, den Rucksack aufgehoben, bemerkte sie ihren Fehler.
Sie hatte viel zu viel kostbare Zeit verplempert.
Die Horde war nun zu hören...sie mussten gleich hinter der Biegung sein... Sie würde das Tempo nicht mehr halten können, selbst wenn sie jetzt für einen letzten Spurt losrannte.
Seufzend, wütend schanufend blieb sie stehen, schloss die Augen. Cranguz war eine eklige Missgeburt, aber er traf Entscheidungen schnell, rücksichtlos und aus dem Bauch heraus, das musste man ihm lassen. Wenn sie ihre Rüstung auszog, vielleicht war sie dann schnell genug.
Die Rüstung ausziehen?
Nie im Leben.
Ein frustrierter Tritt gegen den nächstbesten Schädel, Knochen splitterten.
Also in den Tunnel, verstecken.
Was? In den Tunnel?
Wieder wägte sie ab, verlor wertvolle Sekunden.
Ein Gedanke an den Tunnel, schon spürte sie, wie schwarze Krallen ihr das Hirn aus den Ohren puhlten...niemals da rein!
Sie öffnete die Augen, blickte sich in dem Haufen aus zerschlagenen, sich teils noch windenden Untoten um. Sie ließ den Rucksack fallen, ihren Streitkolben, den Schild. Sie nahm Sams Dolch vom Boden auf. Mehr würde sie nicht brauchen. Als sie das Klagen näherkommen hörte, es musste unmittelbar hinter der Biegung sein, lief sie auf den Leichenhaufen zu, warf sich auf ihn, wühlte sich hinein. Einen rollte sie über sich, noch einen. Sie lag zwischen ihnen, unter ihnen, über ihnen. Geflüster.
"Kalt....", sagte eine Stimme neben ihr.
"Wenn du die Schnauze hälst, kommen wir hier durch. Ich lass' dich auch am Leben. Ehrenwort."
Wieso redete sie mit denen?
So viele tote Herzen.
Ihres schlug dafür umso stärker.
Eine von ihnen schob ihren Kopf näher, ihr Kiefer klappte herunter, sie biss zu, kratzte mit den Zähnen am Helm. Sie war nur noch ein einarmiger Torso. Roy versuchte die Hände frei zu bekommen.
"...kalt...kalt...." Roy gab ihr eine leichte Kopfnuss, mehr war in dem engen Gemenge nicht möglich, der Arm mit dem Messer wurde von einem leblosen Körper niedergedrückt.
"...nicht mehr....", kam es von irgendwo über ihr.
Dann spürte sie den Boden erbeben vom Marsch der Horde...es mochten über hundert sein, schlurfend, schweigend. Vereinzelte Klagelaute. Sie schlurften durch den Leichenberg. Manche stürzten, rappelten sich wieder auf. Der erste stieg auf Roys Obermann, drückte ihn auf sie herunter....
Schmatzend, dumpf klopfend waren die Schritte über ihr.
"...kalt...!", kam es wieder, zorniger, gerade als Roy die rechte unter dem Leib hervorgezogen hatte.
Sie wollte es nicht anders. Sie drückte den Kiefer des Weibs zusammen, bis die Zähne wie Kieselsteine herausbröselten.
Die Horde wirkte auf einmal so verdammt langsam, als sie hier unten lag.
Immer wieder traten sie auf den Rücken ihres Obermannes, dessen Brustkorb ihre Tritte abfederte...bis er barst, ein Orrianerstiefel landete in ihm, der Treter stürzte.
Sein Gesicht landete neben der Kieferlosen.
"Wen...?", fragte er, seinen ausgehöhlten Blick direkt auf Roy gerichtet.
Der Obermann war zertrümmert, sie hatte den Dolch freibekommen.
Sie stach zu.
Einmal reichte nicht.
Nochmal.
In die Augenhöhlen, in den Nasenrest, ins Hirn, bis er mit einem "...achso..." alle Spannung verlor und liegen blieb.
"Achso...?", flüsterte sie nun selbst. Roy hatte sich selbst unter lebenden Leichen begraben.
Doch diese seltsame Aussage, sie jagte ihr einen noch weitaus kälteren Schauer über den Rücken.
Und es ging weiter, scheinbar endlos.
Dumpfe Schritte, mal schlurfend, mal rennend.
Immer wieder dieses Knacken.
Als wenn man zu tief getaucht war, nicht mehr wusste wo oben oder unten war und das Wasser die Ohren zerdrückte.
Sie schloss die Augen, sie konnte nur warten.
Ihr Obermann war schon in Stücke getrampelt.
Seine Reste federten die Schritte der Horde.
Unter ihr flüsterte etwas. "...zertrampelt..."
Ein knochiger Finger drückte schwach gegen ihren Nacken.
Und dann....kam keiner mehr.
Die Schritte entfernten sich...


Es stank erbärmlich. Sie öffnete die Augen, begann, sich auf dem Leiberhaufen herauszuwühlen, würgend und hustend ließ sie sich nieder.
Geschafft, was auch immer, wofür auch immer.
Eine göttliche Wiedergeburt für Arme?
Aber sie war nicht alleine.
Einer lief da noch rum, mit einer Schaufel.
Vielleicht war er Totengräber gewesen und konnte einfach nicht anders, als mit der Schaufel in den Leibern zu wühlen, wie irgendein ein Abhängiger.
Roy taumelte auf ihn zu. "He..."
Sie musste nun fast aussehen wie einer von ihnen. Voller widerlicher Fetzen, uraltem Fleisch, geborstenen Knochen.
Er blickte auf, hob die Schaufel und schlug nach ihr. Beide Händen packten die Schaufel am Stil, entrissen sie dem Toten, welcher darauf nach vorne stolperte. Ein Schaufelschlag gegen der Rücken, ein fester Schwung gegen den Kiefer – die Zähne brachen heraus, die Schaufel schnitt sich durch den Schädel – endlich hatte er Ruhe. Er brach zusammen.
Sie begann zu husten. Irgendetwas sehr widerliches war ihr dort unten in den Mund gelaufen. Sie würgte, übergab sich einmal, wischte sich den Mund ab...fast wie neu.
Sie konnte Sam beerdigen, mit der Schaufel.
Aber als Roy bei ihr war, war da nicht mehr viel. Schwarze Asche, zertrampelt und verstreut.
Die schwere Eisenkette, die Sams Fokuskristall gehalten hatte, sie steckte im Schlamm. Sie zog sie heraus. Sie griff nach ihrem plattgetrampelten Rucksack, hängte ihn um. Bevor sie die Schaufel zurückließ kehrte sie etwas Asche damit zusammen, griff hinein.
Wieder ging sie zu der Verzweigung, am dämonischen Tunnel vorbei, hinunter zum Pfad an den Strand.
Die Asche pustete sie Richtung Meer. Leb wohl...


Sie konnte zurückgehen. Vielleicht ganz an den Anfang. Eine neue Gruppe suchen. Zurück nach Löwenstein vielleicht. Oder zu Tzup. Ihn konnte sie am besten leiden, ihn und Sam. Aber als sie nach hinten blickte...spürte sie die schreckliche Präsenz des verwunschenen Tunnels. Sie konnte nicht zurückgehen.
Sie würde zum Strand hinuntergehen.
Im Rucksack klapperte es. Eine Metallbox war darin, verbeult, zertreten.
Der Zigarrenkasten, darin eine letzte Zigarre.
Und ein verschlossener Brief.

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