Fernweh

Das kleine Mädchen saß an der Hüttentüre und drückte die kleinen, schmalen Hände dagegen. Die wilden roten Löckchen hüpften noch auf ihrem Schopf, vom letzten Ruck der durch den kleinen Körper gegangen war, als sie fast schon wütend gegen die Türe gepatscht hatte. Sóla gab immer mal wieder einen Laut von sich, der dem von Wolfswelpen gar nicht mal so unähnlich war. Wieder patschte sie mit der flachen Hand gegen die Tür und ließ für diesen Augenblick sogar ihre Puppe Ooh außer Acht. „Ma… Ba!“ Abermals heulte das Mädchen auf und drückte gegen die Tür, als ob sie davon aufgehen würde. Doch es geschah nicht.
Eine hochgewachsene Jungnorn setzte sich an ihre Seite, gähnte herzhaft und strich ihr die Locken aus der Stirn. „Jonne und ich vermissen sie auch, Sóla. Aber sie sind ziemlich weit weg… da kannst du noch nich hin.“ Die dunklen Finger tasteten nach der Holzpuppe und diese wurde der Kurzen hingestreckt. „Komm, wir schlafen noch ein bisschen und später besuchen wir Vaf, ja?“ Erneut klang das Welpenheulen auf, doch anstatt gegen die Türe zu patschen, griffen die kleinen Finger um die Holzpuppe. Sóla drückte das Stück an sich und schaute auf. Einen Moment lang sah sie nach oben, als würde sie überlegen. Schließlich hob sie ihre Holzpuppe hoch. „Ooh mi‘?“ Hoffnungsvoll schaute das Kind nach oben. Die Ältere nickte und grinste anschließend träge, ehe sie das Kind mit einem Ruck auf die Arme nahm und aufstand. „Ja, Ooh kommt auch mit. Wir besuchen mit ihr Vaf und dann die Brauerei. Aber erst noch ein wenig schlafen!“ Wieder wurden Blicke getauscht, wenn auch das Mädchen nochmals zur Tür sah. Leise flüsterte sie nach ihren Eltern, seufzte schwer und schmiegte sich an ihre große Schwester.
Es war so etwas wie eine Zustimmung.



Gefühlt am anderen Ende der Zittergipfel stand ein Weib hoch oben an der Seite eines Wachpostens der Zuflucht und starrte durch die eisige Landschaft der Grenzlande. Der Sonnenaufgang tauchte das Eis in kräftige Farben und schenkte ihm damit mehr Wärme, als ihm eigentlich zustand. Kalt zerrte der Wind an der Umgebung, drang in jede Ritze und schlüpfte unter alle Lagen an Kleidung. Die Norn erschauderte und zog das Fell um ihre Schultern etwas enger. Ihre Gedanken waren weit fort von hier, in südlicheren Gefilden, bei ihren Kindern. Ein Lächeln zog sich über ihre Lippen, als sie daran dachte wie die Beiden nun in ihren Lagern lagen und friedlich ihre großen Träume träumten. Doch vermisste sie ihre Kinder, genau in solchen Momenten wie jetzt. Momente, in denen sie über die Stille des Landes sah. Momente, in denen sie selbst auch zur Ruhe kam. Mit jedem weiteren Schritt nach Norden waren diese Momente der Ruhe für sie seltener geworden, aber es gab sie noch immer.
Ein kräftiges Ausschnaufen von der Kodan zu ihrer Rechten ließ sie die Lider nieder schlagen und in stiller Zustimmung nicken. Ihr Blick ging zu der großen Bärengestalt, als sie die Augen wieder öffnete. Einen langen Augenblick schwieg die Norn, bis die kleinen schwarzen Augen der Kodan sich auf sie richteten. Es war eine Frage, über die sie bereits eine ganze Weile nachdachte. Seit sie das erste Mal im Eisklamm-Sund die Blaue Eisglanz betreten hatte. „Sag, Tiefe See… wo sind eigentlich eure Jungen, wenn nicht hier draußen?“

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

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