Herr Winkelberg

~ Götterfels, vier Tage zuvor ~


"Nun, es geht um die notarielle Beglaubigung der Vertragsschließung zwischen den Herren Aedan Berlînghan Baron von Wengenholm und Mortimer Winkelberg anlässlich des Verkaufs des Stadthauses mit der Anschrift Herrenhaushügel, Salma-Gasse Ecke Ambossweg 24."
Doktor Gibbon sprach mit der ruhigen Sachlichkeit eines Mannes, der seinen Beruf leben und lieben gelernt hatte. Der Notar war ein korpulenter Mittfünfziger mit gepflegtem Schnäuzer und einer Lesebrille auf der Nase. Er trug eine Weste aus sündhaft teurem Brokat, doch damit war er in bester Gesellschaft. Gibbons Büro in Rurikstadt zeichnete sich aus durch geschmackvolle Überschaubarkeit und eine omnipräsente Vorliebe für geschnitzte Holzskulpturen.
"Der Baron von Wengenholm-", fuhr der Notar fort, "-bestätigt durch seine Unterschrift, den Betrag von zweihundertunddreißig Goldstücken an Herrn Mortimer Winkelberg zu zahlen und damit das Eigentumsrecht an Haus und Grundstück zu übernehmen, sowie einen Teil der Innenausstattung, der in Anhang A verzeichnet ist. Herr Mortimer Winkelberg bestätigt durch seine Unterschrift, die Eigentumsrechte an Haus und Grundstück an den Baron von Wengenholm abzutreten sobald er die Summe von zweihundertunddreißig Goldstücken erhalten hat - ist das korrekt?"
"Das ist korrekt.", bestätigte Winkelberg, verrührte Milch und Zucker und nahm einen Schluck Kaffee.
"Das ist korrekt.", echote der Baron von Wengenholm. Er trank seinen Kaffee schwarz. So schwarz wie sein Anzug, sein Hemd, seine Schuhe. Seine Haare waren schwarz, und seine Augen waren von so dunklem Braun, dass sie schwarz wirkten. Der Mann zauderte nicht mit Klischees, und vielleicht standen sie ihm auch gerade deswegen gut zu Gesicht.
Gibbon nickte zufrieden und sah über den Rand seiner Lesebrille gen der beiden Geschäftspartner. "Dann möchte ich die Gentlemen dazu einladen die vorliegenden Vertragsausfertigungen still zu studieren und etwaige Rückfragen zu stellen. Ist die Unterschrift ersteinmal erfolgt gilt der Vertrag als geschlossen. Fragen sind dann zu spät gestellt."
Schweigend trank Mortimer Winkelberg aus seiner Kaffeetasse und achtete penibel darauf seinen Vollbart nicht zu besudeln, bevor er sie absetzte. Er nahm die ausgelegten Papiere zur Hand. Zu seiner Rechten tat Berlînghan es ihm gleich. Winkelberg studierte die vertraglichen Details ein letztes Mal, überflog Unwichtiges, stellte sicher dass alles der Vereinbarung entsprach und sich im Wortlaut keine versteckten Schlupflöcher befanden. Er rechnete nicht mit Betrugsversuchen, doch das Risiko mutwilliger Nachlässigkeit war es ihm dennoch nicht wert. Als beide ihre Verträge gelesen und wieder abgelegt hatten, beugte Doktor Gibbon sich über den Tisch und schob seine eigene Kopie hinzu, aufgeschlagen auf der Unterschriften-Seite.
"So keine weiteren Fragen offen sind, möchte ich die Gentlemen bitten, an den entsprechenden Stellen zu unterschreiben. Eine Ausfertigung des Vertrages geht an den Baron von Wengenholm, eine an Herrn Winkelberg und eine dritte wird hier in meinem Büro verwahrt."
Winkelberg nutzte die finale Aufklärung für ein paar weitere Schlucke angenehm warmen Kaffees, nickte dann, als es an der Zeit war zu unterzeichnen und griff zum Federkiel. Sacht benetzte er die Spitze mit Tinte, ließ sie kurz abtropfen und unterzeichnete dann alle drei Vertragsausfertigungen. Er achtete penibel auf die Federführung und den Schwung seines Handgelenks. Nachdem er fertig war, warf er einen schmunzelnden Seitenblick auf seinen Vertragspartner. Für einen längeren Moment blickten sie einander in die Augen. Aedan Berlînghan hatte kein Gesicht, das leicht zu lesen war. Aber gerade jetzt schien es so, als wäre da ein Hauch von anerkennender Gewissheit in seinem Blick. Der Baron nickte marginal, dann unterzeichnete auch er, zügig aber leserlich. Zuletzt drückte Gibbon ein Löschblättchen auf die Tinte und unterschrieb schließlich selbst. Winkelberg sah ihnen kaffeetrinkend dabei zu und leerte seine Tasse, als der Notar die besiegelnden Worte sprach.
"Der Grundbucheintrag wird geändert sobald die zweihundertunddreißig Goldstücke gezahlt wurden, aber das ist den Gentlemen bekannt und so bleibt mir nichts als meine Glückwünsche auszusprechen und noch einen schönen Tag zu wünschen."
"Meinen herzlichen Dank, Doktor Gibbon.", würdigte Winkelberg die Arbeit des Mannes. Er nahm seine Papiere, faltete sie mit einem gründlichen Strich in der Mitte und erhob sich. Mit dem Vertrag unterm Arm griff er nach dem Silberknauf seines Gehstocks, wandte sich dann dem Edelmann zu.


Berlînghan stand ebenfalls auf. Sie schüttelten einander die Hände.
"Milord, es war mir eine Freude, mit Euch Geschäfte zu machen. Vielleicht nicht zum letzten Male. Der Holzimport und der Immobilienhandel haben ihre Schnittstellen."
"Diese Freude erwidere ich aufrichtig.", sagte der Baron mit einem wachen, festen Blick. "Tatsächlich würde ich es sehr begrüßen, wenn Ihr mir eine Anschrift zukommen lassen würdet, über die ich Euch auch in der Ferne erreichen kann. Ich erkenne einen guten Geschäftsmann, wenn ich ihn sehe, und das seid Ihr zweifellos."
Winkelberg lächelte. "Meine Anschrift sollt Ihr bekommen, werter Baron. Auch wenn ich bereits jetzt garantieren kann, dass eine geraume Weile verstreichen wird, bevor ich wieder Kapazitäten für Geschäfte innerhalb Krytas aufbringen kann."
"Natürlich. Viel Erfolg für den Aufbau Eures Unternehmens, Herr Winkelberg. Lasst es mich wissen, wenn Ihr wieder in Kryta seid, dann lade ich Euch auf einen Cognac ein. Ich danke für das gute Geschäft und wünsche einen guten Tag."
"Sehr gern. Meine Herren-" Der Löwensteiner Geschäftsmann beugte sich kurz über den Schreibtisch, um auch Gibbon die Hand zu geben. "Einen guten Tag und ebenso gutes Gelingen."
Er lupfte seinen Zylinder und ging ab.


William erwartete ihn draußen vor dem Haus. Er sah immer noch merkwürdig aus mit Haaren auf dem Kopf und gezwängt in diese graue Anzugjacke, die ihm bei all seinen Muskeln eine Nummer zu klein war. Der hochgewachsene Leibwächter lenkte wortlos hinter Winkelberg ein, und sie gingen zusammen die Straße entlang. Es war ein frischer, kühler Morgen in Rurikstadt. Die Spitze des Gehstocks klackerte schlenkernd übers Kopfsteinpflaster und verfing sich nur flüchtig an einem Riss, den die Erschütterungen der kürzlichen Belagerung hinterlassen hatten. Für einen kurzen Moment genoss Winkelberg noch den malerischen Anblick dieses Stadtviertels, dann stieg er in die Kutsche, welche sie beide gleich ums Eck erwartete.
Ächzend friemelte Billy an den Knöpfen seiner Jacke herum und pellte sich daraus hervor wie ein fettes Insekt aus einem viel zu engen Kokon. Er ließ sich gegenüber auf die Sitzbank fallen, während der Kutscher draußen mit der Peitsche knallte. "Ein Tag länger in diesem Clownskostüm, und ich muss Jemanden erschlagen."
Winkelberg rupfte sich den Zylinder vom Haupt und den Bart aus dem Gesicht. Flugs hatte er einen Taschenspiegel aus seiner Weste gezogen und begutachtete darin missbilligend den roten Ausschlag an seinen glattrasierten Wangen.
"Du hast leicht reden-", sagte Inquisitor Godfrey. "Diese falschen Bärte bringen mich um."
"Vielleicht mal an der Zeit, dafür einen Mesmer zu bezahlen."
"Ohh, neineineinein. Nicht doch. Wer für eine gute Scharade auf Magie angewiesen ist, der wird ohne sie allzu rasch zu einem Nichts. Denk' nur mal an unsere werte Justiziarin Charity. Was wäre sie schon ohne ihre Mesmerei? Hah! Man möchte wetten, dass sie gerade genau das denkt, während sie in Fort Evennia hockt und auf ihr Ende wartet." Natürlich dachte sie das nicht, die Frau war eine Psychopathin, aber Godfrey sah keinen Grund, einen einwandfreien Seitenhieb zu versäumen. "Unser lieber Freund hat es auch bequem, wie ich sehe."
Ein schlichter Sarg stand neben Billys Sitz in der Kabine und ruckelte während der Fahrt leicht hin und her. Seit dem Tag, an dem sie das Blutsteingeschütz zu Galgenbrenner transportiert hatten, war noch keine Zeit gewesen, die restliche Sitzbank wieder einzubauen. Somit fand sich hierfür genügend Platz.
"Aye." Billy grunzte belustigt. "Wo sollen wir ihn deponieren? Am Küchentisch? Auf dem Sofa? Vielleicht im Himmelbettchen?"
Godfrey tzkte. "Unsinn. Wir wollen ja nicht respektlos gegenüber unserem Geschäftspartner sein. Bringt ihn in den Keller, wo es kühl ist." Hat doch jeder die eine oder andere Leiche im Keller. Hoho.
Der Gesetzlose musste schmunzeln, obwohl Godfrey den Spruch nicht geklopft hatte. "Nicht respektlos, soso. Und was ist mit der Cunningham?"
"Oh die wird sicher furios sein." Er zupfte das vorbereitete Briefkuvert aus dem Handschuhfach und lehnte sich nach vorn, den Hintern von der Sitzbank hebend. "Oder vielleicht wird sie sich freuen und es nutzen, um sich zu profilieren. Am Ende beides harmlos." Der Inquisitor zog die obere Hälfte des Sargdeckels auf. Ritter Roberts sah ganz friedlich aus, mit geschlossenen Augen und dem Gesicht eingerahmt von langem blonden Haar. Sie hatten ihm sogar seine weiße Plattenrüstung am Leib gelassen, denn sie hatte keinem der anderen Männer gepasst. Bleich und blutleer ruckelte die einbalsamierte Leiche vor sich hin, während die Kutsche über eine Erhebung im Straßenpflaster fuhr. Nur die rote Kluft an seiner Kehle verunglimpfte den Frieden, wo Franks Garrotte tief geschnitten hatte. Godfrey tätschelte Nathaniel Roberts die Wange und steckte ihm den Brief unter den Rand der Brustplatte, dann klappte er den Sarg wieder zu.
"Und was machen wir jetzt mit all dem Geld?", fragte Billy, während der Inquisitor sich zurücksinken ließ.
"Was, gehen dir schon die Ideen aus, mein Bester?"
"Och.", meinte der Bandit und grinste. "Mir fallen schon ein paar tugendhafte Ziele ein."
"Tugendhafte Ziele, Billy-", sinnierte Godfrey,


"...Tugendhafte Ziele."

Kommentare 14

  • Als Winkelberg beim Kaffeetrinken auf den Bart aufpasst musste ich an Action Bronson denken, wie er sich den Bart beim Speisen festhält. Godfrey ist also in meinem Kopf nun Action Bronson ohne Bart. Wtf.

  • Godfrey = Mädchen. Wie er rumziepft wegen dem Bart ey. Voll die Uschi!

    • Ahahahah. Godfrey jammert wirklich oft rum wie ein Mädchen, eigentlich in allen Storys und allen Plays. Der braucht mal ein Snickers!

    • Pfff. Kann eben nicht jeder Bösewicht ein testosteronüberschwemmter Badass sein! :(

  • Es ist auf jeden Fall ein wundervoller WTF-Moment <3

  • Ich werde Godfrey finden.
    Und dann kommt er in den Keller!
    Beim Schrank. Zum Schrankdienst!
    Ò_ó

  • Hahahahaha. Ziemlich gut!

  • Ich hab ja mit viel gerechnet für das Ende meines Mantlers, aber das ist mehr als göttlich. Merci!

    • *tippt sich abermals an den Zylinder* At your service! Oder eher nicht so, in diesem Sinne xD

  • Interessant. Da dachte ich, dass ich Godfrey noch nie gesehen hatte und... Eigentlich habe ich es doch!

  • DAS, Sir, ist das Genie, das ich so an dir liebe. Großartig! GROßARTIG! <3