Vom fallenden Buch und einer Statue

Das Holz des Bodens poliert und glänzend als wäre kein Schritt je darüber geführt worden, ein Meisterwerk der Handwerkskunst der Haushalt führenden Damen des Anwesens. Die Gardinen sonst geschlossen, heute weit zurückgezogen und der Flügel geöffnet, gestimmt und mit von Meisterhand angeschlagenen Tasten. Die Melodie bringt einprägsames Empfinden in den Raum und lädt die Leiber ein sich in dieser zu rühren, zu tanzen und Feen gleich die weiten Röcke schwingen zu lassen. Die Hand umfangen sanft und liebend, der Rücken gestützt und bewahrt vor Schaden durch seine Finger. Blicke die verlieren, die vergessen lassen, wer und was um einen ist. Im Raum vermag keine schöner zu sein als die Baroness es ist, im Raum vermag keiner stattlicher zu sein als er es ist. So sollte es sein, so war es in jedem Traum und er führt sie Tanz um Tanz, während lächelnde Mundwinkel die ein oder andere Träne der Freude fangen. Dieser Tag, diese Stunde ist perfekt, einmalig und einzigartig, niemand vermag ihn ihr zu stehlen. Sie hört sie plaudern, miteinander lachen und weiß doch, dass viele Augen nur auf ihn und die Baroness gerichtet sind. Ein wundervoller, malerischer Augenblick, der so die Sechs wollen, niemals Enden möge. Sollte das Lied doch ewiglich anhalten und sie über das Parkett schweben. Ein flüchtiger Schmetterlingsschlag der Zeit, die einem durch die Fingern lief.


„Faye Evoletta! Wo seid ihr wieder mit euren Gedanken?“ herrscht unvermittelt die Stimme aus den Nebeln, aus den nicht gesehenen Menschengesichtern hervor, die nur Masken waren und sich nach und nach auflösten als ihr Blinzeln sie wieder in die Gegenwart lockte. Der Mann vor ihr ist sicherlich nicht unansehnlich, aber auch nicht stattlich und er tanzt nicht mit ihr, weil er verliebt ist und nur Augen für sie hat, sondern weil er für diesen Dienst eingestellt ist. Der Gehstock in der Ferne kommt mit beunruhigendem Geräusch entgegen, der Rücken unter grauem Dutt im Hinterkopf beugt sich und hebt das Buch herauf, um es ihr zu reichen. „Rücken gerade, Kinn herauf! Habt ihr denn gar nichts gelernt, Baroness.“ ein zweifelndes Kopfschütteln des Fräuleins zu eigenen Worten und die Finger der jüngeren Frau in weiße Spitzenhandschuhe gekleidet, nehmen ab was vom eigenen Schopf zu Boden gefallen ist. Der Tänzer war einen Schritt zurück gegangen, ließ die Anstandsdame mit dem zwölfjährigen Mädchen sprechen ohne sich einzubringen, oder eine Schuld am Fallen des Buches für sich einzunehmen. „Ihr seid wieder einmal unachtsam gewesen, so wird man euch verlachen beim Einführungsball in die Gesellschaft. Ein plumper, unansehnlicher Tölpel, ein Dolyak gar, welchen man in ein Kleid gesteckt hat und auf hohe Schuhe stellte. Nicht anders stellt ihr euch hier dar.“ Wo früher hart der Rohrstock traf, waren es im Laufe der Jahre mehr noch die Worte geworden die niemals verfehlten, was sie anrichten wollten. Wie Pfeile losgelassen von der besten Sehne eines Bogens, dessen Schütze zielsicher beide Augen schließen konnte um ins Auge der Zielscheibe zu treffen. Dieses Ziel blutete bereits aus tausend Schnitten, Gräben und Löchern, die Worte und Taten in das Herz des Mädchens trieben. Worte die Erwartungen mehrten, die den Druck im Innersten schürten und nach und nach die Fantasie und den träumenden Willen verbannen wollen.


„Noch einmal.“ herrscht derweil die Stimme von Fräulein Zerath in den Raum ganz so als wäre dies hier ihr Anwesen auf dem sie das Sagen hatte und niemand ihr dabei in die Quere kam. Vielleicht war es zu Weilen sogar so. Was die Erziehung der Baroness betrifft in jedem Fall. Hier gab Clifford Lacie jener jedes gewünschte Zepter in die Hand und diese Hand war streng, sie war unbarmherzig und kannte nicht die ruhige, wärmende Führung, wenn schlimmer Traum, oder Schmerz einen weinen ließ. Wann immer das Kind im Leibe der Heranwachsenden sich fürchtete, sich wünschte, jetzt gerade auch den wallenden Rock der Marktfrau als sicheren Schutz zu suchen, wie es die Kinder dieser taten. Die ihre Gesichter im Stoff vor Scham versinken ließen und leise ihre Tränen wieder weg kicherten. Faye hatte nur ihr Kissen, dem sie erzählte, in dem sie sich vergrub, wenn der Tag wieder zu schlimm war. Doch noch ist sie fern dessen und die Tränen, die eben noch beschrieben vor Zuneigung sich an gehobenem Mundwinkeln verloren, trafen unter den nächsten Takten bebende Lippen. „Eins, Zwei, Drei..“gab die Grauhaarige den Takt vor „Eins, Zwei, Drei..“ kam es wieder und die Baroness glaubte ihre Füße fielen vor Schmerz bei jedem Wiegeschritt ab. Das Buch auf dem frisierten Schopf wackelte bedenklich, weil die Schuhe zu hoch und zu klein waren für sie. Die schief stehende Hüfte machte es schwer die Balance zu halten und gerade als sie glaubte das Buch rücke wieder von ihrem Haar, traf sie der Gehstock kurz unterhalb der Hand des Tänzers. Er war selbst wenig begeistert von dieser Art der Züchtigung, hielt aber vornehm seinen Mund. Angewiesen auf die Münzen, sah er sich Stunde um Stunde an, wie jemandem das Tanzen, welches er liebte, zur Abscheu gemacht wurde. „Gerade halten, wir werden doch wohl ein Lied überstehen können ohne ein fallendes Buch.“ sind die nächsten Worte der Frau und Faye blinzelte einmal mehr gegen den Vorhang der überlaufenden Pfützen in Farngrünen Augen. Sie sah durch den Mann, der sie führte, hindurch und war mit jeder Faser des Leibes angespannt, es nur ein einziges Mal zu schaffen. Doch der nächste Schritt ließ sie wieder etwas einknicken, das Buch fiel mit dumpfem Aufschlag abermals auf glänzendes Holz und das Herz in junger Brust hörte einmal mit diesem Schlag auf eigene Arbeit zu leisten.


„Ihr bleibt nun hier stehen, die ganze Nacht. Haben wir uns verstanden?“ die Vorhänge des Ballsaales waren verschlossen worden nach dem letzten fallenden Buch. Tänzer und Klavierspieler davon geschickt und die Worte, die Faye sich anhören durften schienen kaum zu enden. Dennoch war sie zunächst sogar erleichtert gewesen als man den Unterricht durchbrach, weil das Fräulein ungeduldig mit ihrer Schülerin wurde. Hätte sie aber gewusst, was auf sie zukam, sie wäre auf die Knie gefallen um zu betteln und zu flehen weiter tanzen zu dürfen. Vielleicht hätte es geholfen, so aber traf sie die Strafe schwer. Die Zofe musste sie bis auf die weiße Unterbekleidung - Korsage, Unterhemd und langer Unterhose - ausziehen, ihre Schuhe vorn mit Seifenstücken noch kleiner stopfen und sie dann durch das Haus zum kleinen Salon begleiten. Dort stand sie nun bei einbrechendem Abend, zwei Bücher auf dem Schopf, die mit ihrem Gewicht den Nacken schmerzen ließen und doch einer Statue gleich. Auf dem Polstermöbel saß die Anstandsdame, trank ihren Tee vorm Kamin und las ein Buch. Auch sie würde keinen Schlaf in dieser Nacht finden, aber zumindest eine angenehmere Nacht haben als die Baroness dort in der Ecke, die nur wenig die Wärme des Kamins an diesem späten Monat des Jahres empfing. Einmal hob sie den Blick über die auf die Nase geklemmte Brille zu eben Faye, seufzte schwer, als trüge sie die Last auf den Schultern und sprach „Wozu ihr mich zwingt..“ eine schwer wiegende Pause „ihr solltet euch schämen, dass ihr mir solche Aufgaben euch zu geben auferlegt.“ und Faye? Sie schmälert die Lippen und die Stimme bringt hervor, was erwartet war „Verzeiht mir bitte meinen Ungehorsam, Fräulein Zerath.“ Ein Nicken nur mehr der alten Frau, die Uhr schlug neun am Abend und die Nacht war lang und voller Lektionen.

Kommentare 19

  • BEZAUBERNDE Frau, grrr.

    • Fräulein Zerath kümmert sich sicherlich auch gern um die di Saverio Kinder.*g*

    • Das Fräulein würde nach nicht einer Woche ihren Rentenantrag abgeben.


      ...wenn man sie dann überhaupt noch auffinden kann... :whistle:

  • Gefällt mir gut. Du hast sehr viele glanzvolle Bilder und Sätze drin.
    Manche Formulierungen wie "die Tränen [...] trafen unter den nächsten Takten bebende Lippen" finde ich etwas zu kompliziert bzw in zu großer Menge vorhanden, was das Lesen auf Dauer ein bisschen anstrengend macht. Das ist ein Punkt, an dem ich auch ganz hart arbeite, denn der Grat zwischen schöner und unnötig schwurbeliger Sprache ist sehr dünn und natürlich auch sehr subjektiv. Ich ermutige dich dazu, den ein oder anderen Satz ruhig schlichter zu formulieren, damit die Sätze, die es nicht sind, umso heller glänzen. Ob du es umsetzen willst, bleibt natürlich dir überlassen. =) Eine schöne Geschichte. Bildlich sehr gut vorstellbar.

    • Danke dir für deine Worte. Ich neige dazu sehr ausschweifend zu formulieren, weil ich immer den Eindruck habe, dass ich auf andere Weise langweilen könnte. Dumm nur, wenn ich dann langweile, weil ich zu sehr aushole oder "schwurbelig" werde. Ich bemühe mich beim nächsten Schreiben einmal darauf zu achten. :)

    • Ich weiß GENAU was du meinst. Ich kenne das SO gut =D

  • Denkt auch mal einer an den Tänzer?!
    Dieser würde Faye sicher gerne beibringen, wie man richtig tanzt. Sie könnte ja eine Melone tragen, anstatt Seife in den Schuhen. *nick*

    • "Ich hab eine Wassermelone getragen." eine der witzigsten Szenen in diesem von mir sehr geliebten Film. :D

  • Ja, das Fräulein Rottenmeier mal wieder...hat's nicht leicht...

    • Fräulein Zerath, bitte. *g*

    • Äh, natürlich. Sie hatte selbst sicher eine fantastische Kindheit...!

    • Ein guter Ansatz, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, vielleicht eine Geschichte wert.

    • Ja, von nichts kommt ja auch nichts...
      Gerne, ich les es eh x)

  • Am Anfang hast du mich mit der Ablenkung des Lesers in die Irre geführt! Sehr schön geschrieben, umschrieben und beschrieben. Es ist immer wundervoll ein wenig aus der Vergangenheit zu lesen, wenn auch nur OOC. <3

  • Musste sie Kalligraphie auch mit dem eigenen Blut schreiben lernen, um ja keine Fehler mehr zu machen?

    • Wer weiß, sie macht aber auch ständig Fehler! Da muss das Fräulein eben durchgreifen.

  • Darf ich die alte Hexe töten? Darf ich? Bitte...