Von Ähren und Klingen

Von Ähren und Klingen

Das Aufwachsen in Ebonfalke


Mit einem Seufzen ließ sie sich auf den massiven Stuhl hinter dem ebenso massiven Schreibtisch sinken, beides im alten, ascalonischen Stile aus dunkelbraunem Holz gefertigt. Dem blonden Mädchen, welches ihr mit einem Lächeln auf den Lippen eine Tasse mit Tee auf die Holzplatte stellte, nickte sie knapp zu, woraufhin sie sich zurückzog, und ließ sich dann in den Stuhl zurücksinken. Aus bernsteinfarbenen Augen betrachtete sie den Dampf, der aus der Tasse hinauf stieg und sich langsam in der Luft verflüchtigte. Es war seltener geworden, dass sie einmal eine ruhige Minute für sich hatte, aber umso wertvoller waren ihr diese Momente geworden, in denen sie auch die Rüstung ablegen konnte, welche sie sonst immer trug. Ein stets mit sich getragener Käfig, auch wenn sie die Rüstung über alles liebte. Nicht selten kam es ihr so vor, als wäre sie schon darin geboren worden.
Aber wo sie wirklich geboren war, war viel mehr als nur eine Rüstung. Es war eine Bastion aus Stein und Holz und vor allem eine Bastion aus Waffen, denn jeder tat sein Bestes, um die Stadt zu schützen, die als einziges noch von dem übrig geblieben war, was sich früher einmal voller Stolz Ascalon nannte. Inmitten dieses Chaos einer schon ewig währenden Belagerung war sie geboren. Während Dwayna ihr das Leben schenkte, nahm Grenth ihr im gleichen Atemzug die Mutter und so lernte sie diese nie kennen. Kindsbetttot war keine Seltenheit innerhalb der Mauern, selbst vor den höher gestellten machte er keinen Halt und zu diesen zählte sie von Geburt an.
Aus einem alten, ascalonischen Rittergeschlecht stammte ihre Familie. Einst, bevor diese Raubtiere den Nordwall mit ihrer Magie einrissen, besaß die Familie Ährentanz einige Höfe. Der Name war bezeichnend, denn hauptsächlich lebte die Familie vom Anbau und der Verarbeitung des Weizens. Auch wenn sie nie selbst diese Ländereien gesehen hatte, so wusste sie doch um deren Aufbau. Eine Dwaynastatue hatte in der Mitte gestanden, mehr als vier Meter hoch und ebenso ausschweifend in ihrem Durchmesser. Ein Pfad führte von dieser einen kleineren Hügel hinauf, auf dem das Anwesen der Familie stand. Nicht groß, immerhin war es nur niederer Adel, aber mehr, als die meisten einfachen Menschen jemals besitzen würden. Um die Dwaynastatue herum hatten sich die Häuser der Bauern angesammelt und um diese die ausgedehnten Felder des Ährengoldes. Reich waren sie damit nie geworden, aber es reichte für ein mehr als nur angenehmes Leben ohne Sorge. Der Adelstitel forderte dabei nur das älteste Kind jeder Generation in den militärischen Dienst. Eine Aufgabe, die ihres Wissens nach jeder gut absolvierte, bis der große Sturm kam.
So wuchs sie ohne Mutter auf, bei einem Kindermädchen, welches ihr ihr Vater besorgt hatte, während er auf den Mauern der Stadt und in den Straßen seinen Dienst für die Ebonvorhut tat, als hoher und noch immer adliger Offizier. Auch als sie älter wurde, sorgte er sich indirekt um sie. Einen Lehrer erhielt sie, der ihr das Lesen, Schreiben und weitere Gepflogenheiten des Adels beibrachte, dem sie zwar folgte, aber nicht sonderlich interessiert. Oftmals hing sie anderen Gedanken nach, während der alte Mann vor ihr sprach. Diesen konnte sie anblicken, interessiert aussehen und doch nicht lauschen. Eine Fähigkeit, die ihr erhalten geblieben war.
Ihre Aufmerksamkeit galt von jeher schon eher dem, was auf dem Hofe vor dem kleinen Haus passierte, auf welchem die Kinder der Stadt sich trafen, um zu spielen. Jungen, wohlgemerkt. Mädchen sah man bei ihnen nur sehr selten und wenn, dann vertrieben sie sie schnell mit ihren Holzschwertern oder das, was Holzschhwerter sein sollten. Lange Stöcker, mit einem kürzeren Holz eine Hand breit vom unteren Ende des Stockes als Parierstange. Sieben Jahre war sie alt, als sie zum ersten mal hin zu den Jungen ging, nachdem sie den Unterricht hinter sich gebracht hatte. Natürlich lachten diese sie aus, nannten sie ein Mädchen und versuchten sie mit ihren Holzschwertern zu vertreiben. Doch sie blieb standhaft. Ein paar Schläge musste sie einstecken, doch dann hatte sie einem der Jungen sein Holzschwert abgenommen, um zurückzuschlagen. Drei Hiebe brauchte sie, eh der Junge weinend davonrannte. Ihre Beute behielt sie, bis heute, denn das Holzschwert hing an der Wand hinter ihr, wie ein Zierschwert. Die Mundwinkel hoben sich bei dem Gedanken zu einem versonnenen Lächeln. Ihre Tasse griff sie, lehnte sich dann weit auf dem Stuhl zurück und nahm einen Schluck vom schwarzen Tee. Elise, ihre einzige persönliche Dienerin, hatte ihn wieder auf den Punkt gebracht. Einmal mehr war sie froh darum, dass sie sich durchgerungen hatte, eine eigene Bedienstete für sich zu nehmen, was sie eigentlich stets vermied. Es half ihr aber.


Die Schattenklinge


Nachdem sie ihrem Vater damals in Ebonfalke das Holzschwert stolz präsentierte, merkte dieser, was seine kleine Tochter wirklich wollte und so begann er sich fortan mehr um sie zu kümmern. Ihren Unterricht erhielt sie weiterhin, auch einen Musiklehrer organisierte er ihr in der Stadt, in der alles Mangelware war, außer Leid und Tod. Den Kampfunterrricht übernahm er selbst. Mit Erstaunen stellte er fest, dass seine Tochter eine natürliche Affinität für das Schwert hatte. Insgeheim hatte er sich stets einen Sohn gewünscht und seine Frau dafür verflucht, dass sie nach der Geburt einer Tochter bereits verstorben war. Nun hatte er seinen Sohn, wenn auch im Körper einer Frau. Die Fähigkeiten des kleinen Mädchens machten dies aber wett. So wurde sie aufgezogen, mit Feder, Harfe, Gesang und Schwert. Und als sie alt genug dafür war, nahm sie ihr Vater selbst in seine Dienste. Zuerst nur als einfache Handreicherin, doch bewies sie schnell ihren Wert und arbeitete sich unter den Augen ihres Vaters hinauf zu einer angegsehenen Soldatin der Ebon-Vorhut. An ihren Eintritt in diese konnte sie sich noch gut erinnern, war es doch der größte Tag ihres bis dahin verstrichenen Lebens und den Helm, den sie damals erhielt, bewahrte sie noch immer in einer Vitrine in ihrem Schlafgemach auf. Ein Relikt alter, vergangener Zeiten.
Das Wertvollste war es nicht, was man ihr an diesem Tag übergab. Nach der kurzen, wenig ausschweifende Zeremonie, trat ihr Vater zu ihr. Dem Befehl ihm zu folgen widersprach sie nicht und so führte er sie hinab in einige kleinere Gewölbe unter dem Haus, die er durch eine einfache Kerze erleuchtete, bis hin zu einer schwereren Holztür. Oft hatte sie als Kind vor dieser gestanden, wenn sie wieder einmal ohne Erlaubnis in den Kellern spielte, und sich vorstellte, wie sie mit ihrem hölzernen Schwert riesige Ratten, Spinnen und anderes Ungetier erschlug. Nicht nur einmal hatte sie dabei die Tür in ihren Rücken gebracht, sich an diese gelehnt, ohne zu fragen, was sich hinter ihr befand. In diesem Moment erfuhr sie es aber, denn ihr Vater öffnete sie. Dahinter verbarg sich ein Waffenständer und neben diesem ein kleines, hölzenes Tischlein, auf welchem ein dickes Buch lag mit einem Wappen auf dem Buchdeckel. Mit den Fingern strich sie die abgebildete Ähre nach und war verwundert ob des Wappens, war doch das Wappen der Familie eine seltsam geformte, schwarze Klinge auf grauem Grund.
Genau die Klinge, die sie neben sich erblickte. Die Schattenklinge, so nannte man sie. Eine alte Legende umgab dieses Schwert, auf die selbst Norn stolz gewesen wären. Einst gehörte sie einer Vorfahrin, die sie in den Katakomben unter Ascalon fand, als die Charr den großen Nordwall durchbrochen hatten. Woher diese Klinge aus schwarzem Gestein stammte, war unbekannt, doch vermutete man, dass sie aus dem selben Gestein wie die Feuerinseln selbst war. Und wohl ebenso alt. Mit der Klinge in der Hand hatte sich ihre Vorfahrin aus den Katakomben begeben, in die sie der Rückzug aus dem einstigen Anwesen der Ährentanz' getrieben hatte. Der Legende nach begleitete sie Prinz Rurik selbst, der die Flüchtlinge Ascalons über die Zittergipfel nach Kryta führte, wo sie sich schlussendlich in der Siedlung Ascalon niederließ, nachdem man ihnen das Recht eingeräumt hatte, diese zu errichten. Dort, wo ihr Onkel sich zu diesem Zeitpunkt ebenso befand, der seinem Bruder nicht nach Ebonfalke folgen wollte, um das zu verteidigen, was von seiner Heimat geblieben war.
An die Worte ihres Vaters erinnerte sie sich noch genau, als dieser ihr die Schattenklinge übergab: "Die Klinge ist seit langer Zeit im Besitz der Familie, doch wagte es kein männlicher Nachkomme sie zu führen, wie es einst Anne Schattenklinge tat, deine Vorfahrin. Nun ist es aber kein männlicher Nachkomme, der zum Schwert gegriffen hat, sondern es bist du Thaliana. Und wenn ich dich ansehe, dann sehe ich in dir die wiedergeborene Schattenklinge." Die letzten Worte waren das größte Kompliment, weches sie in ihrem Leben gehört hatte, selbst jetzt noch. Von diesem Tag an wurde das Schwert ihr fester Begleiter und führte sie durch einige Schlachten gegen die Charr in Ebonfalke und gegen die Zentauren oder andere Störenfriede in Kryta.
Die Klinge war zwar mächtig, doch vermochte sie ihr nicht die schlimmsten Stunden ihres Lebens ungeschehen zu machen. Die Tage, als die Bresche in die Mauern Ebonfalkes geschlagen wurde von einem Ungetüm, welches längst vergessen war: Kralkatorrik. An diesem Tag kämpfte sie zum ersten mal gegen etwas anderes als bloß Charr oder die vereinzelten Oger, die sie gefällt hatte. Die harte, massive Klinge verschaffte ihr einen Vorteil gegen die Wesen aus Kristall, die ihr gegenüberstanden. Und ohne zu zögern kämpfte sie auch an der Seite derer, die sie nicht kannte, die krytanischen Gäste Ebonfalkes, die sie selbst nach dem Kampf verwundet noch unterstützte und mit denen sie sich schlussendlich nach Götterfels zurückzog, hindurch durch das Portal. Ihr schwer verletzter Vater folgte ihr dabei. Dies war auch der letzte Tag des Militärdienstes des in die Jahre gekommenen Veteranen. So kam sie also nach Götterfels.


Vasallin der Locksleys


Über den Inhalt der Tasse in ihrer Hand blies sie. Nicht weil er heiß war, sondern um sich für einen Moment der Gedanken zu entledigen, die sie überfielen. Nach einem Schluck der schwarzen Flüssigkeit, mit Zitrone verfeinert, kehrten die Gedanken aber wieder zurück. Wie sie nach Ebonfalke zurückgekehrt war, trotz dass sie einen Titel von der Königin erhielt, der sie als Edle Krytas auswies und ihr ein kleiner Hof sowie ein Anwesen in der Siedlung zuteil wurde, den sie ihrem Vater überließ. Dieser wiederum zog es aber vor, innerhalb Götterfels' zu verweilen, um mit seinen Erfahrungen beratende Tätigkeiten einnehmen zu können, wodurch schlussendlich der kleine Besitz an seinen Bruder, ihren Onkel, überging. Etwas, dass sie noch bereuen sollte.
Weitere Jahre verbrachte sie in Ebonfalke, wobei sich ihre Feinde wandelten. Es war nicht leicht für sie, das erste mal das Schwert gegen die zu erheben, die sie früher als ihre Brüder erachtete, die nun aber Separatisten waren. Ein Umstand, den sie bis heute nicht begriff. Warum kämpft man an der Seite der Charr darum, die Charr weiter bekämpfen zu dürfen? Es war lächerlich, was diese verblendeten Menschen taten, um ihre blutige Tradition zu wahren. Mit Sicherheit hasste auch sie die zu groß geratenen Raubtiere mit ihrem Fell und den martialischen Hörnern, aber sie begriff ebenso, dass man Fehden begraben musste und trtotzdem Tradition wahren konnte. Einen Vorsatz, den sie sich immer beibehalten hatte und auch beibehalten würde.
Das neuerliche Eintreten Elises riss sie aus ihren Gedanken heraus. Das junge Mädchen verbeugte sich mit einem Lächeln vor ihr. Anders als bei vielen Adligen erlaubte sie es ihr, sie direkt anzublicken und dies tat sie auch mit den smaragdgrünen Augen, die in einem jugendlichen Gesicht saßen. Sie mochte dieses Mädchen und manchmal überkamen sie Muttergefühle für sie, selbst wenn sie nur ihre Dienerin war. Der Umstand, dass sie nie Mutter werden würde, spielte dabei wohl eine große Rolle.
"Was gibt es?" Fragte sie mit einer ruhigen Stimme, in der sogar ein sanfter Unterton lag.
"Novizin Federklang wünscht euch zu sprechen, Herrin. In einigen Minuten würde sie gern bei euch sein. Soll ich ihr ausrichten, dass sie euch nicht stören sollte?" Fragte Elise, ohne dass das Lächeln von ihren Lippen schwand. Kein Lächeln der Höflichkeit wegen, sondern ehrlicher Zuneigung gegenüber ihrer Herrin, die sie, wie all die anderen Bediensteten, stets gut behandelte. Selbst die anfänglichen Fehler hatte sie ihr vergeben. Nur selten kamen drastische Strafen vor und sie trafen nur die, die Fehler begingen ohne sie sich oder anderen einzugestehen.
"Sag ihr, dass ich sie gleich empfangen werde. Eine Novizin der Dwayna weist man nicht ab, schon garnicht die Schülerin Winchesters."
"Wie ihr wünscht, Herrin. Kann ich euch noch etwas bringen?" Auf die Frage hin bekam die Dienerin ein Kopfschütteln und so schloss sie die Tür hinter sich wieder, nicht ohne sich noch einmal knapp zu verneigen. Kaum dass die Tür geschlossen war, kamen auch die Gedanken wieder, und so schoss ihr das Bild in den Kopf, als sich der Sarg ihres Vaters schloss, der friedlich in die Nebel übergegangen war. Eine Zeit des Umbruches für sie, denn damit zog sie sich aus dem Dienst für die Ebonvorhut zurück, um die Kontakte ihres Vaters in Götterfels zu pflegen und seinen Posten einzunehmen. Ein Besuch in der Rurikhalle, die damals noch unter den Locksleys stand, war ihre erste größere Tat und sie schloss schnell Bekanntschaften, auch wenn man ihr anmerkte, dass dies nicht die Umgebung war, die sie gewohnt war. Kein aufeinander schlagendes Eissen, nur das Rascheln von Kleidern. Keine Befehle, nur die leise gesprochenen Gerüchte hinter vorgehaltener Hand. Keine Brüderlichkeit, nur der Stand nebeneinander aus einem Nutzen heraus. Aufgrund dieser Umstände fühlte sie sich öfter fehl am Platze, doch stand sie es durch und bemerkte so, dass die Locksleys anders waren als all die Adligen innerhalb Götterfels'. Es fiel ihr nicht schwer, in den Vasallendienst für die Gräfin und ihren Bruder zu treten. Eine schöne Zeit, wenn sie heute so darüber nachdachte, immerhin wusste sie, für was sie ihre Klinge gab und hatte stets Rückenhalt innerhalb der Locksleys. Keinerlei Meinungsverschiedenheiten gab es, viel eher wirkte es manchmal, als wäre sie ein fester Bestandteil des Hauses, aus dem Haus selbst geboren.
Umso missmutiger stimtme es sie, als sich die Locksleys aus der Öffentlichkeit zurückzogen und sie von ihrem Vasalleneid entbanden. Aus einem festen Gefüge heraus stürzte sie in die Schwerelosigkeit hinein. Eigentlich sollte sie den einstigen Herren dafür böse sein, doch konnte sie es nicht, hatte sie doch eine sehr angenehme Zeit in ihren Diensten verbracht. Auf der Suche nach neuen Aufgaben irrte sie umher und nicht nur einmal überkam sie der Gedanken, zur Ebonvorhut zurückzukehren. Nach längerem Abwägen tat sie dies auch. Ihren alten Posten erhielt sie zurück und somit fiel sie zurück in ihr altes Leben, gewoben aus Schlachten, Blut und inniger Freundschaft.


Blutvergießen in der Siedlung


Ein Klopfen an der Tür ließ sie die Gedanken verlieren. Den Blick hob sie gen der massiven Holztür und mit fester Stimme sprach sie: "Herein.". Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine junge Frau in einer Novizenrobe der Dwayna frei. Blondes Haar und blaue, wache Augen. Das Typischste an ihr war aber das sanfte Lächeln auf den Lippen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie die Novizin je ohne dieses gesehen hatte.
"Edeldame Thaliana Ährentanz." Damit verneigte sich die Novizin andeutungsweise. "Dwayna mit euch, Herrin." Fügte sie noch hinzu, eh sie die Tür schloss und näher an den Tisch heran trat, hinter dem Thaliana saß.
"Und auch mit dir, Anneria. Setz dich. Du wolltest mich sprechen?" Der vertraute Umgangston war dem geschuldet, dass sich die junge Frau selbst in die Dienste Thalianas begeben hatte, mit den Worten, dass sie eine bessere Gläubige sei, als es all die Priester in Götterfels sind, die angeblich den Sechsen dienen. Die Worte hatten ihr geschmeichelt und so stellte sie sie in ihre Dienste, und überließ sie Shedim Winchester, ihrem Hauptmann, zudem einer ehemaligen Priesterin der Dwayna, die der Novizin noch einiges lehren konnte.
"Ja, das wollte ich. Allerdings sind es keine dringlichen Angelegenheiten. Ich möchte etwas in Erfahrung bringen von euch, etwas persönliches, sofern ihr dazu bereit seid, es mir zu erzählen." Die Worte sprach sie leise und mit sanfter Stimme, unterstrichen von ebensolchem Lächeln. Auf den Wink der Edeldame hin nahm sie auf dem kleinen Sessel Platz, der am Schreibtisch stand, weich gepolstert, ohne aber zu luxuriös zu sein.
"Ich wollte euch fragen, wie es dazu kam, dass ihr nun das Anwesen hier besitzt und euch so sehr um die Siedlung kümmert." Stellte die junge Frau offen und direkt ihre Frage. Unehrlichkeit war das Letzte, was Thaliana von der Novizin erwarten würde und so zauberte ihr die Frage ein Lächeln auf das Gesicht. Die Tasse in der Hand lehrte sie und stellte sie auf dem Tisch ab, um sich gerade aufzusetzen. So zurückgelehnt sahen sie eh nur die vertrautesten Personen, doch empfand sie es als unhöflich, die Geschichte so zu erzählen. Dass sie die Erzählung ablehnen konnte, wusste sie, und ebenso wusste sie auch, dass sie der Frau ihr gegenüber vertrauen konnte.
"Zu der Zeit war ich noch in Ebonfalke, meine zweite Dienstperiode." Begann sie die Erzählung. Die Hände legte sie auf dem Tisch übereinander. Die Ärmel des schwarzen Hausmantels schloss sie dabei zum Teil mit ein. "Ich hörte dort von meinem Onkel, der meine erhaltene Ländereien inne hatte, dass er mit den Separatisten kooperierte. Er hatte sogar einen Trupp finanziell unterstützt, der meinen Trupp anfallen sollte, um mich zu töten. Zu der Zeit wusste ich noch nicht um sein Vorhaben in der Siedlung, sondern hielt es für ein Gerücht, um uns gegeneinander aufzuwiegeln und mich aus der Ebonvorhut hinaus zu treiben. Immerhin erwartete ich soetwas nicht von einem Mann mit zwei Töchtern und drei Söhnen, und einer fürsorglichen Frau. Ich ignorierte also erst einmal die Meldung." Ein großer Fehler, dachte sie noch bei sich, sprach es aber nicht aus. Im Stuhl lehnte sie sich wieder zurück, ließ sich aber nicht so weit hinabsinken, wie sie noch zuvor saß. Die Hände legte sie auf die Armlehnen.
"Erst als man mir davon berichtete, dass er eine Miliz plant in der Siedlung zu errichten, die nicht gegen die Zentauren vorgehen soll, sondern gegen krytanische Besetzer, wurde ich hellhörig. Er war ja immerhin selbst Krytaner und benannte dann seine Landsleute so. Ich schickte einen vertrauten Späher aus der Ebonvorhut aus, um in der Siedlung nähere Erkundigungen einzuholen. Als er zurückkam, bestätigte er mir die Gerüchte und berichtete ebenso davon, dass schon die ersten hierarchischen Strukturen der Miliz feststehen. Die Söhne meines Onkels wurden als Hauptmann und Offiziere eingesetzt und sollten mit der Rekrutierung von Ascaloniern beginnen." Ein Schnauben entwich ihr dabei. Zwar sah sie sich selbst als Ascalonierin, weniger als Krytanerin, aber sie wusste, dass das Herz nur wenig in der Politik zu entscheiden hatte. Somit hielt sie sich lieber bedeckt, versuchte aber dennoch die Traditionen zu wahren, die ihr ihre Wurzeln auferlegten. "Ich nahm also die Reise aus Ebonfalke bis zur Siedlung auf mich. Um mich nicht ungewollt anzukündigen, nahm ich mit einigen Getreuen aus der Vorhut den Weg zu Fuß, über die Zittergipfel, wie es einst auch meine Vorfahrin tat. Auf dem Weg durch die Felder schlossen sich uns noch ein paar Kämpfer an, darunter auch die Söhne von Amalia Mulcahy. Ihr Ältester ist ja mittlerweile mit meiner Cousine verheiratet und steht im Dienste als Hauptmann. Auch die anderen beiden sind loyale udn treue Kämpfer." Die Worte bedachte sie mit einem kurzen Lächeln und einem knappen Nicken.
"Als wir in der Siedlung ankamen, waren die Seraphen überrascht einen kleinen Heereszug zu sehen. Mein Onkel hatte gut gearbeitet. Niemand hatte etwas davon mitbekommen, dass er versuchte eine Miliz auszuheben. Niemand, der nicht ascalonischen Blutes war und ihn unterstützte. Meiner Bitte danach, die Zivilisten zu evakuieren, kamen die Seraphen nach und so konnte ich meinen Onkel offen stellen, dachte ich zumindest. Im Anwesen hatte er sich aber verschanzt, wie ein Feigling, und schickte uns die Rekruten der Miliz entgegen, die er schon aufgebracht hatte. Keine erfahrenen Kämpfer, aber hartnäckig und sie kosteten uns geringfügige Verluste. Auch zwei meiner Cousins waren darunter. Ich war bereit, ihnen Gnade zu gewähren, aber sie wollten es nicht. Sie nannten mich krytanische Verräterin und stürzten sich mit dem Kopf voran auf mich und mein Gefolge. Der Eisige mag ihnen vergeben haben." Leise sprach sie die letzten Worte, ein leises Gebet. Auch wenn sie nicht gut hieß, was ihr Onkel und seine Söhne taten, so war es immernoch ihre Familie.
"Meine Cousinen dienten im Anwesen als Geiseln. Auch wenn ihr ältester Bruder damit drohte, sie umzubringen, wenn wir zu nah kamen, tat er es nicht. Er forderte mich zum Zweikampf heraus, doch er hatte keine Chance. Ein Kämpfer war er, ja, aber kein richtiger Soldat. Meine Cousinen waren damit befreit und ich machte mich auf den Weg, meinen Onkel zu suchen, innerhalb des kleinen Anwesens. Schlussendlich fand ich ihn, tot. Seine Leiche lag im Keller neben seiner Frau, die er vorher getötet hatte, bevor er sich selbst ins Schwert stürzte. Der Weg eines Feiglings und ein Feigling war er schon immer." Bittere Wahrheit war es, die sie da sprach und nichts konnte sie besser machen oder überzeichnen.
"Mit dem Tod meines Onkels übernahm ich das Anwesen und den kleinen Hof. Meine Cousinen schlossen sich ohne Weiteres mir an. Leider ist davon auch nur noch Alvienne verblieben." Ihre zweite Cousine, die jüngere der Beiden, hatte sich abgesetzt, als die Schlacht in Löwenstein tobte, wo sie sich gerade mit ihrer Zofe befand. Thaliana hatte es akzeptiert, hatte sie sich doch mit Marlene nie gut verstanden, noch dazu war sie ein Bastard ihres Onkels und die Einzige in der Familie, die ein großes Talent zur Magie aufwies. Die finanzielle Unterstützung versagte sie ihr aber nicht. Und so erhielt sie regelmäßig Briefe von ihr, die berichteten, wie es nahe Shaemoors ist, in einem eigenen Haus und mit ehrlicher Arbeit. Aber vor allem berichtete sie davon, wie glücklich sie ist. Etwas, was Thaliana stets auch zwischen den Zeilen lesen konnte und was sie milde stimmte. Offiziell jedoch war ihre Cousine beim Überfall auf Löwenstein gestorben.
"Danke, Herrin, dass ihr mir das erzählt habt. Ihr habt richtig gehandelt, auch wenn ihr damit das Werk Dwaynas vernichten musstet." Sprach Anneria leise, aber besänftigend, eh sie sich auch schon wieder vom Stuhl erhob. Mit einem Nicken, begleitet von einem schmalen Lächeln, bedachte Thaliana sie, eh sie ihr nachblickte, wie sie hinaus ging. Die junge Frau war ihr lieb geworden. Eine würdige Novizin Dwaynas war sie, vergaß dabei aber nicht, dass sie auch Mensch war, ein Abbild aller Sechs in einem Körper vereint. Eine gute Priesterin würde sie einmal werden, was sie auch schon in der Abtei unter Beweis gestellt hatte, nachdem Löwenstein seinem Schicksal anheim fiel.


Löwenstein und danach ...


Löwenstein. Dort hatte sie auch versucht zu helfen, als die Gerüchte um den Angriff sich verdicheten. Mit einigen Soldaten war sie nach Löwenstein eingekehrt und hatte sich im Löwenschatten eingefunden, der Taverne, in der die jüngste Tochter der Amalia Mulcahy, Lucienne, arbeitete, verstoßen aufgrund ihrer Beziehung zu einer Frau mit dem gerechtfertigten Namen Schnodder. Was sie vorfand war ein Haufen Aussätziger. Ein Haufen, eine Einheit. Jeder für jeden, und alle für einen. Es hatte sie beeindruckt dies zu sehen und so entschloss sie sich, mit den Löwenschattenmädels enger zusammenzuarbeiten. Während sie die Siedlung auf einen etwaigen Ansturm von Flüchtlingen vorbereitete, errichteten ihre Soldaten an der Eistor-Schlucht eine Passage, um Flüchtlingen einen Rückzugsweg freizuhalten, wenn die Haupttore überrannt waren. Handzettel ließ sie von den Arbeitern im Löwenschatten austeilen, die die Schlucht als Ausweg auswiesen. Es war seltsam, aber sie stellte zusammen mit einem Haufen Zivilisten, denn mehr waren die Arbeiter nicht – abgesehen von Gwyneth, die eine fähige und erfahrene Söldnerin war – eine ordentliche Verteidigung zusammen, besser als es die Löwengarde tat. Selbst die Wachsamen und Nebelkrieger hatte sie dabei für die Verteidigung eingespannt, ebenso einige weitere vereinzelte Söldner. Zudem ihre Soldaten, die im Löwenschatten selbst untergebracht waren. Eine kleine Armee, die Scarlett trotzen sollte und dafür sorgen, dass so viele wie möglich es lebend vom Schlachtfeld schaffen.
Und gerade als sie die Vorbereitungen für abgeschlossen hielt, sah sie zum zweiten Male in ihrem Leben eine ganze Stadt untergehen. In diesem Moment wägte sie ab, welche der Attacken verheeerender war: Die Kralkatorriks oder die Scarletts. Der Schluss war eindeutig. Das Miasma allein hatte mehr Leid über die Löwensteiner gebracht, als es die Kristallwesen des Altdrachen in Ebonfalke konnten.
Nahezu die Hälfte ihrer Soldaten hatte sie am Tag der Schlacht verloren, doch starb jeder von ihnen im Wissen, dass er viele Leben gerettet hatte. Nicht gerne wog sie Leben gegen Leben auf, diese Zeit aber verlangte es von ihr. Mit der versammelten Meute des Löwenschattens zog sie sich durch das Notfallportal der Abtei in den Lornars Pass zurück. Während die Mädels des Löwenschattens die Versorgung der Flüchtlinge erstklassig übernahmen, übernahm sie die Verteidigung des Lagers, immerhin das, was sie am besten in Ebonfalke und der Siedlung gelernt hatte, und auf das ihre Soldaten gedrillt waren. Dabei arbeitete sie Hand in Hand mit einem Charr, der einst auf der anderen Seite der Mauern in Ebonfalke stand. Ein Wink der Götter, dass in der Not aus einstigen Feinden Brüder werden. Auch Gwyneth konnte sie während der Zeit im Pass immer mehr für sich gewinnen. Eine weitere, fähige Soldatin und Kaufmannstochter in ihren Reihen, die sie nur allzu gerne aus den Fängen der Wachsamen gelöst hatte. Zu diesem Zeitpunkt entstand auch die Idee des Handelshauses in Löwenstein, sobald dieses wieder zurückerobert war. Im Gegensatz zu vielen Krytanern, die Löwenstein mit Argwohn betrachteten, wusste Thaliana, dass die Stadt ein Dreh- und Angelpunkt des Handels ist, besonders für die Gendarran-Felder. In der Gleichung des Reichtums Krytas war Löwenstein stets eine Konstante und sollte dies auch wieder werden.
Der Gedanke an das neu entstehende ließ sie lächeln. Zu lange schon war das angehäufte große Vermögen ihrer Familie im Keller angestaubt, ohne dass es einen Nutzen für sie oder andere hatte. Es war nur allzu gerecht, es endlich zu investieren, um neue Gewinne zu erzielen, die wiederum investiert werden können. So würde sich ihr Einfluss vergrößern, ihre Macht ausdehnen und dabei würde sie all denen Gutes tun, die es brauchten, auch wenn sie jetzt schon wusste, dass sie damit neidische Blicke ernten würde oder Hasstiraden, wie machtgierig sie geworden war. Ohne Macht und Einfluss aber gab es keinen Gewinn und ohne Gewinn keinen Raum für neue Investitionen. Sie hatte noch einiges vor. Die Löwenklinge, ihr Handelshaus, welches Gwyneth als Komtura leiten sollte, war nur der Anfang. Eine Investition in die entstehende Künstlerakademie in Götterfels stand mit auf ihrer Agenda, ebenso wie die Errichtung eines Schreines der Sechs in der Siedlung, samt Schule und auch ihr Versprechen eines Waisenhauses für die Opfer des Krieges wollte sie halten.
Vom thronartigem Stuhl erhob sie sich und trat an eines der Fenster in ihrem Rücken heran, um hinauszuschauen auf die Siedlung Ascalon und das geschäftige Treiben in dieser. Den Namen Siedlung hatte diese mittlerweile florierende Stadt schon lange nicht mehr verdient, aber es war Tradition. Für sich dachte Thaliana aber an die Siedlung immer mit dem Namen Neu Rin. Rin, die einstige Hauptstadt Ascalons, auf der nun der Schrotthaufen stand, den die Charr als Schwarze Zitadelle bezeichneten. Die alten Geschichten der Stadt hatten sie schon immer fasziniert und nicht umsonst war die Rinklinge das Erkennungsmerkmal ihrer Soldaten geworden, neben dem Wappen auf der Brust.
Auch wenn sie sie nicht mit dem bloßen Auge erkennen konnte, so blickte sie doch über die Mauern hinweg in die Richtung ihrer Ländereien. Nicht gewaltsam hatte sie diese für sich gewonnen, sondern durch diplomatisches Geschick. Die Zentauren und andere Bedrohungen waren ein Alltag, den viele der Höfe gerne loswerden wollten und genau dies bot sie ihnen, indem sie sie unter ihre Schirmherrschaft stellte, wofür auch Seraphen und Königin dankbar waren. Wann immer Gefahr im Verzug war, sandte sie ihre Soldaten aus, um die Höfe zu schützen, aus denen ihr kleines Reich gespeist wurde. Verstreut waren die Höfe und nie so groß, dass sie Aufsehen erregen könnten, aber sie waren da. Betrachtete man die Karte, so waren die Höfe wie die Sommersprossen auf Elises Gesicht. Klein, wild verteilt, aber existent und sie gaben ihrem Aussehen den letzten Schliff, machten sie zu dem, was sie war.
Wieder ließ sie sich am Tisch nieder. Die leere Tasse schob sie zur Seite und zog eines der Pergamente zu sich, welches auf dem Tisch lag. Eine lange Liste von Aufstellungen für die Versorgung der Truppen. Mit einem Seufzen schloss sie die Augen. Ein stummes Gebet an Dwayna, dann öffnete sie die Augen wieder und widmete sich ihrer Arbeit. Ohne dass sie etwas tun würde, würde ihr Vorhaben auch nicht vollbracht. Und auch wenn es keine Erben gab und nie welche geben würde, so tat sie es doch. Nicht für sich, sondern für Kryta und vor allem für ihre große Liebe: Ascalon.

Kommentare 2

  • Das ist schon ziemlich nostalgisch, da will man fast einen Tutorialcharakter in GW1 erstellen...und bringt gut das Gefühl der entwurzelten Ascalonier rüber, die nicht wissen wohin sie eigentlich gehören. Anne Schattenklinge kommt mir auch bekannt vor aus GW1 - Kriegerin, sehr blass, schwarze Haare und 15k Ascalon Rüstung?

    • Genau das war mein erster Char damals in Guild Wars, die Linie habe ich in GW2 weiter geführt.