Fütterung der Bestie

Fütterung der Bestie


"Marik, bring' ihr was zu essen...", murmelte seine alte Mutter, stapelte die beiden übrigen Töpfe vom Herd und drückte sie ihm in die Hände.
Marik nickt zögerlich, dann schmunzelte er seinen vier Kindern zu, die nach dem Abendessen schon auf dem Weg ins Bett waren.
"Ich...bin gleich zurück!", verkündete er.
Elena tapste herüber und hielt ihm die Tür auf.
"Danke Spatz..."
"Lass dich nicht essen Papsi!!", rief sie ihm kichrig nach. Er schüttelte schwach den Kopf.
Thom war aufgesprungen und lief zu seinem Papa. "Papsi kann ich mit!"
Wieder schüttelte er den Kopf.
"Nein, nein, geh' schlafen, Thomi..."
Marik trat aus der Tür des Bauernhauses und ging vorsichtig, Schritt für Schritt, die Steintreppe hinunter.
Es war schon dunkel geworden. Sollte er sich nicht lieber eine Laterne holen...? Es würde schon gehen. Sein Blick fiel auf die älteste Scheune der Hofstelle. Er kannte den Weg doch auswendig. Früher, als sie noch Kühe gehabt hatten, war er dort oft gewesen. Letzte Zeit aber fast nie. Sie benutzten nur noch das Moagehege und das Rübenfeld. Erst war die Scheune zu einem Geräteschuppen verkommen.
Und jetzt lebte dort...sie.
Der Moarancher machte sich auf den Weg.


Nässe kroch seine Knöchel hinauf, als er durch das feuchte, hohe Gras stapfte. Erschrocken zuckte er zusammen, als eine orange leuchtende Fratze am Boden ihn anstarrte, die Töpfe gerade so festhaltend. Er hasste diese Jahreszeit...Die Kürbislaternen waren ja ganz nett, aber wieso musste man so detailliert sein, was das Gesicht anging...? Wie ein Warnsignal lag das grässliche Ding da. Der blutige Hackblock mit dem Beil darin machte es nicht besser. Marik machte einen Bogen drum und trat ans Scheunentor.
Sein Blick streifte die drei Zentaurenschädel in dem großen Blumenkübel. Die Sonnenblumen, die aus den Augenhöhlen gewachsen waren - längst verdorrt, braun und gekrümmt wie das Stroh auf dem Dach. Das Windrad, das Thomi hier reingesteckt hatte, es drehte sich leise, unheimlich quietschend in der Abendbrise. Nur das Unkraut wucherte munter weiter. Auch die Zentaurenschädel hasste er, er fühlte sich angestarrt.
Von drinnen drang heftiges Kettengerassel. Der Klang von rostigem Metall, das sich über altes Holz schob. Grunzen.
Vorsichtig balancierte er die Töpfe auf der rechten Hand, legte die freie Linke an den Griff der alten Holztür, die in das Scheunentor eingelassen war.
"Zhah! Dhaa! Hnaah!!", tönte es animalisch von innen. Ein Wummen und Knallen.
Er atmete durch und drückte die Tür auf, das Holz schob sich über das dreckige, zerfledderte Zentaurenbanner der Taminirotte, das nun als Fußabtreter diente.
Sie hatte ihn nicht bemerkt.
Eine einsame, schwingende Laterne spendete ein wenig Helligkeit, welche sich im Dunkel der Scheune verlor. Im diffusen Halblicht in der Mitte machte er Bewegung aus.
"Dhaah-dzha! Bah!!" Schnaufen, Scharren, Rasseln.
Das Holz knarzte unter dem Gewicht der baumelnden Kette.
Ein dumpfer Schlag.
"Dschh-dsch!' Angestrengtes Grunzen.
Es roch nach Blut und Schweiß.
Marik näherte sich von vorne, er wollte nicht riskieren sie zu erschrecken.
Vorsichtig räusperte er sich, ihre Blicke trafen einander, als der Kopf von ihrem Opfer ab auf ihn herumruckte. Irgendwas war an ihren Augen schon immer unheimlich gewesen. Erst jetzt bemerkte er, was es sein konnte - über ihren gänzlich sichtbaren Iriden war zu viel Weiß. Normal verdeckten Lider das obere Stück einer Iris, bei ihr aber fast nie. Da war einfach viel zu viel Platz. Es wirkte unnatürlich. Das musste es sein.
Sie zischelte angestrengt, die Zähne bleckend, dämonisch grinsend. Die Zungenspitze drückte sie von hinten gegen die obere Zahnreihe.
Schweiß ließ die schwarze Mähne glänzen.
Sie schnupperte.
Er öffnete den Mund, sprach erst nach ein paar Sekunden.
"Ich...habe was zum Essen gebracht..." Er stellte die Töpfe auf dem alten Schemel ab, den er als Kind noch zum Melken der Kühe benutzt hatte. Er öffnete den oberen Topf, aus dem es sogleich duftend dampfte.
"Ach, wie nett! Dank' dir.", freute sie sich. Sie griff die rostige Kette und brachte den schweren, schwingenden Jutesack zum Halten. Sie hatte sich schon wieder die Knöchel blutig geboxt.
Schweißnass und blutig wie sie war, trat sie an die Töpfe heran. Sie schob die Kapuze ihrer Weste über den Kopf und klemmte sich den Topf Kürbissuppe unter den rechten, nackten Arm. Den mit den Dutzenden von Ghulköpfen und der Klaue auf der Schulter. Da waren ihm fast noch die Zentaurenschädel lieber.
Marik wandte seinen Blick ab, dann seinen Körper. "Gerne...guten Appetit." Er machte schon wieder Anstalten zu gehen.
Sie war an die Werkbank gegangen, um aus einem Einmachglas neben Zangen, Pinseln und Bürsten einen großen Holzlöffel herauszuziehen.
Marik griff gerade nach der Tür, da sprach sie plötzlich in seinem Rücken.
"Ich hab' die Zeit total vergessen. Ich dachte, ihr holt mich vielleicht?"
Er drehte sich wieder um.
"Äh. Du warst beschäftigt und wir wollten dich nicht extra..."
"Ihr habt mich nicht gerne dabei beim Essen.", stellte sie fest.
"Nein nein! Roy, es-"
"Schon gut." Sie winkte salopp ab, grinste schief. "Ich ess' wie Sau, weiss ich." Mit dem großen Holzlöffel begann sie, die Kürbissuppe im Gehen zu spachteln.
Marik schwieg, unschlüssig ob er zurückgehen sollte. Oder sich entschuldigen. Aber wofür überhaupt?
Manieren lernten die Kinder nicht, wenn sie mit ihr aßen, das wussten sie alle.
Er beobachte sie einen Moment. Sie ließ sich im Schneidersitz auf dem Schemel nieder. Mit der rechten, tätowierten Knochenfingerhand essend, den Topf mit der Kürbissuppe auf dem Schoß, hob sie den Deckel schon vom nächsten Gefäß. Reis und Reste vom Huhn, welches sie geköpft hatte.
Er zuckte leicht, als ihre unheimlichen Augen plötzlich zu ihm hochblitzten. Das Halblicht ließ den schwarzen Tintenfleck um das rechte Augen, der angeblich Orr darstellen sollte, wie einen Abgrund erscheinen. Oder als fehlte ein Stück ihres Schädels.
Roy grinste breit.
"Hah...ja ihr habt immer noch Angst vor mir..." Sie rümpfte die gebrochene Nase.
"Unsinn..."
"Ach komm." Sie wedelte mit dem Löffel in der Luft, wischte den Topf aus und stellte ihn samt Löffel ab.
"Die...den Kindern ist mulmig, ja. Das...musst du verstehen-"
"Thomi mag mich..." Sie aß die Hühnchenstücke mit den Fingern, nachdem sie sie in den mit Buttersoße getränkten Reisbrei getunkt hatte.
"Jah, Thomi..." er seufzte. Thom, der in seiner simplen, ehrlichen Einfachheit völlig furchtlos war und einen Narren an ihr gefressen hatte, mit glänzenden Mandeläuglein zu ihr aufsah als wäre er ein Kleinkind und nicht sein Erstgeborener.
"Er wird ein guter Schwertkämpfer. Mit dem Holzschild den ich ihm aus Hoelbrak-"
"Ich will aber nicht, dass er ein Kämpfer wird, Roy- !"
"Schon gut. Wenn ich gehen soll, sagt es. Dann gehe ich. Dann habt ihr die Scheune wieder." Sie schaufelte einen Reisberg auf das Hähnchenstück.
"So war das nicht gemeint."
"Na denn. Bierchen?"
Er schüttelte den Kopf.
Sie stopfte sich das Hähnchenstück in den Mund, bis die Backen voll waren, kaute, schluckte runter.
"Ich bringe kein Unglück.", sprach sie dann.
"Was? Nein, ich habe nicht-"
"Elena hat gesagt ich bringe Unglück. Von wem hat sie das? Deiner Mutter oder dir?"
Zischend öffnete sie sich eine Bierflasche an einer Nornaxt, der Schaum sprudelte heraus und lief ihr über die Finger der Linken. OUCH stand auf den Knöcheln. Sie leckte darüber wie ein hungriger Wolf, ehe sie die Flasche zu den vernarbten Lippen führte und gluckerte.
"Das...war anders gemeint. Elena interessiert sich für Knochen, Totes und alles, weil du es ihr zeigst und davon erzählst. Das..kann zu Unglück führen. Haben Ma' und ich ihr gesagt. Und es stimmt, denn..."
Sie rollte mit den Augen, aß weiter.
Mit Roy war der Krieg gekommen. Sogar der schreckliche, bullige Balthasarpriester war wegen ihr hier aufgekreuzt, um sich ihre Raubbeute aus Orr anzusehen. Zu ihr, die eigentlich eine Löwensteiner Heidin war. Am selben Abend hatte der Blutsteinwarg einen ihrer preisgekrönten Moas gerissen.
Als er Roy vor Jahren eingeladen hatte, etwas bei ihnen zu bleiben, hatte er nicht geahnt, dass sie ihren Kram aus Ascalon, Löwenstein und den Zittergipfeln herankarren und sich einrichten würde.
Obwohl sie in gewisser Weise den Hof bewachte und Banditen abschreckte, er war immer erleichtert, wenn sie eine ihrer Reisen in den Norden machte.
Von Roys Existenz, vom Tod seiner Schwester im Krieg...von beidem hatte er im selben Atemzug erfahren. Das war vielleicht kein guter Start gewesen, aber warm waren sie einander nie geworden. Und er kannte nur Roys Seite der Geschichte.
Er sah zu einer glänzenden Eisenkette, die auf einem Fass lag. Die Kette, die Samanthas Fokuskristall gehalten hatte, bevor er in Orr explodiert war und sie getötet hatte. Laut Roy.
Sie folgte dem Blick. "Was, das schon wieder? Was muss ich noch machen damit du mir traust? Wir haben uns ständig gegenseitig die Ärsche gerettet. Aber irgendwann ging's halt mal nicht. Das wusste sie..."
"Ich habe gar nichts gesagt."
Roy war die letzte Person, die Samantha gesehen und mit ihr gesprochen hatte. Er hoffte wirklich, dass jedes ihrer Worte wahr war, dass Sam ohne Schmerzen gestorben und nun Asche im Wind war.
Die Wahrheit würde wohl irgendwo in Orr bleiben. Sie war nie wirklich ehrlich gewesen über so viele Dinge. Was sie mit den Iorgas zu schaffen hatte, etwa. Oder wieso die Wachsamen sie rausgeworfen hatten. Sie war brutal, pervers, respektlos...man konnte es sich zusammenreimen.
"Ich wusste gar nicht, das sowas geht. Mit diesem Kristall. Als der eine da aus dem Leichenhaufen gekrochen ist und mit diesem Licht-"
Er unterbrach sie mit der gehobenen Hand. "Ich...ich...will im Moment keine Geschichten über Orr hören!", ärgerte er sich.
"Dein Verlust...", brummte sie trocken und kratzte sich den Reis zusammen.
"Gute Nacht, Roy...", sprach Marik und verließ die Scheune.


Ihr Blick wanderte zurück auf Sams Kette. Über Svantjes Großschwert, über den Stiel von Olberts Axt. Das Blut war seit Jahren abgewaschen, die Träger in den Nebeln. Über die mächtige Langaxt von...für einen Moment war ihr sein Name entfallen. Und von vielen anderen war nicht mal eine Waffe übrig.
Roy schlug den Hals der nächsten Bierflasche an der scharfen Bruchkante des Großschwertes auf. Sie zog einen Halbkreis mit dem heraussprudelnden Schaum und prostete ihren Kameraden zu.

Kommentare 20

  • Super aufgebaut. Bei der Einleitung bin ich dir wirklich voll auf den Leim gegangen. Ich habe mit so viel innerer Anspannung gelesen, dass ich im Nachhinein nicht einmal sagen könnte, ~was~ ich erwartet habe, aber bestimmt kein Boxtraining. Ich fand auch sehr stimmungsvoll, wie du Roys Art zu essen und zu trinken beschrieben hast. Irgendwie fast schon animalisch, aber mit so einer selbstverständlichen Natürlichkeit dabei, dass man sich weniger daran als an Mariks Echauffierung darüber gestört hat. Der war mir übrigens erstaunlich unsympathisch. Vielleicht, weil er so charakterschwach wirkt? Beabsichtigt?

    • Dankesehr...Ich wusste auch nicht was ich erwartet hätte, hätte ich nicht gewusst was zu erwarten ist...Ein schwarzer Moa vielleicht?^^
      Schön, dass die Essensbeschreibungen eine Wirkung ausgelöst haben.
      Und Marik, ja, der soll schon so sein...Seine Schwester war vor dem Krieg ähnlich 'charakterarm', hat sich dann aber geändert und Roys Respekt gewonnen.

    • Ich finde ihn nicht mal zwingend charakterschwach. Natürlich kommt es einem so vor, da Roy diejenige ist, mit der man sympathisiert, sie ist der Underdog. Ich glaube aber tatsächlich ist sein Verhalten einfach nur "normal gutbürgerlich/ gutbäuerlich".

    • Sicher sind die Gründe für sein Verhalten nachvollziehbar. Aber eben weder über die Maßen sympathisch, weil man sich beim Lesen eher fragt, wie man sich an Roys Stelle fühlen würde als an seiner (ich denke, da könnte man sogar ähnlich agieren, ja), noch Zeichen eines gefestigten Charakters. Wobei ich hier meine eigene Aussage insofern korrigieren muss, als dass er immerhin den Schneid besitzt, ihr deutlich zu machen, dass ihr Benehmen nicht seinen Zuspruch findet und auch dazu zu stehen bereit ist, dass er ihr nicht abschließend vertraut. Vielleicht sogar niemals wird, auch wenn sie eine Freundin seiner Schwester war.

  • Ich mochte das. Es ist dramatisch wie das Leben, nicht wie der Kitsch, den man darüber verfasst.


    Zuerst dachte ich da ist wer gefesselt. Die Wendung mochte ich ebenfalls echt.

  • Hübsche Wandlung innerhalb der Geschichte. Man erwartet so viel mehr! Und so viel Ekligeres!

    • Hey nicht in jeder Geschichte kann man Gesichtern mit Skalpellen zu Leibe rücken!
      Zugegeben, bisschen erwartungsgetrollt hab ich schon..


      Für ekliges und brutales lesen Sie bitte die...sämtliche Geschichten in 'Orr, 1325 N.E.'...

  • Ach Roy. :)

  • Hm.. warum werfen die Wachsamen so ein Teufelsweib wie Roy raus. Welcher Kriegsmeister ist so ein Depp? Grom würde sie sofort wieder dazuholen^^ Aber trotz allem, schöne Geschichte :)

  • Sehr interessant!

  • I'm a simple man. I read Samantha, I upvote.

  • Großes Kino. Ich habe es mit Genuss gelesen. Bis zum Schluss, der lässt mich melancholisch zurück.