Die bußfertigen Vier, Teil III. - Ein reichlich simpler Plan

~ Maguuma-Dschungel, Sommer 1316 ~


Gewitter im nördlichen Maguuma waren oft so heftig, dass der Erdboden vor lauter Niederschlag förmlich überschwemmt wurde. Sie wurden seltener, je näher man an den Rand der Einöden kam, und je länger sie auseinander lagen, desto reißender und sintflutartiger waren sie obendrein.
Die wenigen Blechgefäße, zum Auffangen von Trinkwasser nach draußen gestellt, quollen längst über vor strömendem Regen. Randvolle Wasseroberflächen steppten einen zornigen Tropfentanz. Yvara stand unter dem Rand des Felsüberhanges, ließ sich vom nassen Sprühnebel erfrischen und sah der Welt höchst erfreut beim Untergehen zu. Sie hatten die Ausläufer der trockenen Höhen am vorigen Nachmittag erreicht, und der üppige Dschungel wich auswärts zusehends mehr einer kargen, rötlichen Sandsteinlandschaft.
Diese Aussicht erinnerte Yvara an ihre Jugend und den gelegentlichen Naturkundeunterricht beim falschen Priester Bocksbeutler in Saidras Hafen. Damals hatten sie und die anderen Kinder rege darüber debattieren dürfen, was für das fortschreitende Austrocknen Maguumas verantwortlich sein mochte. Irgendjemand hatte sich damit gebrüstet zu wissen, dass der Drache Primordus das Land vom Erdkern aus rösten würde, aber in Wahrheit konnten selbst die führenden Wissenschaftler der Abtei Durmand bislang nur kompetent spekulieren. Doch das alles lag in der Vergangenheit - heute, da sie als Sucherin des Weißen Mantels hier war, zählte nur, dass ein sicheres Vorankommen für den Gejagten ebenso unmöglich war wie für den Jäger. Yvara verspürte einen Schauer prickelnder Gänsehaut, als der Himmel im Takt ihrer Gedanken mit Donnergrollen dröhnte und das Land vom Gleißen greller Blitze erhellt wurde, nur für einen kurzen Moment. Die ungesehenen Götter sind mit mir, wusste sie. Inzwischen stieg ihr der Geruch saftig gebratenen Fleisches in die Nase, und sie wandte sich ab um in ihren felsigen Unterschlupf zurückzukehren. Es waren keine Wachtposten aufgestellt worden, aber die große schwarze Katze des Ascaloniers war selbst jetzt dort draußen, lauernd, und das Wissen darum würde Yvara noch ein wenig besser schlafen lassen als der Segen unsichtbarer Kräfte allein.
"Übertreff' das, du Rotzlöffel." Holzkopf legte zwei Könige aus.
Er saß mit Pickelfresse im flackernden Schein des Lagerfeuers, und sie spielten Karten. Der stämmige Glaubenskrieger schmunzelte gutmütig, aber der dürre Junge zog nur schwach die Mundwinkel nach unten. Er hatte noch drei Karten auf der Hand, und Holzkopf nur noch eine einzige. Kleiderständer, selbst hier noch korrekt uniformiert und mit straff verhülltem Haupt, lehnte nicht weit entfernt an der Felswand und sah den beiden gleichgültig bei ihrem Zeitvertreib zu.
Je länger Pickelfresse zögerte und je blanker sein schmales Gesicht wurde, desto breiter wuchs Holzkopfs Grinsen. Bis es dann abrupt verschwand, als der Bursche zwei Asse über seine Könige spielte und die dritte Karte lachend hinterher warf. Gierig wie Banditen waren, zögerte der Jugendliche nicht lange, ein gutes Messer, drei Zigaretten und einen angelaufenen Goldzahn einzustreichen. Die Münzwährung des Königreiches nutzte einem hier draußen nicht viel, also spielten sie um Wertgegenstände.
"Hab' dir ja gesagt, spiel' nicht gegen Ganes, alter Mann." Schinkenwurst kauerte neben der Feuerstelle und drehte einen Bratspieß mit zwei fetttriefenden Taschenraptoren, die sein Biest kurz vor Einbruch der Dunkelheit erlegt hatte.
"Ich hatte einen Bruder, der ist Schütze bei den Seraphen.", beklagte sich Holzkopf. "Soldaten-Pack. Ich kenn' jedes Glücksspiel in- und auswendig, Hakenhand. Und ich merke genau, wenn mich einer bescheißt!"
Pickelfresse hatte bereits aufgehört zu grinsen, als Schinkenwurst die Stimme erhob, aber der Vorwurf ließ den schwarzhaarigen Jungen erstaunlich kalt. "Ich bin kein Betrüger.", behauptete er und zupfte sich den Verband um seine Stirn zurecht. "Nur besser als du."
Ich bin noch immer von Idioten umgeben. Die Unsichtbaren strafen und loben mich zugleich.
Holzkopf war mit einem Ruck aufgestanden, seine kleinen dummen Bauernaugen erfüllt von Wut. "Gib' mir mein verdammtes Messer zurück, du e-"
"WAS habe ich euch Versagern aufgetragen?" Alle Köpfe fuhren herum, Niemand hatte Yvara eintreten hören. Sie schnaubte verächtlich und lenkte ihre Schritte zu ihnen herab. "Erwähnte ich vielleicht irgendetwas davon, dass ich Eure Lebensgeschichten hören will? Und der Nächste, der hier mit dem echten Namen eines anderen um sich wirft, verliert seinen Kopf. Ihr alle verliert eure Köpfe, wenn ihr minderwertiges Anfängerpack es schafft, dass sich Gequatsche über diese peinliche Mission in euren verlausten Heimatlagern verbreitet. Der Weiße Mantel erwartet Perfektion. Ist das klar?!"
Es war mehr als klar, wie sich herausstellte. Sie verzehrten ihre Mahlzeit schweigend an diesem Abend, auch wenn Yvara den Eindruck gewann, dass die Androhung rollender Köpfe langsam ihren Biss verlor. Sie würde sich etwas anderes überlegen müssen, für den Fall dass erneut Jemand ausfällig wurde. Immerhin Kleiderständer gab ihr keinen Grund zur Beschwerde. Er speiste ein Stück abseits für sich allein, nahe dem Ende des Felsüberhangs, wo noch immer der Regen niederprasselte und feuchte Rinnsale zu ihnen hinein sandte. Der Lehrling konnte mit den rüpelhaften Banditen genauso wenig anfangen wie sie, nahm Yvara an. Sie konnte es nicht verübeln.
Das Gewitter tobte mit all seiner wuchtigen Schönheit, und der Widerhall des Donners brach sich so laut in dem natürlichen Gewölbe, dass es zeitweise ohnehin unmöglich wurde sich zu unterhalten. Schinkenwurst war der Erste der sich schlafen legte, sorg- und teilnahmslos direkt neben dem Lagerfeuer.
"Wenn wir sie also morgen stellen-", begann Holzkopf schließlich, "-wie werden wir vorgehen? Wenn mir die Frage gestattet ist, Sucherin."
"Hngh." Yvara nagte das letzte bisschen Fleisch von einem Knochen und warf ihn in die Flammen. Die kleinen Raptoren hatten wie Hühnchen geschmeckt. Knorpliges, ungesalzenes Hühnchen. "Es ist simple Arbeit.", sagte sie, während sie sich die Finger an ihrer ohnehin schon schmutzigen Weste abputzte. "Wir schlagen los, sobald der Regen schwächer wird. Zu warten bis er ganz aufhört wäre ein Fehler, der ihnen neuen Vorsprung einräumen könnte."
Sie hatten die beiden Sklaven erst sechs Stunden zuvor in der Ferne ausgemacht, nur wenige Meilen voraus in einer staubigen, wurzelzerklüfteten Schlucht, die inzwischen weit hinter ihnen lag. Der Abstand war noch rascher geschrumpft als angenommen, die Ungläubigen hatten zu oft getrödelt und Schinkenwursts Wegführung kannte keine Nachlässigkeit, auch wenn der Mann in allen anderen Belangen zu wünschen übrig ließ. Sie konnten jetzt nicht mehr weit sein, denn Yvara hatte nach der ersten Sichtung keine Pause mehr gestattet bis der gegenwärtige Regenfall schließlich einsetzte. All das kam nur gelegen. Einzig ein Narr wäre töricht genug, sich bei schlechter Witterung oder nach Einbruch der Dämmerung den Gefahren des Dschungels auszusetzen. Bei Gewitter und Dunkelheit konnte es keinen Zweifel daran geben, dass die Sklaven sich angsterfüllt in das nächstbeste Erdloch verkriechen würden. Die Männer hatten angezweifelt ob es weise war ein Feuer zu entfachen, doch Yvara scherte sich nicht darum ob das feige Sklavenpack ihre Anwesenheit bemerkte. Es gab kein Entkommen mehr. Sollen sie wissen, dass ich ihnen auf den Fersen bin. Sollen sie wissen, dass ich ihre Anmaßung nicht vergessen habe. Im Morgengrauen schon würden auch ihre Köpfe an Holzkopfs Waffengurt schlackern.
Ihr Gedankengang ließ sie einen Seitenblick auf Pickelfresse in seiner schattigen Nische werfen. Der Jüngling war schon wieder damit beschäftigt, faulendes Fleisch aus dem Hals des ersten Toten zu schneiden. Sie hatte es ihm gestattet, solange das Gesicht halbwegs erkenntlich blieb; Jeder Sklave wurde in den Internierungslagern ordnungsgemäß dokumentiert. Mit erstaunlichem Geschick wickelte der magere Junge die modrigen Gewebestreifen um einen knorrigen Ast, den er unterwegs gefunden hatte. Einige merkwürdige Symbole waren inzwischen in das Holz eingeschnitzt. Der zunehmende Gestank dieser kruden Fokuswaffe war so übel, dass Niemand den Burschen auch nur in der Nähe des Lagerfeuers sehen wollte, wann immer er daran arbeitete. Sobald die Mission erfüllt war, würde Yvara das grässliche Ding über dem Knie zerbrechen und ins Feuer werfen, so viel stand fest.
"Wir werden uns nicht mit Heimlichkeit aufhalten, solange der Panther keine Monster wittert.", fuhr sie an Holzkopf gewandt fort. "Unsere beiden Freunde haben keine Waffen und der Dschungel wird immer lichter. Sie können sich nicht vor uns verstecken. Wahrscheinlich sind sie schon so erschöpft, dass sie den Rückweg zum Basislager ohnehin nicht überleben."
Die Augen des Kriegers leuchteten mit Eifer. "Dann werden wir diese Ungläubigen im Namen der Ungesehenen vernichten. Ruhm erlangen."
Na, das geht wahrlich noch leichter als gedacht. Innerlich lachte Yvara über die Absurdität, dass dieser minderbemittelte Strohschädel es als ruhmreich empfand, ein paar unterernährte Zivilisten zu exekutieren. Aber sie war die Letzte, die seine Begeisterung dämpfen würde.
"Ganz genau.", sagte sie und schmunzelte ihm sacht zu.
Nach und nach legten alle sich nieder um zu schlafen, alle bis auf Kleiderständer, der die erste Wache hatte. Wache war dabei relativ, während es einzig darum ging das Abflauen des Gewitters nicht zu verpassen. Sie alle aber würden ihre Kräfte im Morgengrauen brauchen. Auch wenn mit keinem großen Kampf zu rechnen war - sofern die Götter ihnen hold waren und keine weiteren Saurier auftauchten - so hatten sie doch ein langes Stück Gewaltmarsch hinter sich gebracht, und jeder von ihnen war begierig auf ein baldiges Ende der Strapazen.
Yvara schlief mit steifen Gliedern und ruhigem Atem ein, wissend dass all ihre Mühen sich bald von selbst erledigen würden. Und dann war da lediglich noch Melchin.

Kommentare 3

  • Bei den Miniraptoren dachte ich auch als erstes - die müssen wie Geflügel schmecken. Und der falsche Priester Bocksbeutler...ein Scharlatan sondergleichen! Danke dass du den eingebaut hast, sowas mag ich ja immer. :p