Im Drachenberg

Die Luft war so dick und so heiß, dass er an manchen Tagen kaum noch atmen konnte. Seine Kräfte neigten sich dem Ende zu, und die meiste Zeit über dämmerte er in fiebrigem Halbschlaf vor sich hin. Mehrere Brüder und Schwestern waren bereits am Schwefel gestorben. Andere waren schlichtweg der Hitze erlegen. Der Vulkan hatte ihre Leben beendet, aber den Tod hatte ihnen der Glaube gebracht. Obadiah hatte zugesehen, wie man ihre leblosen Körper in der Lava versenkte. Die Mietklingen versenkten alles in der Lava. Essensreste, Metallschrott, gelegentlich angreifende Monster. Den Inhalt der Latrinen. Selbst die übrigen Blutsteinsplitter. Sie waren pragmatische Leute. Er wollte sie dafür hassen, tief drinnen, aber auch dazu fehlte ihm die Kraft. Ein pfeifender Husten drang aus seiner Kehle, gefolgt von brennender Trockenheit. Es schmerzte, wenn er husten musste. Obadiahs Hals war so ausgedörrt und spröde wie dieses gottlose Land, in dem sein Pfad enden würde. Der Pfad eines falschen Ritters. Alles Wasser, das seinem Körper geblieben war, schwitzte nach und nach aus ihm hinaus. Seine Stirn war klatschnass, doch sein Innerstes vertrocknete. So zumindest fühlte es sich an. Wie ein langsames Vertrocknen von allem, das er als Ritter des Mantels einst gewesen war, oder das er sich einst eingebildet hatte zu sein. Er verschrumpelte und welkte wie eine sterbende Pflanze, siechend im Pfuhl der vergoldeten Lüge, die er gelebt hatte.
Von allen Dingen hatten sie ihm ausgerechnet seine Rüstung gelassen. Es war ihm untersagt, sie abzulegen. Zweimal hatte er es versucht, aber der Aufseher, ein großer Charr mit braunem Fleckenfell und einem Schlagstock aus Hartholz, hatte ihn rasch davon überzeugt das aufzugeben. Der einst prächtige weiße Stahl starrte mittlerweile vor Dreck, und mit jeder größeren Bewegung schmerzten Obadiahs Glieder von der endlosen Belastung. Er konnte nicht sagen, wie lange er noch durchhalten würde. Hätte man ihn gefragt, so hätte er nichtmal eine Antwort darauf gewusst, wie lange er überhaupt schon da war. Hier drinnen gab es keinen Himmel. Nur flimmernde Hohlräume, so weit das Auge reichte. Es war unmöglich, die Zeit zu schätzen, und die Wachen verspotteten jeden, der Fragen stellte. Im Endeffekt spielte es keine Rolle mehr. Tage, Wochen, Monate, es war nicht länger wichtig. Morgens und abends brachte man ihm und den anderen Ordensleuten verschmähte Essensreste und schales, warmes Dünnbier. Zumindest wenn Jemand daran dachte. Die Söldner hatten sie einzeln in Käfige gesperrt, eingekerkert auf Türmen aus Blech und rostigen Eisenstangen. Man konnte durch den Gitterboden in einen Eimer machen, und somit kam auch nie jemand, um in den Käfigen zu schrubben. Immerhin die Aussicht war hier oben gut.
Im Zentrum der viele Meilen großen Kaverne knisterte und knirschte die Titanenkehle vor sich hin, und das matte Dröhnen flüssigen Magmas umgab alles, während heiße Dämpfe aus den Untiefen der kochenden See hinaufstiegen. Aus nördlicher Richtung traf schon wieder eine Versorgungskarawane der Inquestur ein, mit drei Golems und vier neuen Menschensöldnern. Einer von ihnen, ein bulliger Klotz mit Atemmaske und einer hässlichen Stangenwaffe, war vermutlich der riesigste Kerl, den Obadiah außer dem Verschworenen je zu Gesicht bekommen hatte. Müde sah er dem Mann zu, als der stehen blieb und ein paar andre Halsabschneider rasend anstarrte, die gerade Fässer voller Blutstein in die Lava entleerten. Gelegentlich zischte und blubberte es fragwürdig, wo die magischen Splitter einsanken und Funken warfen. Nicht weit entfernt lachten zwei Charr kehlig um die Wette, während ein dritter fluchend auf seinen qualmenden Schweif einschlug. Der Ritter sah ihnen allen zu und fragte sich, ob hier noch irgendjemand war, der tiefer hätte fallen können.
Er war, das ließ sich nicht leugnen, in guter Gesellschaft. Er war genau dort, wo er hingehörte. Am Ende der Welt, unter Ausgestoßenen. Die Söldner hatten ihn und seine Glaubensgeschwister verraten, doch es war ein so schlichter und ehrlicher Verrat, dass Obadiah ihn nur wertschätzen konnte. Unter all den Verrätern dieser Welt war dieser Haufen käuflicher Mörder ihm am liebsten. Ein jeder von ihnen war ehrlich mit ihm, und das war ihm teurer als tausend wunderschöne Lügen. Obadiah ließ seinen Kopf gegen das Käfiggitter sinken und sah einer fettleibigen Söldnerin nach, die eine Schubkarre voll mit Müll in Richtung des nächstbesten Lavastroms fuhr. Obenauf lag ein zerfleddertes rotes Banner, das sie offenbar noch irgendwo gefunden hatte. Ein langer, fransiger Riss zog sich durch das weiße Ordenssymbol in der Mitte. Der Weiße Mantel war tot.
Sie waren seine Familie gewesen, seine Brüder und Schwestern. Und sie hatten ihn im Stich gelassen. Sein Vertrauen missbraucht und seine Treue verraten. Der Beichtvater, so gierig auf den Thron von Kryta, dass er bereit war alle Tugenden in den Wind zu setzen. Justiziar Severino, der ihn ins Nichts geführt und in Geheimnissen geschwelgt hatte. Justiziarin Charity, schmeichlerisch und erhaben, die hinter all dem Glanz nur ihren eigenen Aufstieg begehrt hatte. Elias. Sein letzter Waffenbruder, mit dem ihn ein heiliger Eid verbunden hatte. Der Mesmer hatte ihn gewarnt vor seiner eigenen Natur, aber er hatte nicht hören wollen, hatte geglaubt an diesen Mann, dessen Verrat so offensichtlich war und doch am härtesten traf. Selbst sein Gott hatte ihn verraten. Ein Gott, den es nie gegeben hatte. Die Ankunft in Draconis Mons war Obadiahs letzte Hoffnung gewesen. Er hatte nicht einen Herzschlag lang gezögert, Godfreys Befehl hierhin zu folgen, während der Inquisitor in Kryta letzte Gelder für Lazarus' Kreuzzug anhäufte. Sein Versprechen nachzureisen hatte Godfrey nie wahr werden lassen. Nur ein weiterer Verrat, der nicht länger schmerzen konnte. Der Inquisitor war nur ein weiterer Michael Severino, nur eine weitere Charity Cochrane, und Obadiah sehnte sich nicht länger nach Rettung. Denn am meisten von allen hatte er sich selbst verraten.
Viele der Söldner hier trugen üble Narben zur Schau, und manchmal, wenn er das sah, musste der Ritter an seinen Bruder denken. Seinen echten Bruder. Er konnte sich nicht mehr erinnern an Vectus' Gesicht, wie es gewesen war, als sie gemeinsam jung waren. Also dachte er an die Narbe. Und er befühlte diejenige, die die Zähne seines Bruders anstelle seines linken Ohres hinterlassen hatten. Narben. Das war alles, das ihm von seiner wahren Familie noch blieb. Es war jetzt zu spät, um zurückzukehren. Zu spät, seine Sünden ungeschehen zu machen. Etwas tat sich inmitten all des Feuers. Flammen, die stärker lohten als alle anderen. Zwischen den stählernen Söldnerbarracken erspähte Obadiah einen gewaltigen Schemen, und erzitterte.


Es war jetzt zu spät.

Kommentare 8

  • Na da hast du dem irgendwie wirren Setting doch noch einiges abringen können! Totaler Irrsinn und Wahn im Vulkan. Ich weiß gar nicht ob ich wissen will, wer Darth Maskenmann ist. Passend jedenfalls, dass ich auf dem Dach eines verlassenen Hotels mit Blick auf einen Vulkansee liege, während ich das lese. :p

  • Lüge! Charity hat ihn nich nur benutzt! Die hätte den mit nach Fort Evennia genommen!

  • Boahr... That twist! Vectus als Bruder! Alter, du haust einen immer wieder um mit deinen Geschichten!

    • Das ist jetzt aber echt keine Neuigkeit mehr! xD

    • du weißt doch, dass ich irgendwie immer der letzte bin, der sowas mitkriegt x'D


      Oder ich wusste es mal und habs wieder vergessen, du kennst mein Siebhirn!

  • Mehr. Ich will meeeeeeehr!