Weinselig

Jede Liebesgeschichte ist eine Tragödie. Wenn man lange genug wartet.
Wir wollen die Welt nur besser machen.
Besser? Für wen besser?
Besser bedeutet nie besser für alle. Es bedeutet immer schlechter für manche.
Es bedeutet immer schlechter für manche...
Ist dir übel?
Hast du es gewusst?


Norra Farnkraut hielt die Hand ihres Mannes. Seine Haut war kalt und klamm und aus einem ihr unerklärlichen Grund verglich sie sie unbewusst mit einem toten Fisch, den die Strömung bis an die Ufer des Silberstromes getrieben hatte, der sich als schillerndes Band durch das Königintal zog. Sein Gesicht war fahl und eingefallen. Die Augen waren geschlossen.


Es war jetzt zwei Tage her. Genauer waren es einundfünfzig Stunden und eine Hand voll Minuten, die seitdem verstrichen waren. Es würden weitere folgen. Weitere Augenblicke der Unsicherheit und der Furcht, die vergehen würden, bis Dranan Farnkraut seine Lider wieder hob. Wenn es überhaupt jemals dazu kam und Grenth ihn nicht still und heimlich, ganz für sich bei der Hand nahm und ihn hernieder in sein dunkles, kaltes, von Frost umhülltes Reich zog.


Einundfünzig Stunden waren seitdem vergangen. Seitdem der vergiftete Wein in die falschen Hände, in den falschen Magen geraten war. Ein Unfall. Ein Missgeschick. Es hätte nicht passieren dürfen und doch war es geschehen. Levi verfolgte mit ruhiger, besonnener Aufmerksamkeit wie die Novizen der Dwayna die Pflege der Kranken hier im Spital übernahmen. Er sah dabei zu wie Helfer Wagen mit Essen, Getränken und Tüchern durch die Gänge schoben, von Zimmer zu Zimmer damit schritten und dabei nicht müde wurden einen jeden Patienten mit der gleichen Freundlichkeit, der selben Wärme ein jedes Mal auf ein Neues zu begrüßen. Er merkte auf, als ein blau-goldener Priester im intensiven Zwiegespräch mit einem Kräuterkundler an ihm vorbei zog, ohne seiner gewahr zu werden. Ob diesen Umstandes musste er lächeln. Es war ein hohle, leere, eine aufgesetzte Geste, die nur einem einzigen Zweck diente: Sie sollte ihn beruhigen. Ihm versichern, dass alles gut werden würde. Ihm die Schuld nehmen, die er sich auf die Schultern geladen hatten. Ihm die Verantwortung für das alles hier aus den Händen reißen. Er hatte nichts getan.


Nur noch ein paar Stunden, alter Freund. Ein paar Stunden noch halte aus. Dann kommt die Erlösung. Die Rettung, die das Gift aus deinen Venen spült, deine Wunden schließt und deinen Körper wärmt. Ein paar Stunden noch harre aus. Wie damals in den schneebeladenen Hügeln weit ab dieser Lande, als Wind und Wetter uns überkamen und gefangen hielten.


Der Iorga hörte das stille Schluchzen, das von hinter der nicht ganz geschlossenen Türe bis hinaus auf den Gang drang. Er war nicht im Stande zu ergründen, ob es wahrhaftige Trauer über den Verlust, oder aber vielleicht Freude über die plötzliche und unerwartete Genesung war. Ersteres war wahrscheinlich. Letzteres wünschenswert.
Als der schlacksige, junge Bursche mit dem kurz geschnittenen, braunen Haar und den treuen Augen das Spital betrat, Sorge und Hilflosigkeit trieben ihn um, lenkte Levi seine ganze Aufmerksamkeit auf sein Patenkind, das er mit ausgebreiteten Armen begrüßte und erst einmal an seine Brust zog, es dort barg und ihm wortlos versprach, dass alles gut werden würde. Er wusste es. Er vertraute darauf. Es war die Wahrheit. Dranan musste nur noch ein paar Stunden länger durchhalten. Dann entließ er den Jungen. Er öffnete ihm die Türe des Krankenzimmers und schloss sie hinter ihm wieder. Danach ging er. Es war nicht in seinem Bestreben den privaten Moment der Familie zu stören. Sich hinein zu drängen und sie mit seiner Anwesenheit zu beladen. Er war ein fester Teil von ihnen und war es zur selben Zeit auch wieder nicht. Das Gefühl war kein neues.


Auf dem Weg hinaus schüttelte er die Sorge ab. Er warf die Last der Schuld unverfroren von sich und legte sie einzig mit einem Blick in den Arm eines Schülers, der gar nicht wusste wie ihm geschah. Es gar nicht wissen konnte. Dann trat er hinaus in den windigen Herbst und hob das vor Entschlossenheit grimm gewordene Gesicht. Es weichte auf, als ein paar Sonnenstrahlen sich durch den grauen Nachmittagshimmel bis zu ihm hinunter auf die Straße verirrten. Genügsam lächelnd und mit einer ganz eigenwilligen Ruhe, die ihm oft zueigen war, machte er sich auf den Heimweg. Er fürchtete sich nicht, denn seine Furcht erwuchs aus Unwissenheit. Ungewissheit. Und gerade lag der Fall offen vor ihm:


Das Vorspiel war vorbei.
Mehr musste er nicht wissen.

Kommentare 9

  • Ich mag wie die Sonne eingesetzt ist, im Gedankenstrom und am Ende, mit kurzem Abstecher in Grenths Frosthölle/himmel. Levis Bart wird aber eindeutig zu wenig beschrieben.


    Und gut, dass du 'Farnkraut' in den Tags hast, sonst hätte ich die Geschichte nie gefunden.


    (es waren die wildecker Herzbuben.)

  • Eine wirklich gewitzter Neologismus im Titel! Ebenso eine schöne Kurzgeschichte! :)

  • Ohja, das Vorspiel ist vorbei. Die Farnkrauts fasst man ned an.

  • War das der Wein, nach dem er Ghabriel und Blanche gefragt hatte?
    Sehr intensiv. Vielleicht gerade dadurch, dass Levi so "unbeteiligt" ist, so außen vorsteht und doch einen eigenen, sehr engen Bezug zu alledem behält. Dieses Abwerfen empfand ich gleichzeitig als nötig, wie es auch eine Spur... nicht verstörend, aber ähnlich wirkte. Gleich die Frage aufbringend, ob man das auch könnte. Ob Levi es wirklich kann. Oder nur tun möchte. Macht nachdenklich, und war sehr spannend.

    • Ja, das war der Wein. Hmmm und ob er es kann wird sich zeigen. Denke ich. Hoffe ich. Mal sehen.

    • Hat mir sehr gut gefallen.

    • Danke :)

    • Was Travon sagt. Ich muss allerdings hinzufügen, dass ich den plötzlichen Fokuswechsel irritierend fand. Für mich ist es angenehmer, wenn innerhalb einer Erzählung nicht der Betrachter gewechselt wird. Du fängst mit Norra an, die ihren Mann mit einem toten Fisch vergleichst, und gleitest dann - anfangs auch noch recht unbemerkt - zu Levi über, was bei mir zu Irritation geführt hat, die ich störend fand. Vielleicht auch einfach persönliche Vorliebe, da es hier sonst keinem so gegangen zu sein schien. Aber super geschrieben!

    • Ich danke dir für dein Feedback :)
      Ich benutze dieses Mittel ganz gerne mal in meinen Geschichten und probiere herum. Das wirst du hin und wieder öfter finden. Kommt immer darauf an um wen die Geschichte sich dreht und um was.