Durchhalten

Träge blätterten seine dürren Finger durch die hochwertigen Seiten seines dicken Lehrbuches. Die Sonne ging in einem wunderschönen orange-gelben Leuchten am ruhigen Himmelszelt unter, doch genießen konnte er das Farbspiel nicht. Stattdessen vermied er es, direkt hinaufzusehen, wissend, dass ihn der Anblick der hellen Schutzkuppel erwartete, welche während des Angriffes des Weißen Mantels in einem mächtigen Zauber von der Königin selbst über die große Stadt gespannt worden war.


Seufzend drückte der junge Mann den Rücken gegen das noch leicht warme Gestein hinter sich, während er den Folianten aufgeschlagen auf seinem Schoß ruhen ließ. Die Belagerung versah ihn nicht mit Furcht oder gar Todesangst, doch das Leid aller anderen um ihn herum zermürbte ihn. Allen voran jenes von… Erschöpft verschränkte der Novize die dürren Arme vor der Brust, sodass der weiche Stoff leise reibend über den seines weißen Ornats fuhr. Ihn plagte das Gefühl, nicht helfen zu können – nicht mal seiner Liebsten eine Unterstützung zu sein.
„Und so kam es, dass Speermarschall Kormir, Heldin von ganz Elona, in die tiefschwarze Dunkelheit gezogen wurde, die den Gott der Geheimnisse umgibt“, begann er leise zu sprechen, nachdem er sich mehrfach müde geräuspert hatte.
Seine Stimme schien förmlich in Monotonie zu ersaufen. Es fehlte ihm schlichtweg jeglicher Ehrgeiz in diesen trübsinnigen Zeiten, so saß er schon mehrere Stunden auf den steinernen Stufen der Tempelanlage und zwang sich beharrlich, seiner Pflicht nachzukommen, wenn auch erfolglos.
„Und obwohl sie ihres Augenlichts beraubt, ihr Körper malträtiert und ihr Geist geschunden war...“, sprach der Schwarzhaarige leise weiter, der Blick seiner himmelblauen Augen heftete sich nun doch an die schwungvollen Lettern, die stolz auf den Seiten seines Buches prangten, „blieb sie stark.“
Der Novize hielt inne, wandte die Seelenspiegel von dem Papier ab und spähte beinahe erwartungsvoll zur Statue der Göttin Kormir, die zwischen zwei anderen prachtvoll bemalten Tafeln schweigsam in Stein gemeißelt stand. Eine Weile lang besah er sie ehrfürchtig, wagte kaum zu atmen, jedes noch so kleine Detail in der prachtvollen Skulptur analysierend, dann brach er schließlich aus dem Käfig seiner eigenen ermattenden Gedanken aus und blätterte wie von neuer Kraft beflügelt eilig durch das lederne Buch, bis seine behandschuhten Finger auf einer leeren Seite ruhten. Er fischte den bereits etwas abgenutzten Kohlestift aus einer seiner Taschen hervor und schrieb mit großen Schriftzeichen „Stark bleiben“ ganz oben auf das Blatt.



Die Nacht legte ihren schwarzen Sternenschleier langsam über die aufgeregte Stadt, um ihre Bewohner zum Schlaf zu betten, da schloss auch Arvid endlich das Buch, nachdem er die beschriebene Seite behutsam mit zittrigen Fingern herausgetrennt hatte. Als letzte Seele an der Tempelanlage verließ er seinen Platz, wie die Restwärme, die lange schon aus dem kalten Stein gewichen war. Seine Füße trugen ihn rasch in das prächtige Gebäude, führten ihn an den reichlich geschmückten Wänden vorbei und hielten schlussendlich vor einer einfachen Tür. Zögernd legte der junge Mann die Fingerknöchel an das Holz, während seine Augenlider sich bedächtig senkten. Wollte er sie wirklich jetzt noch stören? Zum ersten Mal schien es, als würden aus ihrem Raum keine Schluchz- oder Jammerlaute dringen und er wollte diese Ruhe beenden? Kopfschüttelnd zog er seine knochige Hand zurück und kniete sich unelegant, begleitet von einem unterdrückten Schnaufen, hin. Vorsichtig entfaltete er das feine Blatt Papier und begutachtete nochmal sein Werk: unter den Worten „Stark bleiben“ thronte die detailverliebte Kohlezeichnung eines kleinen dicken Bärenjungen, das unbeirrt versuchte, an ein viel zu hoch gelegenes Bienennest, aus welchem bereits der köstliche Honig auf die feuchte Stupsnase tropfte, heranzukommen. Der Novize war kein Künstler, er hatte bei weitem kein Meisterwerk kreiert, doch entlockten ihm die Worte, welche ordentlich auf der Rückseite standen, ein schwaches hoffnungsvolles Lächeln. Zufrieden knickte er das Papier zurück und schob es unter dem Türspalt durch in das Zimmer seiner Angebeteten. Unverzüglich richtete sich der dürre Kerl auf und eilte mit großen Schritten den Gang entlang, während sein Herz so laut in seiner Brust schlug, dass er das Gefühl hatte, es wollte herausspringen.


Ob Kormir selbst eigentlich auch mal derart verliebt gewesen war?

Kommentare 6

  • Wenn er nicht weiss wie er helfen kann, sollte er vielleicht Motivational Poster in der Stadt aufhängen. Oder Stickern!

    • *ernennt Ovy zum stellvertretenden Motivationsbeauftragten von Götterfels und geht mit ihm Sticker verteilen* Morgen ist auch noch ein Tag! Das Leben geht weiter!

  • sehr süß. :)

  • Awwwww-vid <3
    Ihr Held! Der mutige Lauch!! Bester Bärenzeichner der Welt. Hab mich sehr gefreut von ihm zu lesen.

    • Bei der zuckersüßen Cait muss man auch irgendwann aktiv und mutig werden, da kann man nicht still herumsitzen. <3 Vielen Dank für die lieben Worte. Es freut mich, dass es dir gefällt. :)