Du wächst in mir

Draußen vor der weiten Fensterfront fällt feiner Regen auf die Stadt mit ihren roten Dächern und gekalkten Gebäudefassaden und hier drinnen wärmt uns der entfachte Kamin und die wärmende Decke um meinen Leib bis hoch über die Schultern. Im Grunde schaut nur mein Kopf heraus, ich glaube sogar ein wenig geschlafen zu haben, aber das Bild vor dem Fenster hat sich kaum verändert. Vielleicht gehen dort unten andere Menschen raschen Schrittes die Wege entlang um dem Regen zu entkommen, vielleicht saß in einer der Kutschen jemand, den ich kannte und übersehen habe. Ich weiß es nicht, ich weiß aber ich fühle mich gerade in meinem Deckenkokon beinahe unheimlich wohl. Dabei war mir in den letzten Tagen furchtbar warm, selbst wenn es draußen kühl gewesen ist und der Sturm an Bannern und Wetterfahnen zerrte. Der Leibarzt versicherte mir, diese Wärme käme von dir, von dir in mir und von dem was du mir schenkst, in mir auslöst.


Wir verändern uns, du wächst und wirst mir alsbald den Bauch wölben und ich werde reifer, erwachsener und ein nie in meinem Leben gekanntes Glück erfüllt mich vom Morgen bis zum späten Abend. Ja, mit dem Öffnen der Augen hast du dich rasch bemerkbar gemacht in den letzten Wochen in dem du mir den Magen umgedreht hast, aber auch das war zu ertragen, weil dich zu tragen wie eine Erfüllung eines nie gekannten und fremden Traumes ist. Ein Traum, welcher nicht erst mit dem Schließen der Lider am Abend beginnt und endet, sobald der erste wache Gedanke uns küsst. Ein Traum, der mich den ganzen Tag begleitet und mit wachem Blick in die Ferne des Lebens sehen lässt. Immer wieder ertappe ich mich dabei mit meinen Fingern über Kleidung und Stoff nach dir in meiner Haut zu tasten. Dann lächle ich, versinke in eigener Welt und spreche mit dir, als lägst du mir bereits im Arm. Wie wirst du wohl aussehen? Werden deine Haar meinem gleichen, oder seinem, der so fest von sich überzeugt ist, dass die Erblinie seiner sich immer durchsetzt. Grüne Augen, die wirst du haben, da wir uns diese teilen. Werden sie eher hell wie ein verwunschener Smaragdteich im tiefsten Wald unter feinen Sonnenstrahlen sein, oder dunkel wie Farn in den dunklen Winkeln dessen? Wirst du Mädchen, oder Junge sein?


Vor wenigen Stunden, einem Tag habe ich mit deinem Vater zusammengesessen. Nein, vielmehr lagen wir am Feuer auf dem Möbelstück, er mich haltend unter mir und vielleicht das erste Mal wirklich habe ich widerspiegelndes Glück gesehen in ihm. Er wirkt immer so klar und wissend, so zielstrebig und die Weltgefüge lenkend, beinahe als wäre dein Kommen nicht unvorhergesehen gewesen. Selbst im Moment deiner Offenbarung, mir rannen die Tränen über die Wangen, war er ganz er selbst. Die Licht- und Fabelgestalt, wie kein Mensch im Grunde vermochte zu sein und der viel zu oft vorverurteilende Blicke und Meinungen über sich ertragen lassen muss. Nur wenige kennen ihn wirklich, sehen den Umgang mit seinen Geschwistern, den Bediensteten am Land. Er ist kein schlechter Mensch, nur anders als jene, die glauben urteilen zu müssen und ich liebe ihn, liebte ihn vom ersten Moment des Maskenhaften voreinander sein. Ob er mich liebt? Er liebt dich ohne ein Hadern oder Zögern und mich, mich sieht er als eine Erfüllung für sein Leben nebst dem Wirken auf den Weinbergen. Mehr als ich wage für mich zu beanspruchen, mehr als Liebe im Grunde sein kann, wenn ich doch mit seinem teuersten Gut aufgewogen werde.


Aber wir sprachen von seinem Glück, ich wollte dir erzählen, auch wenn du anwesend in mir warst, wie seine Augen leuchteten in der Vorstellung einmal wirst du Papá zu ihm sagen und wie er mit mir darüber sprach, welche Namen ich mir erdacht habe. Einen schönen Klang muss dein Name haben, er muss in einer Reihenfolge mit jenen Namen deiner Ahnen ausgesprochen werde können ohne ein Stolpern hinein zu bringen. Ein Gedicht in seinen Silben, damit deine hohe Geburt schon zur Andacht schickt nur im Denken an diesen einen Namen, ganz gleich ob du ein Junge oder ein Mädchen wirst. Wir wünschen uns nicht das eine vor dem anderen, wir sind uns einig, Dwayna wird es wissen und wir werden dich mit all unserer Liebe umhüllen, schützen und bewahren bis du selbst einmal schützen und bewahren wirst. Ein großes Erbe erwartet dich, aber wir werden dir helfen daraus keine Last zu machen, sondern eine Erfüllung. Ganz wie er es erlebte vom ersten Schritt bis zum Moment in dem er dich in Armen halten wird. Er wird dich im Lichte tragen, mit dir auf Armen tanzen und dir deine Tränen trocknen, wenn die Welt einmal ungerecht zu dir ist. Sorge dich nicht, wie ich mich nicht sorge.


Ein Sonnenstrahl bricht durch die Wolkendecke und findet mich hier auf dem Sessel, mit der Decke bis zum Kinn gezogen und den Gedanken bei dir. Ich glaube daran, Dwayna selbst streicht mit der Wärme der Sonne über unsere Gestalt und beruhigt mein schnell schlagendes Herz, damit es vor Glück nicht zerspringen möchte. Kein finsterer Schatten soll sich auf mein Gewissen legen, er spricht von gebrochenen Konventionen, ich davon, dass ich ihm vertraue und so soll es sein. Ganz gleich wie schwer mancher Weg noch werden wird, ganz gleich was andere sagen werden, ob die Finger auf mich zeigen. Ich fürchte sie nicht, denn ich bin nicht mehr die verfluchte Waise, die nichts für die Taten ihrer Familie und ihres Vaters kann. Nein, ich bin deine Mutter, werde die schützende Löwin sein, der Spiegel für dein Lachen und das weiche Kissen für deine Tränen. Das Leben wird es gut mit dir meinen, denn schon die Wahl deiner Eltern war weise, so eigensinnig und arrogant mein eigener Gedankengang darum sein mag. Jetzt ruhen wir noch ein wenig, vielleicht träumen wir und der Takt des wieder aufkommenden Regens an die Glasfront über der Stadt Götterfels soll unsere Musik des Schlafes sein.

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