Robin und S.

Die Tür schlug zu. Die Welt, gerade mit Nägeln und Brettern geflickt, brach zusammen wie ein Haus aus alten, abgegriffenen Spielkarten.


Am Morgen saß Robin noch mit Roslyn und Nina am Frühstückstisch und beratschlagte mit ihnen, was die nächste Zeit bringen sollte. Der Morgen war kalt, aber das war in Ordnung, denn der Ofen brannte und ab und an brach die Sonne durch und erhellte die Giebel auf der Hochstraße mit dem Herzlich und der Apotheke im matten Schein des nahenden Frühlings. Jeden Tag erwachte der Autor mit einem Herzstich. Einst waren es Schwerter, dann Dolche, heute Nadeln. Der Zahn der Zeit nagte am Stahl und machte den Verlust und die damit einhergehende Ungewissheit seit einem Jahr immer erträglicher. Doch die Zeit wurde müde und lässt immer etwas übrig, das nicht verschwinden will, aber klein genug ist um in der Brust stecken zu bleiben ohne sich zu entzünden.


Mittags brachte er die endgültige Fassung von Sand zu Ophelia. Zusammen mit einem kleinen Präsent für das neue Haus und alle, die das elonische Windlicht genießen wollten, das ihm beim Schreiben half. Sie tranken Tee. Auf dem Rückweg machte Robin einen Schlenker durch das Salmaviertel, sah auf dem Markt nach, ob es Forellen gab, doch er wurde enttäuscht. Im Winter sind sie träge. Morgen wäre auch noch ein Tag, dachte er sich. Ein Tag an dem er Nina mit der ersten Forelle ihres Lebens überraschen konnte, nachdem sie fragte, wie so etwas schmeckt. Und man hatte so viele Tage gemeinsam gewonnen. Roslyn, Nina und er. Es war, als öffnete die Tragik Fenster, welche in die Zukunft blicken ließen und das Blatt wandte sich, auch wenn nur ein Lichtlein am Horizont die Sonne versprach, die im neuen Werk das ganze Jahr über schien.


Am Nachmittag stand die Suchende vor seiner Tür. Das heißt, sie stand erst vor der Tür des anderen roten Hauses auf der anderen Straßenseite. Sie war jung, sie war schön. Eine Novizin des hiesigen Klerus, die eine Nachricht an eine Familie überbringen wollte, die es hier nicht gab. Robin gab sich zu erkennen und sie himmelte ihn für seine Arbeit an, war aus dem Häuschen ihn zu treffen. Leibhaftig und begeistert von seiner Poesie und der Romantik, die im letzten Werk aus Sehnsucht, Treue und wahrer Liebe bestand. In der echten Welt jedoch, bestand die Romantik nur aus Flaschen, die man ihm abgewöhnen musste, zugenagelten Fenstern und der totalen Aufgabe jedweder Hoffnung, bis Nienchen einzog und ihn ein für alle Mal zwang sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die Novizin war schon eine junge Frau, ein wenig verfallen und doch so klug und offen für Gedanken, die harte Männer niemals gestehen konnten. Robin schon. Und seit langem war er zum ersten Mal bei Tee und ihrem Lachen froh, dass es so ist. Voller Stolz schenkte er ihr die Seite, von der er auf dem Künstlerfest unter Fuinwar und von Blestem vor Publikum las. Darauf ein Gedicht für einen nie vergessenen, aber aus den Augen verlorenen Menschen, verborgen in der Poesie des neuen Werkes. Doch dann stellte sich heraus, dass sie unwissend um den Namen des Empfängers Robin selbst suchte. Keine elonische Familie, der sie die Nachricht überbringen musste. Auch kein Freund, kein Liebhaber aus einem anderen Haus in dieser Straße.


Sie sagte ihm nach den letzten unbeschwerten Augenblicken ohne es zu wissen, dass man die eine fand, die Briefe mit einem S unterzeichnete, die für Straßenkinder wie Nienchen spielte und die den, der eben diese Briefe bekommen sollte sehr gern hatte. Die Fremde hielt sie in einem Kästchen fest umklammert, als man sie dort liegen sah. Als wäre es das einzige, was sie noch hätte schützen wollen, alles was zählt, erzählte die Novizin Robin außerdem. Da war sie bereits nicht mehr ansprechbar. Gedemütigt, geschlagen und fortgeworfen, wie eine lästige, räudige Hündin. Ein Wesen von solcher Anmut, dass es Robin zum ersten Mal Tränen in die Augen trieb, als er sie beobachtete und ihrem Spiel lauschte.


Die Tür schlug zu. Die Welt, gerade mit Nägeln und Brettern geflickt, brach zusammen wie ein Haus aus alten, abgegriffenen Spielkarten. Was sollte die nächste Zeit nur bringen. Der Tag war kalt, obwohl der Ofen brannte und die Sonne versteckte sich hinter düsteren Wolken, weil sie für einen hier sowieso nicht mehr schien. Ein Schwert fuhr ihm in den Magen und schnitt sich, geführt von den Geistern der Schuld und der Trauer, der Verzweiflung und Ohnmacht hinauf zum Herzen und mit jeder durchbrochenen Rippe, die die Seele zusammen hielt, wurde das Pochen in der Brust schwächer, wie bei einer Forelle, die sich in die Winterstarre fallen ließ. Was sollte er Nienchen morgen nur sagen? Flaschen waren nicht mehr im Haus. Keine, die helfen konnten. Dafür die totale Aufgabe jedweder Hoffnung. Das letzte Körnchen Sand fiel in ein Loch ohne Horizont.


Das Kästchen lag Meilen weit entfernt. Drei Schritte in Richtung Tisch, um genau zu sein und der Deckel wog nach der weiten Wanderung durch das tiefste Tal der Überwindung schwerer als die hohe Brücke, auf der das windschiefe rote Haus stand. Sieben. Sechs Briefe und ein letztes Pergament. Meine Hoheit, hieß sein siebtes Buch, das gedruckt wurde. Dies war sie für ihn. Erhaben über allem irdischen. Eine göttliche Kaiserin seines Herzens.


Als er den ersten Brief heraus nahm und entfaltete, schluckte der Autor schwer. Buchstaben auf Papier, sein tägliches Werk und doch wurden die Knie weich. Es pochte unter den Lidern und bebende Lippen mussten wie zitternde Finger zur Ruhe gezwungen werden. Das Schreiben war fast so alt wie der Abschied, sprach vom Vermissen, vom Wiedersehen und von unerwarteter Sicherheit. Im Frühjahr hätte es die Knospen der Hoffnung sprießen lassen. Doch jetzt fällt jede Zeile in die Asche eines einsamen Herzens und gemeinsamer Träume. In Liebe, S.


Im zweiten Brief ging es um Träume, um das Vermissen und um das Wiedersehen. Es ging auch um Schwierigkeiten, um Barrieren. Mauern, die Robin unsicher werden ließen, die ihm später den dummen Mut gaben alles einreißen zu wollen, was im Weg stand. In Liebe, S.


Im dritten Brief ging es um Schlaflosigkeit, um das Vermissen und die Bitte, nicht vergessen zu werden. Um Krankheit und um den Tod. Das einzige was im roten Haus starb, war die Vernunft und der Glaube daran, ein Held sein zu können. In Liebe, S.


Im vierten Brief ging es um Sterbende. Um Sterbende und die Bitte, nicht zu vergessen. In Götterfels starb ein Teil von ihm, ertränkt im Schnaps, während Robin da saß und das Portrait von ihr anstarrte, ein mal fast zerschnitten und mehr als ein mal geküsst hatte. Neben einer auslaufenden Flasche. Es ging um Hoffnung und die Bitte, an sie zu denken. In Liebe, S.


Im fünften Brief ging es um Tote. Die Hoffnung schien ebenso tot. Keine Bitte mehr um einen Gedanken. Nur der in Robins Richtung. Die Zeit, in der in Götterfels das erste Aufbäumen gegen die verwesende Selbstachtung geschah, weil S. zur entfremdeten Figur in seinem Buch wurde. Ein anderer Name, ein anderes Leben. Eines mit einem Mann, der nicht er war, weil Robin mit keinem Held zu vergleichen gewesen wäre. Dennoch sickerte die reale Gestalt in Form von Tinte in das Pergament, wo die Geschichte ein gutes Ende nahm. In Liebe, S.


Im sechsten Brief ging es um den Acker, der übrig ist, wenn Blumenwiesen verblühen und um die Frage nach dem Vergessen. Nach verwelkter Liebe. Und wieder um Träume. Tinte und Tränen. Die Tinte Wochen alt, gefeit vor den Tränen, die jetzt erst dunkle Flecken auf die Seite regneten. Erst eine, dann zwei. Am Ende sechs und sieben. Die Uhren standen still. In Liebe, S.


Auf der letzten Seite, ohne Umschlag, ohne Schutz und Achtung ging es um Angst. Um Wut. Darum, dass nichts mehr am Leben ist. Außer die Tote und der Mörder. Dort stand die Erklärung, warum kein Brief je die große Stadt erreicht. Kein Wort von Liebe, S.


Robin legte das Pergament ab und das Haupt in den Nacken. Tränen rannen heißkalt über die Schläfen, tropften auf die Ohrmuschel und fielen auf die schmalen Schultern, die nie Rüstwerk trugen. Schluchzend, wimmernd im verlorenen Kampf für die Selbstachtung, die mit dem Kartenhaus zusammen fiel. Auf jeder Seite war eine wunderschöne Rose abgedruckt. Briefpapier von feinster Güte, außer auf der letzten Notiz. Und jede Rose trug die Dornen der Silben, ganz gleich wie fein die Pracht zu Beginn war, die Blüten und Blätter rahmte. Jetzt tropfte das Blut dieser Schmach an den Unterarmen hinab. Ihr Blut, weil er kein Held gewesen war und sich um jede Träne schämte, denn Robin sah sich nie im Recht zu klagen. Seit die Zähren des Vermissens zu denen des Leides wurden, waren sie falsch und jedes Beil nach dem er greifen wollte um den Mörder zu stellen fiel aus nassen Händen.


Der weiteste Weg des Tages lag jetzt vor ihm. Der Weg zum Tempel um Gewissheit zu erringen. Um nach den Worten der Novizin Abschied zu nehmen. War dies die Rache für die Verachtung des Schicksals in Robin Firths Werken, in denen nicht oft, aber hin und wieder weder jeder Fügung das Gute gewann und am Ende noch jemand lebte?

Kommentare 9

  • Ich weiß jetzt gar nicht mehr was real ist und was er sich zusammenrhetorisiert, der arme Bub, aber vielleicht soll das ja so sein? Surreal, erinnert mich an irgendwas aus dem Deutschunterricht..xD


    "Sand" ist nicht zufölig der Name eines Wüstenplaneten? :O

    • Nein, 'Sand' ist das neue Buch von Robin Firth. Leseprobe im Wiki zu finden.

    • Ich weiß, aber ich dachte es sei vielleicht die Tyrianische Version von "Dune".^^

  • Oh man Q.Q

    • Der Kommentar passt zu deinem Avatar! ;D

    • Der passt auch zu mir! Aber davon einmal ab, sehr bewegende Geschichte. Ich hab ja ne Schwäche für solche Chars. Da will ich immer gleich zupacken und drücken. Mei oh mei.

    • Vielen Dank. :3

  • Die Geschichte stimmt mich traurig und hat mir Tränchen entlockt. <3