Unschöne Gelassenheit

~Blutstromküste, 1318 n.E.


Der Wind trug Kinderlachen mit sich, dessen Ursprung zahlreichen Kehlen entsprang. Musik der Freiheit, der Unbeschwertheit, die das rauschende Meer an der Küste nur begrüßte. Sie tollten im Sand, bauten Burgen damit und sammelten Muscheln, oder bekriegten sich mit Holzschwertern.
Zwei wagemutige unter ihnen, hatten sogar einen Kampf mit einem Krebs begonnen und führten ihn tapfer, bis das Tier irgendwann doch einen glücklichen Treffer landete und einem der Buben ins Bein zwickte.
Dem erschrockenen Schrei, folgten kurze Tränen und ihnen die unerbittliche Verfolgungsjagd der spottenden Brüder, die den Burschen aufgezogen hatten.


Am Rande dessen, im Schatten einer Steilklippe, saßen die wachenden Erwachsenen mit jenen, die es langsam wurden.
Der Großteil der Anwesenden bestand aus Mitgliedern der Jiung Sippe, die hier an der Küste lebte. Ihre Kinder waren es auch, die unbeschwert am Strand tollten.
Kuraiko empfand sie als wild und forsch. Vor allem aber rau, gemessen an jenen, die den Großteil des Alltages sonst mit ihr bestritten. Manch böse Zunge, hätte sie sogar als einfach gestrickt beschrieben, denn den meisten fehlte das Geschick, die Worte mit dem Wert zu bemessen, den man ihr beigebracht hatte.
Die Jiung's, trugen ihr Herz auf der Zunge und legten es in die Worte, die manches mal ganz unverblühmt erklangen und noch ungebändigter- doch niemals achtlos.
Das war ein Teil ihres Erbes, dass sie stets pflegten, um ihrer Ahnen an Seefahrern zu gedenken.
Auch Shenmi war eine Jiung, durch und durch.


In Kindertagen war sie wild gewesen. Frech, ja regelrecht ungezügelt und bengelhaft. Kuraiko erinnerte sich an kein Kind aus der Zeit, dass mehr Ohrfeigen, Strafen und Prügel erhalten hatte, wie Shenmi- und auch an keines, dass trotz schmerzlicher Tränen in den Augen, noch immer ein sonniges Lächeln mit breiter Zahnlücke präsentierte, wenn es jemand anderen schlecht ging und das eigene Leid zurück gestellt wurde.
Shenmi hatte den Schalk im Nacken gehabt, mehr als jedes andere Kind. Er war das, was sie ausmachte und die Erinnerung an sie festigte, denn optisch kam sie leider viel zu sehr nach ihrem Vater. Sie hatte kleine, mandelförmige Augen, deren dunkler Kern so groß war , dass es stets so wirkte, als würde sie irgendwas verwundert angaffen. Sie hatte auch das platte Gesicht ihres Vaters geerbt, dass eigentlich typisch für ihren Ursprung war, verglichen mit Krytanern, aber dennoch seltsam wirkte.
Ein Junge hatte sie mal deswegen aufgezogen, dass sie aussähe, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen mit dem Gesicht.
Shenmi hatte ihn darauf verprügelt und später gleich noch einmal, als er es ihren Eltern gepetzt hatte.
Ja selbst die Zahnlücke hatte sie von ihrem Vater geerbt und präsentierte sie stolz bei jedem forschen grinsen.
Selbst dann noch, wenn sie wusste, sich wieder Ärger eingehandelt zu haben.


Die Shenmi die heute vor ihr saß, hatte mit dem Wildfang von früher, nicht mehr viel gemein. Sie war ruhiger geworden, gelassener und auch ihrem Aussehen, hatten die Jahre zur heranwachsenden Frau gut getan. Zwar war sie nicht herausragend schön geworden, aber auch nicht hässlich geblieben. Ein hübsches Durchschnittsgesicht mit weichen, rundlichen Formen und dunklen, wachen Augen, in denen Intelligenz und Schalk lauerte.
Ein hübsches Durchschnittsgesicht, dass in Massen an Menschen untergehen konnte, ohne das man sich an mehr, als "eine Canthanerin eben" erinnerte.
Zuerst hatte Kuraiko es bedauert, denn sie hatte Mie -wie sie von der Familie und Freunden stets genannt wurde- stets mehr gegönnt. In ihrer noch beschränkten Welt, hatte die heranwachsende Erbin der Aisawa Blutlinie angenommen, es wäre eine Schmach als Frau, nicht eine gewisse Schönheit zu präsentieren, die dem künftigen Gatten die Seite schmücken würde.
Und doch besaß Mie eine Zufriedenheit, die Aiko fehlte und sie so, auf ihre gänzlich eigene Art 'schön' machte.
Sie wirkte entspannt und mit sich im reinen, obwohl sie nicht mehr tat, als an der Seite ihres Meisters zu sitzen und schweigend den Gesprächen zu lauschen, während ihr Blick ruhig die Gesichter abstrich, wann immer man ihr weniger Aufmerksamkeit schenkte- was sogar ziemlich oft passierte.


Mie hatte einen Weg eingeschlagen, den nur die wenigsten aus der Sippe gingen und von denen noch weniger vom Meister angenommen wurden als Schüler, doch sie hatte es geschafft.
Sie hatte die Stärke in ihren offensichtlichen Schwächen gefunden und hatte begonnen, sie zu etwas gefährlichen zu schmieden, ohne ihre Leidenschaft und Lebensfreude hierbei vergessen zu haben.
Mie hatte erkannt, wofür man die Klinge zog und trug die Last ihrer ersten Lehrstunden, auf aufrechten, schmalen Schultern und wahrte das Gesicht ihres Meisters, vollkommen selbstverständlich.


Am Ende war Mie eines: Harmonie und Ausgeglichenheit, in jedem Moment, belebt von einem wilden Herzen, ganz tief drinnen.
Und darum beneidete Aiko sie insgeheim und noch lange Zeit, denn ihr entglitt diese Ausgeglichenheit, mit jedem Jahr mehr...~

Kommentare 3

  • <3

  • Ich mag diese Einblicke in Aikos Gedanken sehr! Aber das weißt du längst.
    Was bleibt also zu sagen außer: <3 <3 <3 ( nichts was es besser sagen würde )

  • Sehr schön geschrieben, besonders die Szene am Strand bei der man gleich ein Bild vermittelt bekommt, wie ich finde :)