Nichts ist schneller als das Gerücht

„Ich will wissen, was über diese Artefakte geredet wird, die angeblich aufgetaucht sind.“ Helena stemmte ihre Stiefel ungehobelt gegen die Tischkante und stellte sie dann brav unterhalb des Tisches ab, abwechselnd; immer wenn ihr eine Position langweilig wurde, nahm sie die andere ein. Sie saß in der Küche, ihr gegenüber ein noch junger Mann mit unscheinbarem Aussehen. Hinten an der Anrichte stand Trajan und horchte.
„Gegenstände aus Elona“, fuhr Helena fort. „Die so unsagbar wertvoll sein sollen, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Irgendetwas Uraltes.“
„Artefakte, die aufgetaucht sin'?“, nuschelte der unauffällige Kerl. Er hatte etwas Kluges in den Augen, das er nicht verstecken konnte. Deshalb war er Helena sofort aufgefallen. „Hatte...glaub' ich, bisher nich' viel von gehört. Ich soll dir also Bescheid geb'n, sobald ich was drüber erfahre?“
Während der Mann sprach, brachte Trajan ein gefaltetes Leinensäckchen zum Tisch. Er legte es neben die Holzkiste, die dort stand, die über und über mit Goldschmuck gefüllt war. Er blieb nicht bei Helena und ihrem Informanten stehen, sondern kehrte zurück zur Steinzeile und leerte sein Glas.
„Ich glaube, ich habe vorgestern zum ersten Mal davon gehört“, sagte Helena. „Und wenn ich vorgestern zum ersten Mal davon gehört habe, können die Gerüchte nicht viel älter sein.“ Sie wusste, dass sie überheblich klang. Dahinter lag Absicht, die sie erhobenen Hauptes jeden spüren ließ, der genug Feingefühl besaß. Obwohl sie lächelte, blieben ihre Augen hart. „Ich glaube, es sind Waffen.“


An einem Abend, ein paar Tage später, hörte Helena von ihrem Hausdiener Vito Libanez das Gerücht, dass Fürst de Cerro das Artefakt habe.
„Ich habs am Markt gehört.“ Er erzählte es ihr, während er die Einkäufe verräumte. „Er soll es in einer Kiste rumgetragen haben, die er nicht mal seinen Wachmännern anvertraut hat.“
„Fürst de Cerro? Der uns das Geschenk hat schicken lassen?“
Vito schob Kartoffeln in den untersten Schub eines großen Küchenschranks.
„Hä?“ Als er den Kopf hob, stieß er weiter oben gegen die offene Schranktür.
„Wir haben Schaumwein von ihm bekommen. Limitiert. Victoria.“
„Was Victoria? Ich heiße Vito.“
„Idiot. Der Wein heißt Victoria.“
„Schaumwein ist was für Frauen. Und Kinder.“ Einen Moment stand Vito da, glotzte blöde und rieb sich den Kopf. Dann flimmerte Erinnerung in seinem Blick auf. „Das war das Geschenk, bei dem ihr überlegt hattet, es zurück zu senden, weil einer deiner Vettern gewarnt hat, dass es bestimmt ein Versuch einer Seilschaft ist. Habt ihr's zurückgeschickt?“
„Nein. Ich mag Geschenke. Wer danach etwas von mir erwartet, ist selbst schuld. Lynn hat einen Antwortbrief geschrieben.“
„Wo du gerade Lynn erwähnst...meinst du, dass es klug war, dass sie dieses Kind mit zum Familientreffen genommen hat? Ich meine wegen Nicolae und so...“
„Halt den Mund, Vito.“
Das war nicht die Antwort, die der Hausdiener erwartet hatte. Er sah Helena mit nach unten geschürzten Lippen nach, als sie ihn ohne weitere Erklärung stehen ließ.


Über die Artefakte wurde viel Gerede gemacht. Aber es war kein qualitatives Gerede. Flüchtiges Gemurmel, vages Gesäusel.
Tin und Leyla waren unterwegs, um sich wegen der Sache umzuhören, aber sie hatten noch nichts in Erfahrung gebracht, und wenn, dann hatten sie jedenfalls noch nicht Bericht erstattet.
Helenas Onkel Victor hatte nur, wie immer eigentlich, gelacht und behauptet, das wäre nur irgendein Schrott von Eric Adelard. Er hatte dabei so übermäßig sicher geklungen und trotzdem wusste Helena, dass er falsch lag.
„Von Eric kommt es nicht“, hatte Narcis ihr gesagt. „Er will selbst mehr drüber wissen. Oder er hat nur so getan.“
„Von Eric kommt es nicht.“ Helena wusste dies zu bestätigen. Sie schnitt das Thema allerdings nicht gegenüber Victor an. Er hatte gelacht und sich in Sicherheit gewogen. Sie wusste nicht, weshalb: Jedes Mal, wenn sie dieses Lachen sah, spürte sie einen Stich Mitgefühl in ihrem Herzen. Victors Lachen hatte etwas unglaublich Trauriges. Für sie war es die Quittung eines Lebens, für das niemand ihn beneiden konnte. Aber es bestand Hoffnung, dass er selbst sich dessen gar nicht bewusst war. Manchmal fragte sie sich, was in ihm vorging, wenn er allein war.


"Sollen wir uns mal bei diesem Fürsten umhören?" Das war die Idee der Familie Libanez gewesen. Und weil Helena deren Methoden kannte und sie das voreilige Gerücht, Alejandro hätte ein elonisches Artefakt von Götterschrein zu Götterschrein getragen, ohnehin nicht glaubte, sagte sie:
"Nein."


„Helena?“ Vito rüttelte sie aus ihren Gedanken. Es war ein frischer Wintermorgen, sie war gerade erst die Treppe ins Wohnzimmer herunter gekommen. Ihr Morgenmantel war aus weißer Seide und Federn, viel zu lang und schliff auf dem Boden. Ihre Locken waren ungekämmt und fielen, wie sie wollten. Trotzdem gab Vito das ulkigere Bild ab, wie er dort im Türrahmen stand, ein breiter Hüne, dessen Gesicht man nicht sah, weil es hinter einem überbordenden Blumenbouqet verloren gegangen war.
„Blumen“, sagte er unnötigerweise. „Wurden für dich abgegeben.“
„Von wem?“ Sie zog die Hand vom Geländer, sprang die letzten Stufen aufs Parkett und drehte das Schildchen am Strauß zu sich. Ihre Augen flogen über die kurze Nachricht. „Wirf ihn weg“, sagte sie und wandte sich ab.

Kommentare 11

  • Ich mag den Lonely Victor Teil.

  • Gerüchte! Schön wenn man Reaktionen auf eben diese in kurzweilig unterhaltsamer Form wieder findet. :3

  • Zitat: "Lynn hat einen Antwortbrief geschrieben."


    also das ist nie angekommen.

    • Da kommt es heraus! =D

    • Oh Gott! Ja! Es waren Ferien, und dann war ich krank und ... ich hab es völlig vergessen!
      Entschuldigt. Alle Beide.


      Ich hab das nach der Reaktion im Internen irgendwie im Kopf gleich komplett abgehakt. -.-

    • Nun, ich nehme auch nachgereichte Schreiben an. Wenn die Iorgas so schusselig sind dauert das eben *fg*

    • Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass es einen gewissen Iorga unter uns gibt, der auch noch auf ein Schreiben wartet. Ich zitiere: "Seit Ewigkeiten." :p


      Aaaber ich reiche das Schreiben dann vermutlich noch nach *hust* So unwichtige Dinge können schonmal untergehen, wenn man Weltherrschaftspläne verfolgt... *doppelhust*

    • Ja ja.. dieser zuverlässigen Quelle habe ich schon an den Ohren gezogen. :D Und wie, Weltherrschaft? Dann müssen wir uns doch zusammentun. :P