Feindliche Übernahme


Ein trüber Tag. Es konnte sich nicht entscheiden. Wollte es regnen? Wollte die Sonne scheinen? Das Wetter schien es nicht zu wissen und somit passte das Wetter zu diesem Tage wie ausgesucht. Er stand am Fenster und blickte nach draußen. Wie so oft. Die mannshohe Standuhr im Salon verkündete mit ihrem Schlag halb vier. Es war später Nachmittag und Graham blickte durch die bodentiefen Fenster in den Garten.
Seit einer Ewigkeit schien er hinaus zu sehen, ja, zu stieren in das Grau des Tages. Vielleicht wartete er darauf, dass sich das Wetter zum Sonnenschein durchrang, oder aber zum Regen. Vielleicht hätte ihm das ein Zeichen für seine eigene Lage sein können. Lange konnte es nicht mehr dauern, dass wusste er. Ein Blick ging hinüber zur Standuhr und wieder stellte sich ein Lächeln auf seinen Lippen ein, dass einem die Haare zu Berge stehen ließ. Er schloss die Augen und ließ die Bilder in sich vorüber ziehen.


Er erinnerte sich daran, wie er mit seinen Eltern das Haus verlassen musste als er noch ein kleiner Junge war. Freilich hatte er damals noch nicht alles verstanden, aber er hatte Zeit. Unglaublich viel Zeit. Die kommenden Jahre waren Arbeitsreich und entbehrlich gewesen. Der Fischer hatte jedoch nicht nur Zeit darauf verschwendet an den nächsten Fang zu denken. Ein Name ging Greg – wie er sich in Löwenstein nannte – nicht aus dem Kopf. Lennigan.
Viele hatten am Aus der väterlichen Minengesellschaft verdient. Immerhin gab es Unmengen an Dingen, die nun verkauft wurden und regelrecht verramscht wurden. Aber Arthur Lennigan hatte am meisten daran verdient. Er hatte sich nicht nur den Wohnsitz der Turpins gesichert und die marode Minengesellschaft übernommen, nein, er hatte etwas weit schlimmeres getan. Er hatte Grahams Vater mit falschen geologischen Expertisen in die Irre geführt und seine Minengesellschaft über diesem Einstürzen lassen wie ein Stollen in zu weichem Boden.


Graham wandte sich ab vom Fenster. Er machte ein paar Schritte durch den Salon und blieb am Klavier stehen. Ein Geschenk. Langsam legten sich drei Finger auf drei Tasten. Ein Mollakkord erklang als er das Bild jener Frau ansah, welche ihm das Klavier geschenkt hatte. „Du würdest mich bestimmt nicht wiedererkennen heute.“ raunte er leise. Nach einem Augenblick des Zögerns ließ er sich auf dem Bänkchen nieder, streckte die Finger aus und begann eher schlecht als recht zu spielen. Auch wenn er hier und da falsche Noten spielte, ein Finger zu weit nach rechts oder links rutschte, es vermochte ihn zu beruhigen.


Der Tod des Oheims hatte die Karten neugemischt und warum auch immer, hatte ihn dieser mit einem wahren Vermögen bedacht. Graham hatte so oft daran gedacht, und nun wurde es wahr. Mit seinem Aufstieg würde ein Untergang beginnen. Zaghaft, langsam, zunächst vorsichtig. Je mehr er lernte, je mehr er heraus fand, desto sicherer wurde er, auf welchem Wege er Lennigan zu Fall bringen wollte. Nach schier endlosen Lektionen in Wirtschaft, Geschichte, Politik, Strategie, Benimm und allem anderen, was die Sprosse hoher Eltern in Kindertagen eingebläut bekamen, hatte er sich von Löwenstein abgewandt.


Die Finger glitten nun gewandter über die Tasten. Es brauchte immer eine Weile bevor er warm wurde, und doch konnte man, nach der kurzen Zeit die das Klavier nun in seinem Besitz war und der Tatsache das er sich die meisten Stücke nach Gehör erarbeitet hatte, nicht davon sprechen das er sehr schlecht spielte. Es war annehmbar, sicher für jemanden der es gelernt hatte eine Beleidigung, doch es war immerhin noch kein Meister vom Himmel gefallen und dafür das er nicht eine Note lesen konnte, war er mit sich zufrieden.


Zufrieden war er auch mit dem Ausgang seiner Geschäfte. Es war ihm gelungen eine eigene Unternehmung zu Gründen die über eine gewisse Arbeiterschaft verfügte und diese sogar unterhalten konnte. Das Klinken putzen in der besseren Gesellschaft war ihm ein Graus gewesen. Er hasste 'sie'. Bis aus wenige Ausnahme behandelte man ihn wie einen Aussätzigen, aber was machte das. Er konnte ein paar Tritte aushalten. Wenigstens musste er diesen blasierten Lackaffen lassen, dass sie Geld hatten und wer Geld hatte, der wollte noch mehr Geld, wenn eines sicher war, dann das.
Er hatte Investoren gefunden für sein Projekt. Die Erschließung eines neuen Schachtes. So hatte er mehrfach glaubhaft versichert und wirklich, er ließ einen Stollen erschließen. Doch war es einer, der schon in den Zeiten seines Vaters gewinn abwarf und Wirtschaftlich zu betreiben war. Es war einerlei, wenn sein Plan aufginge, würden die Investoren ihr Geld zurückerhalten mit den versprochenen Zinsen und wenn nicht, würde er ebenso fortgejagt wie sein Vater. Ihm war es beinah gleich in diesem Moment. Er kannte das Leben der armen Leute nur zu gut und wusste was ihn erwartete.


Ein besonders schiefer Ton riss ihn aus seinen Gedanken. Ein weiterer Blick zur Uhr, fünf vor vier. Ein mechanisches Knarzen zeigte an, dass das Uhrwerk sich darauf einstellte acht Mal zu schlagen. Vier Mal für die volle Stunde und vier Mal für vier Uhr. Er begann in der Hälfte des Stückes noch einmal von vorn.


Was er eingespart hatte, nutzte er anderenorts. Er hatte es schon seit einer Weile vor seinem inneren Auge und nun setzte sich das Räderwerk seines Planes in Gang. Zunächst hatte er Lennigan – seinem größten Konkurrenten - durch Strohmänner Angebote machen lassen, um bei ihm Rohstoffe zu erwerben. Zunächst in kleineren Mengen, so dass dies alles Zufälle sein konnten. Ein bisschen Erz hier, ein wenig Metall dort. Sicherlich kam niemand darauf, dass dies etwas miteinander zu tun hatte. Dann kaufte er immer größere Mengen durch seine Stellvertreter. Was er kaufte, verkaufte er unter eigenem Namen oder ließ es noch einmal zusammenschmelzen und neu gießen, wenn es nicht seinen Ansprüchen genügte, denn eines war sicher. Wenn Turpins Unternehmung auf Dauer Erfolg haben sollte, durfte er sich keinen Fehler erlauben. Die Eisenhütte die er erstanden hatte, leistete hierbei gute Dienste. Niemand würde Fragen stellen, woher die Rohstoffe kamen.


Graham sah über das Klavier. Draußen erklangen Schritte im Flur. Bestimmt Minna die von der Stadt heim kam um das Abendessen vorzubereiten. Noch immer ließ er für drei kochen. Minna, sich selbst und eine dritte Person, die jedoch nie zum Essen erschien. Minna kannte sie nur als „die Frau“ oder „Ihre Ladyschaft“ gesehen hatte sie sie wohl wenn überhaupt nur flüchtig, und auf dem Bild am Klavier. Sei es drum, sie kochte trotzdem für sie mit. Was nach dem Essen übrig blieb, wurde verteilt.


Bösartigerweise hatte er genau die Karte gespielt, die seinen Vater Jahre zuvor mitunter zu Fall brachte. Er hatte einem Geologen dem Lennigan vertraute eine beträchtliche Summe zukommen lassen, mit einer Empfehlung für einen Minenstandort mit besonders ertragreichen Erzschichten. Mit Genugtuung hatte Graham davon erfahren, dass Lennigan darauf einige Anstrengungen unternommen hatte, den neuen Stollen in den Fels treiben zu lassen. Langsam, Stück für Stück fraßen sich die Bergleute in den Stein. Mit jedem Meter mit dem sie sich voran gruben, hackten und bohrten, wuchs die Sicherheit: Hier würde man nicht ein Krümelchen Erz finden.


Grahams Lächeln wurde noch etwas breiter. Noch einmal hob sich sein Blick hinaus zum Fenster. Noch immer Grau. Noch immer war auf dem Zugang zum Haus niemand zu sehen. Er musste sich noch in ein wenig Geduld üben. Nach so langer Zeit, hatte er sich daran gewöhnt.


Den diabolischsten Teil seines Planes hatte er sich für den Schluss aufgehoben. Wiederum war es ein Strohmann der Lennigan mit einer Investition auf die Beine helfen wollte. Er habe von der Pleite beim neuen Stollen gehört und wolle sich beteiligen um ihm durch die Krise zu bringen. Ohne groß zu überlegen stimmte der Mineur zu und holte den vermeintlichen Investor ins Boot. Nach dem dieser den Konkurrenten in Sicherheit gewogen hatte, ließ Turpin die Falle zuschnappen.
Zunächst ließ er die Lieferungen welche er aufkaufte von heute auf morgen beenden. Von einem auf den anderen Tag saß der Widersacher auf Tonnen von Erzen und Metallen die er nicht verkaufen konnte, und nun, war es an der Zeit die zweite Phase des Planes anlaufen zu lassen. Der von Turpin instruierte Investor zog praktisch über Nacht sein Geld aus der Unternehmung. Das brach Lennigan das Genick. Von einer gut gehenden Bergbau Unternehmung, zum finanziellen Ruin dessen Ausmaß sich noch nicht einmal vollständig beziffern ließ in weniger als drei Monaten.


Langsam glitten die Finger über die Tasten als er den Kopf von rechts nach links bewegte. Er war angespannt, aber es konnte zu Grenth gehen, oder es konnte klappen. Es stand auf Messers Schneide, und alles auf dem Spiel.


Vor drei Stunden hatte er einen Boten zum Büro des Kontrahenten geschickt. Er überbrachte einen einzigen Brief. Dick und schwer war er. Darrinnen fand sich ein Schreiben das Lennigan anbot ihm seine Gesellschaft abzukaufen, mit allem drum und dran. Praktischerweise waren eine Vielzahl der dafür Notwendigen Dokumente schon vorgeschrieben und mit gesandt worden. Wenn er einwilligte, konnte er mit einem blauen Auge davon kommen, und im Stillen nur sein Gesicht verlieren. Wenn er ablehnte, würde er im ganz großen Stil verlieren. Das war die Wahl vor welche Graham ihn gestellt hatte und es trieb ihm ein gespenstisches Lächeln auf die Lippen zu wissen, dass es nun bald soweit sein sollte.


Wie auf Zuruf öffnete sich die Haustür, dann klopfte jemand an die Salontüre. „Herein“ ließ sich Graham vernehmen. Er hielt die Hände ruhig und erhob sich vom Klavierbänkchen. Ein älterer Herr betrat den Salon in zwar ordentlicher aber abgewetzter Kleidung. „Er macht es! Er verkauft!“ bringt der heisser hervor als sei er gerannt, in dem Moment da er eintrat und legte eine dicke Ledermappe auf dem Sekretär ab.
Für einige Augenblicke bedachte Graham ihn mit einem abwesenden Blick, als habe er die Worte erst einige Momente nach dem Aussprechen verstanden, dann ließ sich sein breites Lächeln nicht mehr zurückhalten. Graham hatte soeben seine Unternehmung um die profitablen Bereiche von Lennigans Minen erweitert und diesen auf allem unrentablen sitzen lassen und damit in die Tiefe gestoßen. „Bitte lasst Minna eine Flasche Sekt aus dem Keller holen. Wir… haben etwas zu Feiern.“ Kam nach einigen Augenblicken die einzige Erwiderung. Als der Verwalter gegangen war, drehte sich Graham noch einmal zum Klavier um. Sein Blick strich wieder über die Abwesende Schönheit welche dort auf dem Bild zu sehen war, dann glitten seine Augen weiter zum Fenster. Draußen, wurde das Grau des tristen Tages aufgebrochen.


Die Sonne kam hervor. Lennigan würde eben jenen Weg beschreiten, den er Grahams Vater bereitet hatte.

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