Belangloses Gansgeschnattere

Genie und Wahnsinn waren, so sagte man doch, zwei Dinge, die nahe beieinader lagen. Oftmals verschwammen die Grenzen und gab man nicht Acht, dann passierte es sehr schnell, dass man einen Schritt zu weit tat und von der Klippe stürzte, deren Grund unsichtbar und endlos fern lag. Ich für meinen Teil, da war ich mir sehr sicher, gehörter weder zu dem einen, noch zu dem anderen. Ich war kein Genie. Das würde einem so ziemlich jeder bestätigen, der mich kannte. Aber wie viele waren das am Ende schon? Wahnsinnig war ich nun auch nicht. Gut, es gab in diesem speziellen Fall natürlich ein paar Stimmen, die jetzt das Gegenteil behaupten würden, doch bedeuteten sie mir nichts. Gesichtslose Narren, die es nicht besser wussten. In meiner Welt spielten sie keine Rolle. Sie hatten einfach keinen Platz, denn in meiner Welt regierte ich ganz alleine.


Ich beobachtete Hase an seinem Schreibtisch. Sah ihm dabei zu wie er Papiere durch ging, Unterschriften setzte, Listen vervollständigte oder in Akten blätterte, deren Inhalt mir gleichgültiger nicht hätte sein können. Es ging mich nichts an was seinen Kopf füllte und um ehrlich zu sein, wollte ich es am liebsten auch gar nicht wissen. Hase war jemand der sich häufig, mir erschloss sich der Sinn in den meisten Fällen nicht, mit Dingen befasste, die ich für absolut unwichtig hielt. Oft waren sie es nicht, aber das begriff ich dann immer auch erst sehr viel später. Ich versuchte schon lange nicht mehr seinen Verstand zu entschlüsseln, denn ich kenne niemanden, dem das bereits jemals gelungen wäre. Es war klüger seine Ressourcen nicht zu verschwenden und zu erkennen wann eine Schlacht als verloren galt.


Lange war ich nicht mehr in der Heimat gewesen und jetzt wo ich es mir auf dem Sessel in seinem Büro bequem gemacht hatte, Kartoffelschnaps aus einem Satfglas trank und kalte Teigtaschen von einer Serviette aß, merkte ich erst einmal wie sehr ich es eigentlich doch tatsächlich vermisste. Alles war hier so viel besser. Nicht besser im Sinne von gut, sondern besser im Sinne von...besser eben. Heimatlich. Vertraut. Angenehm. Es gab mir Sicherheit. Es gab mir Kraft. Eine Kraft, die mir an meinem Einsatzort durchaus einmal abhanden kam. Mir ging es da so wie vielen anderen auch und dass sich eben diese Leute hier nun mit mir trafen und wir wenigstens für einen Abend, ein paar wenige Stunden unsere Gemeinschaft feierten, unseren Zusammenhalt, erfüllte mich mit tiefem Stolz und dem Bewusstsein, dass es sich lohnte. Dass es das alles wert war.


„Was ist das da mit dem Jungen?“

Ich hatte nicht damit gerechnet angesprochen zu werden und darum begriff ich erst Momente später und als ich seinen Blick auf mir spürte, dass er mich damit gemeint hatte. Ich verschluckte mich prompt an einem Stück unzerkochter Zwiebel und hustete erbärmlich. Ihn veranlasste das dazu einen seiner Mundwinkel zu heben. Ein Anblick, der mir so vertraut war wie nur wenige Dinge sonst.


„Du bringst mir keine Ergebnisse, Liebes. Du bist doch an der Sache noch dran...oder nicht?“


Jaja. Blablabla...Herrje...Wie er sich einfach niemals gedulden konnte und immer gleich noch einen nach setzen musste. Ich schluckte das Teigzwiebelhackgemisch in meinem Mund herunter und spülte mit einem Schluck Schnaps nach.


„Es braucht eben Zeit. Er ist schwer beschäftigt, aber das weißt du ja. Und ich habe auch zu tun. Ich kann mich nicht zweiteilen.“
„Aber ich könnte das tun.“


Ich sah ihm an, dass er ganz genau um die Plumpheit seines Spruches wusste und ihn nur gebracht hatte um mich zu ärgern. Ich hasste nichts mehr als geistlose Unterhaltungen und prollhaftes Verhalten der schnibbelbestückten Bevölkerungsschicht. Ich hatte mir schließlich nicht umsonst die Rolle ausgesucht, die ich derzeit verkörperte. Meine Lider näherten sich einander an und ich versuchte es einmal mit Augenbrauen, die aufeinander zu wanderten. Seine sich daraufhin bleckenden Zahnreihen blendeten mich.


„Wenn wir uns bisher trafen, dann sind wir irgendwie noch nie richtig darauf zu sprechen gekommen. Ich muss vorsichtig sein. Er ist kein Trottel, mein Lieber. Wirklich nicht. Er ist auch weniger langweilig als zuerst angenommen. Wenn ich es nicht geschickt anstelle, dann wird er das bemerken.“
„Das klingt mir nach Ausreden, Liebes.“
„Das sind aber keine.“


Natürlich waren es welche, aber das musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden. Musste es nicht, weil er es sowieso schon durchschaut hatte. Den Protest erlaubte ich mir trotzdem.


„Ich nehme es dir nicht übel, Spätzelchen. Wirklich nicht. Sie allerdings...sie werden es tun.“


Ich zog einen Flunsch. Das kam in letzter Zeit für meinen Geschmack viel zu oft vor. Ganz spontan befand mein Magen jetzt satt zu sein, sodass ich die letzten beiden Teigtaschen in die Serviette rollte und auf die Seite legte. Den Schnaps behielt ich.


„Machst du mir daraus einen Vorwurf?“
„Du trägst ja schon seinen Ring.“
„Was?“


Die Frage hätte ich mir sparen können, denn eben jener Ring fiel in mein Blickfeld. Unwirsch legte ich meine Hand darüber. Eber...dafür würde ich ihm eine verpassen. Aber so richtig. Dass ich mir meine Antwort bereits selber gegeben hatte war offensichtlich.


„Es hängt kein Versprechen daran, Boss. Es ist einfach nur ein Ring. Du weißt ganz genau, dass ich nur mit einem verheiratet bin. Ich habe nicht vor etwas daran zu ändern. Dafür laufen die Dinge gerade zu gut. Ich hatte meine Chance und ich habe sie vertan. Jetzt sind andere an der Reihe.


Ich machte ihm etwas vor und mir auch. Es waren seine Gedanken. Ich wusste es in dem Moment, als seine Zweifarbe mich taxierte. Ein guter Zeitpunkt um ein paar Fingerbreiten zu schrumpfen. Die ganze Geschichte war lächerlich. Ich hatte keine Lust mehr mich damit zu befassen und vor allen Dingen nicht jetzt. Echt war sicherlich nichts von alledem. Ich war mir sogar ziemlich sicher, dass er ein Spiel mit mir spielte. Nein. Nicht mit mir...mit der Gans. Und Gans war dumm genug darauf herein zu fallen. Sie tat es ganz bewusst und mit dem Ziel andere Gedanken aus den eigenen Gehirnwindungen zu verbannen. Wissen wann eine Schlacht verloren war...Ich wiederholte diese Worte sehr oft in letzter Zeit.


„Es ist niemals einfach nur ein Ring. Wieso hast du ihn angenommen?“
„Ich weiß nicht.“
„Ist es echt?“
„Ich weiß nicht.“
„Wird das Probleme geben?“
„Ich weiß es doch nicht...“
„Ich will es aber wissen.“
„Nein.“
„Bist du dir sicher?“
„Nein.“
„Du bist in letzter Zeit ziemlich sprunghaft, Liebes. Muss ich mir Sorgen machen?“
„Ich bin ein Profi.“
„Wirklich?“
„Selbstverständlich.“


Mir gefiel nicht in welche Richtung sich die Sache entwickelte. Ich klang wie eines von diesen dahergelaufenen pseudogenialen Mädchen, das glaubte mit seinen beiden Dolchen, dem eng anliegenden dunklen Ledergewand und ein paar hervor brechenden Brüsten die Welt zu verändern. Das war erniedrigend. Ich war nicht so jemand. War ich nicht. Ich war wir. Und bei uns gab es so etwas nicht. Außerdem war es überflüssig mit mir darüber zu sprechen, denn ich konnte ihm derzeit sowieso keine Antwort geben, die er nicht bereits schon wusste. Zumindest vermutete ich das.


„Ich kann verstehen, dass du derzeit auf der Suche bist, Spatz. Aber ich hoffe du verstehst auch, dass ich meine Leute gerade zu einhundert Prozent brauche, nicht wahr? Alles ist im Umbruch. Es gibt Lücken, die gefüllt werden wollen, Löcher, die zu umschiffen sind. Gefühlsduseleien sind ein beschissener Scheißdreck.“


Dass ich mit meinen Augen rollte und ihm damit alleine signalisierte über seinen kleinen Vortrag genervt zu sein, tat mir nur Sekundenbruchteile später leid. Ich atmete durch und beobachtete wie er seine Hände auf dem Tisch und der zuletzt bearbeiteten Akte ineinander legte. Mein Fixpunkt waren aber nicht die kräftigen, blassen Finger, sondern beschränkte sich auf das schmale, unscheinbare Bronzeband, das er links trug. Langsam schlug ich die Lider nieder.


„Die Geschäfte laufen gut. Die Finanzlage sah nie besser aus. Die interne Krise ist abgewendet...Gönn dir was, Liebes. Gönn dir was, sofern du das jetzt brauchst, aber vergiss die eigentliche Aufgabe nicht. Ich kann nicht noch eine Djamila gebrauchen...“


Mein Hals wurde trocken. Es war nicht schwer zu begreifen was er mir damit gerade gesagt hatte. Nicht für mich jedenfalls und darum sagte ich auch nichts mehr darauf. Ich mochte mich gerade nicht leiden. Auch so etwas, das mir nur in seinem Büro passierte. Vielleicht weil ich hier regelmäßig mit meiner eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert wurde und das ganz ohne sein Zutun. Mir etwas gönnen...Das war ein halber Junge. Ich war gut ein dutzend Jahre älter...wenn nicht mehr. Nichts was ich brauchte...Dachte ich. Die Flasche Kartoffelschnaps und ich wurden an diesem Abend noch sehr gute Freunde. In diesem Büro erlaubte ich mir das. Nur hier und nur vor ihm...vor niemandem sonst. Und doch wussten es alle. Immerhin war er ich. Ich war wir. Wir waren viele. Hase liebte uns alle und ich liebte ihn. Liebte uns. Liebte mich. Sie gehörten alle mir und wir nahmen uns was wir wollten. Er gönnte es mir tatsächlich und als mich diese Erkenntnis traf, kam ich nicht umhin ihm die Schnapsflasche an seinen verdammten Schädel zu werfen. Hermelin hätte furchtbar gelacht.

Kommentare 8

  • *schnattert einfach mal vorbei* Wundervolle Beschäftigung, während man auf Stuff wartet. Schön geschrieben, unterhaltsame Überleitungen und ihre Gedanken sind irgendwie doch ganz schön.

    • "und ihre Gedanken sind irgendwie doch ganz schön." Lass sie das besser nicht hören. Sie könnte sich am Ende noch etwas darauf einbilden, obwohl sie sich ja sonst praktisch niemals Dinge auf irgend etwas einbildet :)

    • Ha!

  • "die interne Krise ist abgewendet"... DEINE MUTTER IST ABGEWENDET. Wartet nur ab. Ehehe.

  • Eine gleichsam sehr schön geschriebene wie interessante Perspektive auf die gänsische Lebens- und Gedankenwelt, die man in dieser Form sonst nur schwerlich zu Gesicht bekommt. Mir gefällt sie sehr, weil sie auch die Vielschichtigkeit des Charakters unterstreicht.


    Und natürlich werden in mir auch Fragen über etwaige Miniaturhasen und deren potentielle Rolle im deliquenten Ökosystem aufgeworden aufgeworfen. Der stete, infernale Zyklus des Jägers und Gejagten... doch wer ist der Endkonsument? ;)

  • Schön. Und ich versteh sogar bisschen worum es geht!


    Und die guten alten Barbieassassinen, hehehaha!