Freund oder Feind


... „Weißt du noch wer Freund und wer Feind ist Marlene?“ ...


„Fräulein Lovidicus? Baron von Wengenholm hat Ihnen zwei Briefe zukommen lassen. – Habt Ihr einen schönen Abend gehabt?“ Marlene streift sich die Handschuhe ab und nimmt die Post entgegen. Verdutzt blickt sie sich erst den ersten und anschließend den zweiten Brief an. Sie stockt als ihr auffällt, dass einer der beiden Briefe an ihren Vater adressiert ist und legt eilig den anderen darüber. „Ja. Leni. Danke. – Ich werde mir bei Zeiten Löwenstein genauer ansehen. Bist du dort nicht geboren?“ Das Hausmädchen blinzelt die Komtess ungläubig an als sie sich nach ihrer Vergangenheit erkundigt. „Ja, Komtess. Ich …“ Just in dem Moment als die graue Maus los plaudern möchte, winkt Marlene wieder ab: „Entschuldige. Ich bin etwas erschöpft.“ Die grauen Augen des Hausmädchens senken sich zu den Füßen ihrer Herrin und sie nickt. „Natürlich, soll ich…“ Die Komtess scheint es sehr eilig zu haben in ihr Zimmer zu kommen: „Nein. Ich möchte heute nicht mehr gestört werden. Weder von dir noch von meinen Eltern. Richte das bitte aus, falls Mutter nach mir fragt.“ Die Treppe bereits zur Hälfte erklommen, seufzt die junge Frau kurz und wendet sich schließlich nochmal um: „Leni. Möchtest du mich bei meiner Reise begleiten? Dann können wir einander kennenlernen. Du kamst zu meinen Eltern, da war ich ja bereits auf der Akademie. Außerdem hast du sicherlich Freunde in Garrenhof die du vermisst und wiedersehen willst.“ Der offene Mund und der beinahe entsetzte Gesichtsausdruck der Hausmagd, lassen Marlenes Mundwinkel hoch zucken. „Aber ich.. Natürlich ich. Danke Komtess zu Garrenhof!“ Das strahlende Gesicht von Leni quittiert Marlene mit einem zufriedenen Nicken ab und verschwindet im oberen Stockwerk.



Die vornehme Blässe, zu kränklichem Grau gewechselt. Es war weit nach Mitternacht und die Müdigkeit kratzte an Marlenes Zügen, dunkle Augenringe zeichneten sich unter den geröteten Augen ab. In den Händen hielt sie noch immer das Schreiben von Aedan was an ihren Vater hätte gehen sollen. Sie las die Zeilen nochmal und schluckte schwer als sie den Brief endlich zerknüllte und das Papier in ihrer Faust behielt. „Weißt du noch wer Freund und wer Feind ist Marlene?“ flüsterte sie leise in ihr Schlafzimmer hinein. Sie saß auf dem Bett und blickte sich um. Auch dieser Raum ihres neuen Hauses wirkte noch karg und leer, genauso wie ihr Gesichtsausdruck. Nur einen kurzen Augenblick schaute sie sich im Spiegel das von der Dunkelheit verzerrte Ebenbild ihrer selbst an. Das zweite Schreiben war auch bereits gelesen und lag zusammen mit dem spitzen bronzenen Stachel neben ihr auf dem Kissen. Ein Ruck ging durch ihren Körper als sie mit der linken Hand nach dem Brieföffner schnappte und das laute Reißen des Papiers erklang in ihrem Schlafgemach als hätten die Zeilen es nicht anders verdient. Als das vermeintliche Messer mittig in Aedans zweiten Brief und ihr Kissen drang, schluchzte die Komtess laut auf und ließ sowohl von dem zerknüllten als auch gepfählten Schreiben ab um sich die Hände vor das Gesicht zu legen. Doch es kamen keine Tränen mehr, sie hatte an dem Abend bereits zu viele vergossen. Langsam richtete sie sich nun vom Bett auf, öffnete die Schublade ihres Nachttischchens und blickte auf das dunkelblaue samtene Päckchen hinab welches dort auf ihrem Tagebuch lag. Lange starrte sie nun auf das vorbereitete Geschenk für Kristian und dann auf das mädchenhaft verzierte, jedoch mittlerweile abgegriffene Notizbuch welches ihre Gedanken, Wünsche und Hoffnungen enthielt. Sie griff nach jenem und beeilte sich sogleich auch beide Briefe wieder in ihren Besitz zu bringen. Etwas zu schwungvoll waren ihre Bewegungen, denn als sie sich aufrichtete, musste sie sich an ihrem Nachttisch festhalten.



Die Morgendämmerung setzte bereits ein als sie Leni weckte und sie um Geleit bat. „Aber.. Rupert ist sicherl..“ Verschlafen blickte die graue Maus auf die Tochter des Grafenpaars hinauf und erkannte an den Gesichtszügen der Komtess, dass es keinen Raum für Wiederworte gab. „Ich brauche einen Augenblick.“ Dies genügte Marlene, ihre hohen Absätze hallten im Flur nach als sie zur Haustür ging und dort auf das Hausmädchen wartete. Bewaffnet mit einer Dokumententasche und der verschlafenen Leni verließen sie die Rurikstadt in Richtung Salma. Als sich die Faust der Komtess an die dunkle Holztür hob, schüttelte Leni nur den Kopf. „Mister Turpin wird sicherlich noch schlafen, genauso wie sein Hausmädchen. Ganz gleich wie tüchtig..“ weiter kam das Häufchen Elend nicht, denn die Tür wurde aufgerissen und ein strahlendes Lächeln empfing die Gäste. „Guten Morgen! – Oh - Euch kenne ich!“ Die Blondine öffnete die Tür nun ganz als sie Marlene erkannte und winkte die beiden Damen hinein: „Tretet doch ein, die Morgenfrische hat es in sich. Die Wärme des Hauses soll nicht verloren gehen.“ Leni blickte auf die Komtess und hob eine Augenbraue, ihr war bisher nicht aufgefallen, dass Marlene völlig unpassend für diesen kühlen Morgen gekleidet war. Mit einer Selbstverständlichkeit ging die Schwarzhaarige voran zum Salon und hörte nur halb die Frage von Leni: „Woher kennst du denn die Tochter der Lovidicus?“ - „Ich sehe auf sie wenn ich Mister Turpin beim Klavierspiel zuhöre. Ein Gemälde von ihr, steht bei uns im Salon.“ war die Antwort von Minna, die Marlene ein Lächeln entlockte.

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