Dunkelheit

"Kristian.", klagte die Gräfin von Fennmont indem sie nur den Vornamen ihres Sohnes in Bitterkeit tauchte und beendete ihre offensichtliche Entrüstung mit einem wehleidigen Seufzer. "Mir liegt dein Wohlergehen wirklich sehr am Herzen, mein Sohn. Bitte versteh das.", appellierte sie nochmals an seine Vernunft, doch der junge Grafensohn begegnete ihren Worten mit ausdrucksloser Miene, noch immer auf der Bettkante ihres frisch bezogenen Himmelbettes sitzend.
Es klopfte. Doch erst bei der zweiten akustischen Ankündigung erhob die Gräfin ihr Stimmchen, dass man es auch bis durch das Holz der dunklen massiven Zimmertür vernehmen konnte. "Herein."
Die Zofe des Hauses trat ein, knickste und wartete auf die Anweisungen der Hausherrin. "Wieso hat das so lange gedauert? Der Ball fängt bereits in drei Stunden an." schimpfte die Gräfin und nahm nun schleunigst vor ihrem Frisiertisch Platz. Die Hände bettete sie auf ihrem Schoß, doch der Blick durch den Spiegel durchlöcherte noch immer ihren Sohn. Es lag keine Warnung in den Bernsteinaugen der Mutter, vielmehr ein Indiz, dass das Gespräch noch fortgeführt werden sollte und er ihr eine Antwort noch immer schuldig war. Doch Kristian wusste, er könne gegen den Willen seiner Mutter nichts ausrichten. Sie war insgeheim das Oberhaupt der Familie, auch wenn sich der Vater diese Tatsache niemals eingestehen wollte. Die Gräfin verstand sich darauf das Zepter der Grafschaft zu schwingen, ein solches Haus zu führen oder vielmehr das richtige Personal dafür zu beschaffen, es so zu lenken und im angemessenen Rahmen dafür zu entlohnen. Sie hatte Stil und jener begründete sich im eigenen Enthusiasmus, wie auch ihres Talentes, den eigenen Perfektionismus ins Unermessliche zu katapultieren.
"Verzeiht bitte, Gräfin." entschuldigt sich die Dame im mittleren Alter und will direkt eine Erklärung für ihre Verspätung nachschieben. Doch die Gräfin bringt ihren Mund mit nur einer huschenden Handbewegung zum Schweigen. "Mrs. Hamish. Nun fangen Sie endlich an."
Nach einem weiteren Knicksen schloss die Dienerin die Tür und trat näher heran, bis sie am Rücken der Hausherrin angelangte. Sie bürstete ihr das lange hellblonde Haar, ehe sie ein paar Strähnen miteinander verfloch und zu einer üppigen Hochsteckfrisur steckte. Es war ein Meisterwerk entstanden und doch wusste die Gräfin jenes Werk einer genaueren Musterung zu unterziehen und lediglich mit einem Nicken zu begünstigen. Ein Danke kam allerdings nicht über ihre Lippen. Die Zofe, deren eigener Schopf bereits graue Strähnchen überzog, lächelte dennoch unentwegt. Es gab keinen Tadel und so schien ihre Mühe ob dieser sachten Anerkennung ausreichend belohnt worden zu sein. Nachdem auch das Gesicht der Gräfin gepudert und ein schwarzer Lidstrich gezogen wurde, machte sich die Bedienstete daran, die Garderobe ihrer Herrin für den heutigen Ball zurecht zu legen, während die Gräfin Chapuys in der Zwischenzeit selbst ihren dunkelblauen Lippenstift zur Hand nahm und auftrug.
Dem Grafensohn sah man mittlerweile an, dass ihm dieses Prozedere eine Menge Geduld abverlangte, Geduld die er seit jeher nicht besaß. So geschah es, dass er sich nach hinten fallen ließ und seinen Rücken in das üppige Federbett presste. Er war ein zierlicher Junge und dennoch gelang es ihm das ordentliche Bett seiner Mutter mit seinem Fehlverhalten aus der Form zu bringen.
"Kristian!", schimpfte die Mutter und ballte ihre Hände zu kleinen massiven Fäustchen. Wut spiegelte sich im geschminkten Antlitz wider und begünstigte somit mimisch ihren zornigen Tonfall. Der junge Herr hatte genau auf diesen Moment gewartet, indem die Mutter im engen Unterkleid steckte, das die Zofe an den Schnüren festzog. Sie konnte ihm also nichts anhaben, nicht einmal folgen, sollte er nun aus dem Zimmer laufen und sich ihrer weiteren Ausführungen entziehen. Doch er blieb, schnappte sich mit einem Griff über den kleinen goldenen Lockenkopf hinweg nach einem Kissen, um es sich über sein Gesicht zu stülpen. Kinder glauben, wenn sie nichts sehen, dann können sie selbst nicht gesehen werden. Kristian war aber bereits Zwölf. Ihm genügte es, die Worte der Mutter zu dämmen und sie nicht an sein Gehör heran zu lassen. Er tauchte in seine ganz eigene Welt, in die Welt der Dunkelheit, die diese ernüchternde Realität in tiefe Schatten hüllte.
Kristian wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, vielleicht war er sogar eingeschlafen?! Still war es, die Mutter längst zu ihrem Fest aufgebrochen, ohne ihrem Sohn nochmals ihrer wertvollen Zeit ein Stückchen zu erübrigen. Doch jemand öffnete die Schlafzimmertür und tapste schnellen Schrittes herein, direkt auf ihn zu. Das Kissen von seinem Kopf wurde heruntergezogen und lüftete die Gestalt, die sich unter jenem verbarg und riss Kristian somit auch aus seiner kleinen dunklen Welt. Ein Mädchen mit strahlendem Lächeln und glänzenden unschuldigen rehbraunen Augen hatte dies zu verantworten. Alleine ihre Präsenz entlockte dem Jungen nun ein zartes Lächeln. "Sophia."

Kommentare 6

  • Oh. Mommy issues incoming...


    Ob er Dunkelheit noch immer so beruhigend findet, mit dem neuen Schwager und so? o.o

    • Eigentlich müsste er sich blendend mit seinem Schwager verstehen. Sie teilen nicht nur eine Leidenschaft x)

  • Aaaaaw. Es erwärmt mein Herz, welch liebevolle Erziehung der junge Mann genossen hat. Adel verpflichtet.

    • Deswegen ist er auch immer so liebevoll zu seinen Mitmenschen ;) Bin gespannt wie sich das Schwesterlein als Mutter anstellt^^

  • So schön, der Einblick <3