Zwiegespräch

Sie saß allein auf ihrem Lager und blickte zum Fenster hinaus. Gerald und Adele schliefen ihren Rausch aus, es ging noch vor kurzer Zeit hoch her in der heruntergekommenen Bude. Betrunken stritten sie immer und nicht selten flog der eine oder andere Gegenstand durch den Raum. Arlassia hielt sich dann bedeckt und verkrümelte sich in ihre Ecke, zog den Kopf ein und ließ die zwei austoben. Nach lautstarken Auseinandersetzungen folgte auch immer eine lautstarke Versöhnung, wenn die beiden übereinander herfielen und Arla hatte jedesmal Angst um den altersschwachen Küchentisch dabei. Sie war jetzt etwa Neun Jahre alt und dank ihrer beiden "Gönner" hatten die Augen des Mädchens deutlich mehr gesehen als sie sollten.


Jetzt blickten eben diese Augen in den Nachthimmel und hofften, daß sich die Wolken verziehen mögen. Seit das Mädchen allein war, hatte sich eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt und endlich riss die Wolkendecke auf. "Da bist du ja!" rief sie leise und sprang von ihrem Lager auf, um sich auf die Fensterbank zu setzen. "Kleine Elster, du hast gewartet." erklang die ruhige und vertraute Stimme in ihrem Kopf und das Herz des Kindes tat einen freudigen Hüpfer. Es war Finn der zu ihr sprach, durch den Mond. Finn hatte damals versprochen auf sie acht zu geben und er hatte sein Versprechen immer eingehalten. Auch wenn er nicht mehr bei ihr war, war der Glauben daran unerschütterlich in ihrem Kinderherz verankert.
"Finn, ich vermisse dich so. Wo bist du?" Diese Frage wurde dem Mond in jeder Nacht gestellt und die Antwort des Mondes war immer gleich. "Ich bin bei dir, kleine Elster. Du kannst mich nicht sehen und doch bin ich immer an deiner Seite." Arlassia schickte ein ehrliches und unbeschwertes Kinderlachen zu ihrem bleichen Freund und begann ihm von ihrem Tag zu berichten. Sie erzählte ihm von der Apfelfrau, die ihr immer einen Apfel gab obwohl sie wusste, daß das Kind sie bestiehlt. Von dem dickbäuchigen Herren im schicken Zwirn und dem roten Gesicht, der nun um einige Münzen ärmer war und dem fliegenden Holzschuh der Bäckersfrau, als sie mit dem Brot davonlief. Irgendwann wurde das Mädchen wieder ernster und nachdenklicher. "Finn? Denkst du meine Eltern leben noch? Ob sie mich vermissen? Wer sie wohl sind?" Sie zog die Knie auf der Fensterbank an, schlang die dürren Ärmchen darum und ließ den Mond dabei nicht aus den blauen Augen. "Denkst du, ich werde es eines Tages besser haben? Ich möchte nicht so werden wie sie?" Wie gerufen schnarchte der Betrunkene, der an der weißen, schlaffen und entblößten Brust der Hure lag, laut auf.
"Du kannst sein und werden wer du willst, kleine Elster. Das hast du ganz allein in deinen Händen. Ich glaube an dich und daran, daß du es schaffst. Und nun geh schlafen, ich wache über dich und komme morgen wieder." Arlassia warf dem Finn-Mond eine Kusshand zu, winkte ihm zum Abschied und sprang vom Fenstersims. "Gute Nacht, Finn" murmelte sie, ehe sie sich auf die Seite einrollte und beruhigt einschlief. Finn war immer da. Alles würde gut werden.

Kommentare 6

  • Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. Das sagte mal der gute Einstein und er hatte damit Recht. Ich mag die Einblicke ins kindliche Arlaherz und seh darin viel von Rosalie - grad auch ihr kindliches Lachen.
    Man will sie einfach aus dem Fenster heben, den Mond einpacken und beiden eine glückliche Zeit bescheren.

  • Der Finn im Mond, voll süß und traurig.

  • Ich will nicht viele Worte verlieren, weil die Geschichte größtenteils für sich selbst spricht, aber: Wieder mal ein Schreibstil, der der Thematik entspricht und einen interessanten Einblick in das Leben der neunjährigen Arlassia gewährt. :)
    Es hinterlässt eine gewisse melancholische Note bei mir, was der allgemeinen - gut dargestellten - Atmosphäre zuschulden ist.


    Kurzum: Mir gefällt der Text, bitte mehr davon. Arme kleine Liese.