Aufopferung


Diese vertrauten, hölzernen Wände kamen Fraja nur sehr gelegen. Nicht nur weil auch sie ausnahmsweise Ruhe nach einer harten Wanderung brauchte, sondern weil es schon wieder viel zu lange her war, als sie der Halle des Raben beiwohnte. Die Erleichterung war ihr ins Gesicht geschrieben. Aber nicht lange sah sie sich um. Sie hatte Gefährten bei sich, die auf die Hilfe der Halle angewiesen waren. Schnell führte sie ihre Begleiter zum rechten Flügel. Einige Felle waren auf hölzernen Bettgestellen bereit gelegt. Jeder von ihnen erhielt sein eigenes. Jeder von ihnen hatte die Ruhe nötig. Geborgen unter den schützenden Schwingen des Raben, sollte ein jeder seinen ruhigen Traum finden. Nur für die Schamanin war noch nicht an Ruhe zu denken. Es galt noch über eine geschundene Seele zu blicken. Jene des Asuras, dessen Körper von seinem eigenen Anzug fast zerfressen wurde. In den Händen der Norn wirkt es fast schon als trage sie ein schlafendes Kind in ihren Armen. Langsam legte sie den Körper ab, nur um daraufhin den Verband zu lösen und die Wunden einmal mehr zu begutachten und zu behandeln.


Ein sanfter Duft von Kräutern stieg einem durch die Nase und erfüllte die gesamte Halle. Sowohl der linke, als auch der rechte Flügel wurden von einem großen Feuer erwärmt. Kalt war es also nicht, aber auch nicht warm, je weiter man von jenem Feuer entfernt saß. Umsorgt wurde die Reisegruppe mit Speiß und Trank. Fleisch, Met, Wasser … Es sollte ihnen an nichts fehlen. Erst wenn sich Fraja sicher war, dass ein jeder versorgt war, konnte auch sie ihre Ruhe finden.


Kühl legte sich die Nacht auf die Stadt der Norn und der Wind verwirbelte die weißen Sterne vor den Toren der Halle. Jene Kühle soll die Gruppe aber nicht erreichen. Nachdem ein jeder umsorgt wurde und hoffentlich den schützenden Schlaf fand, wandte sie sich langsam von jenen ab um sich nun selbst den Schmutz der letzten Wochen von Körper und Seele zu waschen. Geschunden war ihre Kleidung, welche sie neben sich zum Feuer legte und nackt vor jenem kniete, ganz gleich ob irgendjemand auf sie hinab sah. Zwei Händeabdrücke beschwärzten ihre Schultern und aufgemalte, schwarze Linien zogen sich über Arm und Bein. Eine Schale mit klarem Wasser ruhte nebst der Schamanin. Aus jenem ergriff sie das Tuch und mit diesem Wusch sie nach und nach ihren Körper. Als würde sie ein Ritual der eigenen Reinigung vollziehen. Doch ihre Gedanken waren dabei der Gruppe, mit welcher sie die letzten Tage verbrachte. Eine Gruppe die unterschiedlicher nicht sein konnte. Ein Charrpaar, dass ihre Liebe sogar vor allen zeigte. Niemals zuvor konnte sie von den Schweifträgern behaupten, dass sie eine Liebevolle Seite besitzen. Dann war dort die blonde Menschin, welche ausgerechnet der Norn zu neuer stärke verhalf. Etwas, dass bisher nur eine Menschin bei Fraja geschafft hatte. Der Asura, welcher trotz des bewussten Risikos fast sein Leben opferte um das der anderen zu schützen. Und dann war noch der andere Mensch. Der Anführer. Der, der die Gruppe zusammengerufen hat und sein Leben für einen jeden aufs Spiel setzte … Unterschiedlicher konnte die Gruppe einfach nicht sein. Aber womöglich haben gerade diese unterschiedlichen Merkmale dazu geführt, dass sie jetzt in der Halle des Raben Ruhe finden können. Und sei es nur für eine Nacht.


Vor dem Schein des Feuers trocknete Fraja ihren nackten Körper. Gereinigt vom Schmutz der letzten Wochen, nahm sie die frische Kleidung an sich und warf sie sich über den Körper. Sie war Freizügiger, als jene die sie zuvor trug. Doch sie war eine Tochter des Winters und der Kälte, sodass diese ihr Verbündeter wurde. Und trotz allem war es für Fraja noch nicht an der Zeit an Schlaf, oder Ruhe zu denken. Gemächlicher Schritte erklomm sie die hölzerne Treppe und näherte sich dem Götzenbild ihres Tiergeistes. Mit ausgebreiteten Flügeln erstreckt sich das Bild des Raben über eine hölzerne Säule, in dessen Mitte eine Flamme brannte. Langsam ging sie in die Knie, die Hände zwischen den Beinen zusammengefaltet und die Augen zum stummen Gebet geschlossen. Lang aber blieb sie nicht allein. Ein weiterer Diener des Raben näherte sich der Schamanin, ging in selbiger Haltung vor dem Raben auf die Knie, schloss jedoch die Augen nicht. Seine leise, basslastige Stimme drang in das Ohr Fraja's.
„Rabes Segen mit dir, Fraja … du bist wohl behalten zurückgekehrt.“
Fraja selbst öffnete die Augen noch nicht, beendete erst nach einigen Herzschlägen ihr stummes Gebet. Sie Sprach zum ältesten neben ihr, doch das Eisblau richtete sich allein auf den Raben.
„Rabes Geist mit euren Wegen … Karur ...“ Ihre stimme war ebenso leise und sie wirkte fast schon friedlich. Fast wie eine Tochter, die glücklich darüber ist wieder im schützend Heim zu sein und vom Vater in Empfang genommen zu werden.
„Du warst länger fort als ich erwartet habe ...“ Seine Worte waren frei von jeglichen Vorwürfen gegenüber der Schamanin.
Die Rabenfrau schloss wieder kurz die Augen. Abermals sah sie den Ältesten nicht an. „Es ist etwas passiert, dass meine Rückkehr in die Ferne treiben lies.“
„Deine neuen Freunde?“, möchte er sogleich wissen.
Wieder schwieg sie kurz, nickte ihm aber dann leicht zu. „Ja … unter anderem … Vielmehr eine weitaus größere Macht die sein Unwesen irgendwo in dieser Welt treibt.“
„Du hättest dich ihnen nicht anschließen dürfen, Fraja ...“, flüstert er nun schon fast in ihr Ohr, obwohl er gute zwei Schritte von ihr entfernt war. „Du warst seit jeher schon voller Aufopferung, obwohl dir klar ist, dass es dir zum Verhängnis werden würde.“ Er hob seine rechte, Fellbedeckte Hand und legte diese Wortlos auf Fraja's Kopf. Die Schamanin wehrte sich dagegen nicht, lies es mit geschlossenen lidern zu. Karur sprach flüsternd weiter. „Ich habe gesehen und gespürt welch Qualen du erleiden musstest.“ Erst als seine Stimme wieder verklungen war, zog er die rechte Hand zurück und mit ihr zieht er einen blauen, geisterhaften Schleier aus ihrem Kopf. Immer noch reagierte Fraja nicht, öffnete lediglich die Augen um das blaue Augenpaar wie zuvor auch dem Raben zu widmen. „Ein solches Leid habe ich in dir bisher nur einmal gespürt … Als deine Menschenfreundin Shaya starb.“
„Es kam alles zurück.“, erklärte sie mit flüsternder Stimme. „Alle Erinnerungen, die ich über die Jahre verdrängte … Die mich in die Finsterins zogen ... Erst die Menschin war in der Lage mich aus dem schleier der Qual zu ziehen ... Ich spürte einen solchen Eifer zuletzt nur bei Shaya“
„Auch Bran?“, fragte er direkt und leise
Fraja nickte ihm zu. „Ja … auch Bran.“
Der Älteste nickte leicht, führte den blauen Schleier von einer Hand zur anderen und formte das blaue Licht zu einem kleinen Raben. Dieser breitete die Flügel aus, erhob sich in die Lüfte und löste sich während seines kleinen Fluges auf.
„Was soll ich nun tun?“ fragte sie leise, fast wie eine Schülerin die um einen Rat von ihrem Lehrmeister bittete
„Die viel größere Frage ist … wie weit bist du bereit zu gehen?“ Das Götzenbild war nun nicht mehr sein Interesse. Er drehte sich direkt zur Schamanin zu. „Als ich dein Leid spürte fürchtete ich eine treue Seele des Raben an die Finsternis zu verlieren … Du bist stark und weise, Fraja. Aber deine Aufopferung zieht dich eines Tages in die ewige Dunkelheit.“
„Es ist nicht wegen der Gruppe.“ antwortete Fraja nun etwas energischer, schürzt daraufhin aber schon die Lippen und zum ersten mal trafen sich beide Augenpaare, als sie in seine Richtung sah. „Weit im Norden fand ich einen verletzten Raben auf einem riesigen Baum. Ich habe ihn geheilt und zu neuer Kraft verholfen. Ich wollte ihn zurückbringen, in die schützende Halle des Raben.“ Ihre Worte endeten kurz, als sie tief durchatmete und entschlossen in das Schneeweiße Augenpaar des ältesten sah. „Doch das wollte er nicht … Ich war schon auf dem Weg zurück nach Hoelbrak, als mir eine stimme flüsterte ich soll gen Osten ziehen … Sie war so vertraut, wie einst die Stimme von Bran … aber zeitgleich auch so fremd. Ich bin diesem gefolgt und traf dann auf diese Gruppe und deren Ziel.“ Wieder holte Fraja tief Luft. „Aber seit wir diese Höhle betreten haben habe ich ihn nicht mehr gesehen.“ Reue, Sorge und Trauer spiegelten sich in ihrer Stimme wieder.
„Manchmal werden wir vor eine Prüfung gestellt, die unsere Scharfsinnigkeit auf die Probe stellt, Fraja.“ beruhigend war wiederum die Stimme Karur's. „Kühnheit ist es, was der Rabe von uns fordert ...“ Hinter seinem Rücken holte er eine kleine Schale, samt eines kleinen Pinsels hervor. Diesen tunkte er in das kleine Schälchen und rührte das flüssige Schwarz damit. „Wenn diese Stimmen wiederhallen, musst du mutig genug sein hinter ihren Schleier zu blicken. Lässt du dich nur von ihnen verleiten, stürzt du ins selbstlose verderben … Ich kann nicht gut heißen, dass du mit der Gruppe weiter ziehen wirst. Aber ebenso wenig kann ich dich von diesem Pfad abbringen.“
Das Eisblau der Schamanin lag stehts im Schneeweiß des Ältesten und auch sie drehte sich nun langsam in seine Richtung. „Es gibt nichts, was mich davon nun abringt … Ich habe es mit ihnen begonnen und ich werde es mit ihnen beenden. Ich hänge dort genauso drin wie sie es tun“
Der Älteste nickte, selbst wenn er die Entschlossenheit der Schamanin nicht teilen konnte. „Schließe deine Augen … Beuge dein Gesicht.“
Sie tat wie befohlen, versteckte das Eisblau hinter den Lidern und beugte ihr Gesicht in seine Richtung. Mit dem schwarz getränkten Pinsel begann er einige Linien zu zeichnen, führte das Schwarz über ihre linke Wange, weiter zu ihrer rechten Wange und auch über den Hals. Karur flüsterte dabei beruhigende Worte in der Sprache Wildnis. Es wirkte wie ein Ritual, so wie er nun auch die linke Hand über ihren Kopf hin und her bewegte. Die Rabenfrau rührte sich zu keinem Moment, öffnete erst die Augen als es ihr gesagt wurde. Nun erhob Karur seine Stimme wieder.
„Mögen die Schwingen des Raben allzeit über deine Seele Wachen. Mögen sie all das üble verbannen, dass deine Seele heimsuchen will … Möge seine Weisheit allezeit dein Gefährte auf deinen Pfaden sein ...“ zuletzt neigte er das Haupt.
Die Schamanin schwieg, tat es ihm gleich und wandte das Haupt abermals in Richtung des Götzenbilds. „Danke … Rabe ...“

Kommentare 16

  • Schön stimmungsvoll.
    Hab ich gern gelesen. :)

  • Muss voll gemütlich sein in so einer Halle rast zu machen! \o/

  • Sehr schick geschrieben und bringt wirklich einen tollen Durchblick, passt absolut zum Plot und zeigt wieder einmal deine Liebe zum Detail <3 Weiter so! *Bart kraul*

    • Ich danke dir, großer! <3 Ich konnte diese Spalte zwischen der Nacht einfach nicht offen lassen und das war das was mir so durch die Finger beim Tippen glitt! *kinn heb und schnurr*

  • Tatsächlich habe ich sehr gerne die Geschichte von Fraja gelesen. Sie ist sehr erwachsen geworden und irgendwie wars einfach schön ihren Weg ein wenig mitlesen zu können.

    • Das freut mich sehr! <3 :) Ja sie hat einiges dazu gelernt, auch wenn der Weg den sie momentan einschlägt ein fast schon selbstloser ist. Aber sie kämpft sich da immer wieder durch ;)

    • Selbstlos war sie ja schon immer etwas (wenn ich mich richtig erinner) :)

    • njaaa sagen wir meistens :D

  • Eine sehr schöne Geschichte, wunderbar stimmig geschrieben und es wirft ein tieferes Licht auf Fraja.
    Da ich sie nun ja auf der einen Reise ein wenig kennen lernen durfte, zeigt dies nochmal einen unbekannten Hintergrund auf, wenn auch eher subtil.
    Die Stimmung zwischen den beiden Norn ist auch sehr schön ausgedrückt!

    • Vielen dank :) Ja Fraja besitzt viele Facetten, die nur bei wenigen zum Ausdruck kommen. Sie verhält sich darüber gegenüber anderen eher verschlossen und sagt entsprechend auch nie viel dazu ^^

    • Ich kann mich Kanori nur anschließen. Die Stimmung bei dem Gespräch ist klasse und ich hatte sie so richtig vor Augen (und Ohren). Top! Mehr davon.

    • Aww, vielen Dank, Nia! Das freut und ehrt mich sehr :) Jau auf sowas achte ich meist speziell, damit man die Stimmung zwischen den Charakteren richtig heraus lesen kann!

  • Sehr schön geschrieben *Daumen hoch*