Minze und Milch



Abschnitt I – Nach bestem Wein


Dieses Pochen in den Schläfen, der schwere Nacken und letztlich der unwiderstehliche Geschmack von Vergorenem vom Vorabend. Ein Auge blieb zusammengekniffen, das andere suchte Halt am gewellten Himmel des Bettes, an Stoffbahnen, die andere nicht ein mal anziehen durften. Und neben ihm... niemand? Das musste die suchende Hand erfahren und der Geist verstand es Herzschläge später mit einem resignierenden Schnauben. Kein Blond, kein Rot, kein Brünett. Wie ungewohnt und beschämend dieser ungewöhnliche Morgen doch war. Zwar nur vor sich selbst, aber das reicht ihm im Grunde auch schon um den Sonneneinfall zu trüben. Auf dem Schränkchen neben dem Bett stand ein Silberkelch mit aufgelöstem Mädesüß und zerstoßenen Minzblättern um den Atem erträglicher zu gestalten. Jemand, der sein Blut metaphorisch gegen den Wein getauscht hatte umarmte morgens nur den eigenen Kater. „Naoko...“ rief die belegte Stimme. Der Mann zwang sich die Augen zu öffnen und scheiterte im Vorhaben an der Feststellung, dass er die Vorhänge noch ein mal aufgerissen haben muss. Zum Glück reicht die helle Himmelsscheibe nur zum Seitenfenster herein und scheint erst zum Abend durch die weite Fensterfront über der Lyssa-Hochstraße. Der Fürst zog die Decke bei Seite und entblößte sich beim aufsetzen ungeniert. Wofür schämen, wenn man perfekt ist? Die mitgereiste Führung der Dienerschaft aus dem Anwesen öffnete mit strickt geradeaus gerichteten Mandelaugen den Morgenmantel aus Dolyakunterwolle, damit sich die edle Seele erheben und bedecken konnte, schwieg sonst, weil sie wusste wie wenig er nach einer Rauschnacht mit Stimmengewirr umgehen konnte. Alejandro dankte mit einem Nicken und bereute die Regung. Nach kurzer Umsicht im weiten Raum der relativ kleinen Stadtwohnung, -verglichen mit dem Landstrich im Norden des Gendarran- stellte er abermals fest, dass hier sonst niemand schlief. Weder auf dem Boden, noch vor dem Kamin und auch nicht bei der Sitzgruppe vor der Aussicht hinter Glas. Ein gedehntes Seufzen entkam Alejandro. Ein wenig unwirsch, ein wenig gequält und dezent erbost. „Hol mir den Hauptmann,“ wies er an und griff nach dem Kelch mit der Kräuterminzmischung. Naoko neigte das Haupt, faltete die Hände vor dem Schoß und bestätigte Alejandros Wunsch, während er das Trinkgefäß stürzte, sich den Mund spülte und die Mischung herab schluckte. Das Silber knallte unwirsch zurück auf die polierte Holzfläche aus dunkel geöltem Baoba-Holz. Naoko machte sich auf den Weg in die bescheidenen Räumlichkeiten der Wachmannschaft.


Bare Füße trugen die edle Seele mit goldblonden Locken vor ein neuerlich erhaltenes Geschenk, das seinen Platz neben dem Kamin fand und dank der Größe halbwegs ein Gemälde vom Blick über die Bergausläufer des Harathi verbarg. Auf dem langen Pfad, der sonst halb so weit schien, fasste er nach einer Flasche, die zu seinem Bedauern leer war. Der 1324er „Matteo“ mit fremdem Etikett erinnerte ihn an das Abendessen, das er ebenso allein und vor dem Kamin zu sich nahm, als er zum Sonnenuntergang noch genießen konnte. Was Stunden später den Gaumen berührte, fand keinen Weg mehr zum Geschmacksverständnis eines Kenners, sondern berührte die Magengrube eines nachdenklichen Mannes. Mit leerer Flasche und verschränkten Armen, hörte Alejandro heraus, dass sich Hauptmann von Bredow näherte und das Schaben und Klackern des Rüstzeugs stach wie Nadeln in die Stirngegend. Als die hochgewachsene Blonde sich neben ihm aufstellte und ordentlich mit, „Lyssa zur Ehr, Fürst de Cerro,“ grüßte, engte Alejandro noch ein mal die Lider. Ihm entging dennoch nicht ihr verwunderter Blick zum präparierten Tierpaar vor ihm. Das stand am gestrigen Morgen noch nicht im Raum. Eine heimische Raubkatze, die einen Hirschen anfällt. Auge in Auge, Zahn um Zahn. Militante Kunst in Form von Jagdtrophäen. Nach knappem Blickwechsel zwischen seiner Rosegardenleiterin und den toten Tieren beschloss er es zu erklären. „Ein gräfliches Geschenk. Beeindruckend, nicht wahr?“ Gales Antwort mit weiblich tiefer Stimme aus einem muskulösen, gepanzerten Leib antwortete ordentlich und neutral, „Ja, Fürst de Cerro.“ Ferner erklärte Alejandro dennoch, „Ich bin wie dieser Luchs. Ich weiß was ich will und ich lasse nicht locker, bis ich es habe.“ Hauptmann von Bredow ließ die Iriden noch ein mal wandern und merkte zögerliche an, „Fürst, das ist ein... Berglöwe.“ Mit leicht gehobenen Brauen sah sie einer Rüge entgegen. Zum Glück war der hohe Herr zu unausgeruht und lauter zu werden, täte dem Mann selbst keinen Gefallen. „Wie dem auch sei. Hauptmann, ich muss heute zu diesem Irgo. Die Karten für den Ball holen. Das will ich selbst machen. Bringt außerdem in Erfahrung ob von Sellering endlich wieder hier ist oder wo er steckt. Ich warte nicht gerne.“ Ob sie den ersten Namen nun auch noch korrigieren sollte, den Alejandro in seiner Gleichgültigkeit falsch ausgesprochen hatte? Besser nicht. „Wir fangen gleich mit dem Gang zur Registratur an. Wie ich diesen Pergamentkrieg hasse.“ Dazu nickte Gale nur bestätigend. „Und sagt,“ führte Alejandro mit einseitig offenem Blick noch ins Dialogsfeld, „Hauptmann von Preuth ist wie befohlen unterwegs zum Gestüt? Ich will sie sicher zurück wissen, während wir uns auf den Weg durch die Stadt machen.“ Gale las Sorge in seinen Augen ab, die sie nie vor ihm als solche betitelt verbalisieren würde. Auch diesmal fiel ihre Antwort daher wenig mütterlich, sondern neutral und knapp aus. „Hauptmann von Preuth hat sich zum Sonnenaufgang auf den Weg gemacht. Ich war bei Prinzessin Leandra, der Rest der Wachen ist nun dort und ersetzt mich. Ich begleite euch mit Caimbeulach und Glas selbst.“ Ein Atemzug unterbrach die Gerüstete, die von betrunkenen, kleineren Männern nicht nur ein mal als kleinere Norn bezeichnet wurde. Fernab jeder anatomischen Kenntnis und mit Bierstimme. „Giuliana hat uns die Nachricht zukommen lassen, sie kümmere sich um eure Wünsche. Aus dem Westen gibt es nichts neues.“


Der Fürst verstand die für fremde Ohren kryptischen Informationen und nickte nur matt. Er sah lange in die Toten Augen des Berglöwen, dann in jene des Hirsches und dachte über sein Leben nach. Nicht wie jeder andere am Morgen nach dem Alkoholkonsum, der sich vornimmt nie wieder zu feiern oder in diesem Fall, einfach zu trinken, sondern aus den Augen eines Mannes der es bei den Göttern einfach nicht gewohnt war in die Einsamkeit abgeschoben zu werden. In Alejandros Falle waren eben schon Stunden einsam. Man war anderes gewohnt und konnte sich stets etwas wünschen, doch das Anwesen lag fern und wer hier war, hatte an dieser Position nichts bei ihm zu suchen. Und dann besaß jene eine auch noch die Frechheit ihn zu versetzen und das angekündigt. „Naoko soll mir Kleidung richten und dafür sorgen, dass ich ein Bad nehmen kann. Dann machen wir uns auf den Weg.“ Gale nickte erneut in strammer Haltung. „Jawohl, Fürst de Cerro.“ Damit machte sie sich wieder auf den Weg aus dem Raum. Zum Leidwesen von Alejandros Gehör. Der Fürst schloss die Lider und murmelte mit der leeren Flasche in der Hand etwas ziemlich unschickliches vor sich her, ehe er das Glasgefäß einfach fallen ließ. Zum Glück verhinderte der Vorleger einen Bruch. Es war nicht alles Gold, was glänzt.

Abschnitt II – Hinter gestempelten Tapeten


„Ein Geschenk? Unglaublich,“ scherzte Gale spitzfindig als sie durch den Speiseraum für die Bediensteten stapfte und Garreth am Tisch erblickte. Sie hatte Zeit, wenn der Fürst noch ein Bad nehmen wollte. In Wahrheit wurde aus dem sofortigen Aufbruch dann eine Atempause für mindestens eine Stunde, eher noch zwei. Der Wilde, der gar nicht so recht ins Bild des Fürstenhauses passen wollte, aber einfach unersetzlich für die Weinberge ist, nestelte an einer kleinen Verpackung neben Keksen aus dem Herzlich herum. Unfreiwillig komisch. Die Lippen angestrengt geschmälert, vom Vollbart unter der Krallenspurennarbe gerahmt. Sein Murren war nebst strengem Aufsehen eine erwartete Antwort an die Streiterin im Rüstwerk in Hausfarben. Garreth trug dagegen nur einen alten Mantel aus fleckigem Leder. Gales mütterlicher Instinkt paarte sich mit der weiblichen Neugier. Sie stellte sich an den Tisch und legte die Plattenhandschuhe auf. „Hast du die geschossen?“ Die sonstige, insgeheime Seelsorgerin für weibliche Probleme in der hohen Position am Fürstenhaus lenkte Garreth bewusst vom Geschenk ab um den akribisch hantierenden Mann noch einen Augenblick lang beobachten zu können. „Du meinst den Berglöwen, den der werte Herr ständig als Luchs bezeichnet? Nein. Ist von Gräfin... Schießmichum, keine Ahnung. Auch irgend ein Tier im Namen. War in der Kiste die deine Leute mitbrachten, nachdem sie den Wein weg fuhren.“ Gale quittierte die Informationen mit einem lautlosen Ausdruck des Verständnisses mit offenen Lippen. Der Jäger vor ihr zog indes ein Armband mit verschlungenen Lederbändern aus dem Päckchen. Die Kekse hatte er bei näherer Ansicht schon angegriffen. Krümel zeugen neben dem Milchkrug von der Schlacht. „Niedlich,“ merkte der Hauptmann mit geschlechtlich irreführendem Rang noch schmunzelnd an und klopfte drei mal auf die Tischplatte um Garreth zu necken, ehe sie sich umwendete und den Raum verließ. Der drei Jahre jüngere, aber deutlich älter wirkende Mann mit Filzlocken tötete sie noch mit hinterlistigen Blicken durch die nächste Wand und besah sich dann wieder mit einem leisen Seufzen das Armband, legte es an und fand stillen Gefallen daran. Sie hatte mit ihrer überraschten Haltung nicht ganz unrecht. Es war ein seltener Moment, wenn ihm jemand etwas schenkte und dann auch noch Kekse und etwas, das er als Schmuckstück bezeichnete, auch wenn der Mann der ihm das Brot zahlte diesen Tand niemals in irgend einer Weise als Wertvoll deklarieren würde. Nur warum, das ging ihm nicht auf. Vielleicht hatte Naoko Mitleid. Das würde Sinn machen, so schwer es einem gestandenen Mann auch fiel sich selbst in einer Lage zu sehen, in der man Mitleid ernten würde. Die Kekse schmeckten jedenfalls und die Milch war noch kühl. Er betrank sich nie vor der langen Heimreise. Allein.

Kommentare 7

  • Du weißt, ich lese deine Geschichten total gern, auch nach über zehn Jahren gemeinsamer RP-Erfahrungen. Immer wieder schaffst du es mich zu überraschen, es ist noch nie langweilig geworden und ich kann kaum erwarten zu sehen, wie diese Geschichte hier weitergeht. Ich kann es überhaupt gar nicht vorhersehen.


    Ich liebe dich, mein wundervoller, kreativer, einzigartiger Ehemann. <3

    • Vielen Dank meine Süße, macht aber auch Spaß sich dafür was auszudenken. <3

  • Sie ließ die Iriden wandern - sie rollte innerlich seufzend mit den Augen! :))

  • Das Armband! Und die Kekse! <3