Drauß‘n spiel‘n

Es war ein nebliger Morgen und die Luft zog unangenehm kalt in die Hütte hinein, bis der schwere Vorhang zurück an seinen Platz fiel und sie draußen hielt. Sóla sah ihrem Pa nach, der soeben draußen verschwunden war um zum Markt zu gehen. Mit der Holzpuppe wedelte sie ihm nach, wie immer wenn er sie nicht mitnahm. „Ba.“, erklärte das kleine Mädchen dabei, schaute dann aber zurück in die Hütte und suchte nach ihrem Bruder. Dieser stand bei der Ma, die gerade den Tisch abräumte und griff noch eins der süßen Brötchen vom Frühstück ab. Kauend schaute Jonne zu seiner Schwester. Dann zum Vorhang. Er kaute seinen Bissen langsam und gemächlich, als würde ihm das beim Denken helfen. „Ma! Is geh‘ mit Sóla drauß‘n spiel‘n!“ Es war keine Frage. Es war eine Aussage und das Mädchen klatschte freudig in die Hände. Die Ma schaute auf. Ihr Blick wanderte zum Jungen, der schon losmarschierte um Gugel, Mütze und Handschuhe seiner Schwester zu holen. Dann schweifte ihr Blick weiter zu dem Mädchen und einige Augenblicke sagte die Ma gar nichts. Die Begeisterung hielt sich merklich in Grenzen. Sicher hätte der Pa sofort JA! geschrien und die Kinder sogar noch eiligst angezogen. Die Ma jedoch kaute auf der Unterlippe, bis sie resignierend ausatmete. „Gut. Aber du passt mir auf sie auf und ihr bleibt ja weg vom Fluss. Heute wird nicht im Fluss geschwommen!“ „Aba Maaa~...“ Diese großen, blauen Augen die ihr entgegensahen. Zusammen mit der Unterlippe, die sich nach vorne schob und leicht zu beben begann. Natürlich. Der Junge wusste genau, wie er seine Ma um den Finger wickeln konnte und die Ma spürte genau, wie sie dem Welpenblick langsam aber sicher erlag. Sie zwang sich wegzusehen und wünschte sich mit einem leisen Fluch ihren Kerl zurück in die Hütte. Er regelte solche Dinge immer ganz leicht. Sie nicht. Fieberhaft suchte sie nach einem Grund, um dem Jungen das Vorhaben noch auszureden. Doch es fiel ihr nichts ein womit sie es hätte verbieten können. Die Welpen wurden groß und sie musste sich damit abfinden.
Derweil zog Jonne seiner Schwester die Mütze über die Ohren und zog ihr die weichen Lederstiefelchen an, bei denen sie tatkräftig half. Auch Ooh, die Holzpuppe musste mit. Ohne diese ging das Mädchen nicht aus der Hütte, das wusste doch jeder. „Ma! Mia woll‘n au‘ ein was Ess‘n mitnehm‘n.“ Die Ma blinzelte sich aus ihren Gedanken, nickte und machte sich daran, eine Tasche mit „ein was“ zu richten. „Für jeden Wurst und Käse.“, erklärte sie dabei. „Außerdem einen Apfel, einverstanden?“ Jonne nickte zufrieden und bald darauf standen die Kinder mit Sack und Pack mitten in der Hütte. Der Junge hatte darauf bestanden, dass die Ma nochmal die Knöpfe an Sólas Gugel prüfte, damit die Schwester auch ja nicht fror. „Is pass‘ auf Sóla auf, Ma. Vasproch‘n!“ Als hätte der Junge die Bedenken gespürt, die die Ma hatte. Sie lächelte mild und drückte ihren Kindern einen Schmatz auf die Stirn. Mützen wurden unter Kapuzen unnötig lange zurechtgerückt und Schals festgezogen. „Und kein Schwimmen!“ „Jaaa… sade. Komm, Sóla!“ Jonne griff die Hand seiner Schwester und zog sie mit ihren tapsigen Schritten aus der Hütte hinaus, denn die Ma hatte lange genug aufgehalten. Einen Augenblick lang hörte die Mutter ihre Kinder noch plappern, lachen und staunen, dann wurde es still um die Hütte. Das Weib stand mitten drin und regte sich nicht. Ihre Augen huschten nervös hin und her, während sie vergeblich lauschte.
Nur einen Moment später hielt sie es nicht mehr aus, packte sich ihren Waffengürtel und rauschte bereits aus der Hütte, während sie ihn um ihre Hüfte schlang. Draußen sah sie sich um, erspähte die Kinder im Wald und machte sich auf um ihnen auf leisen Sohlen zu folgen.
Sicher, der Kerl würde sie für verrückt und über fürsorglich halten. Aber die Gewissheit darüber, ob die Kinder die ersten Schritte zur eigenen großen Legende schafften, konnte sie nur so erlangen. Zumindest für heute.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

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