Ein Abschiedsbrief

An den Vater, der Du nie warst,


ich möchte diesen Brief schon sehr lange schreiben, immer wieder habe ich die Feder in die Finger genommen und ihre Spitze angesetzt, aber mehr als ein sich ausbreitender, tief-dunkler Fleck ist nicht darauf gekommen. Denn immer wenn ich es versuche, stocken in mir die Gedanken und es kommt mehr und mehr die Leere in den eigenen Geist betäubt von Schmerz und Tränen.


Mein Leben lang habe ich mich bemüht, Dir wichtig zu sein, Dir einen Wert zu geben, den mein Leben haben sollte. Ich war eine gute Schülerin und ich war eine gelehrige Tochter. Jedes Wort meiner Anstandsdamen war wie ein Gesetz für mich, brannte sich gleich ihrer Schläge in meine Haut und machte aus mir eine Puppe, die vergessen hat, was es heißt ein Mensch zu sein.


Dennoch, Du hast mich nicht gesehen, mir vielleicht einmal den Kopf getätschelt als ich noch klein war, als Heranwachsende mal meinen Namen von den Lippen gebracht. Aber zu oft stand ich vor der großen, braunen Tür, die ich von deinem Schreibzimmer kannte und die für mich das Symbol deines Wesens wurde.


Hast Du mich überhaupt jemals geliebt? War da nur ein Funken? Und wenn Du diese Fragen, dort fern in den Nebeln hörst und verneinen musst, warum hast Du mich dann überhaupt aufgenommen? Warum das Bündel nicht einfach fort gegeben, vielleicht wäre ich dann eine Waise gewesen, aber ich war es doch auch als deine Tochter.


Wenn Du all dies hörst und mich jetzt siehst? Was denkst Du darüber? Was würdest Du deiner Tochter sagen? Gehe ich einen Weg, der Dir zu sagt, oder würdest Du mir wieder jemanden an die Seite stellen, die mit Rohrstock und Befehlen alles in die Bahn lenkt, die Du vermeintlich als meinen Weg sehen möchtest?


Mein Leben verändert sich, das erste Mal überhaupt erfahre ich, was es heißt glücklich zu sein. Was es heißt gesehen zu werden. Was geschieht, wenn man die große, braune Türe öffnet und das Licht einen Spalt auf spähende Augen wirft. In mir wächst Leben; Leben, welches vom ersten Atemzug, der ersten Rührung noch in mir geliebt werden wird.


Dieses Kind, dieses schlagende Herzen wird keinen Grund haben einmal an einem Tisch zu sitzen und sich zu fragen, was es alles falsch gemacht hat. Warum es nicht verdient hatte, geliebt zu werden. Und dann, dann werde ich vielleicht erkennen, dass mein Kampf um deine Liebe vom Anbeginn bis zu deinem Tod nie die Möglichkeit auf einen Sieg hatte.


Dennoch habe ich Dich geliebt, liebe ich Dich. Mit all dem Trotz, den mein gebeuteltes, junges Herz aufbringen kann. Du, Vater, der mich nicht wollte und mich doch erziehen ließ, mir seltene Geschenke machte und noch viel seltener Abends im Bett noch einmal nach mir sah. Ich habe Dich geliebt und ich werde Dich lieben.


Aber wie Du sein, werde ich nie. Niemals so allein, so ohne Liebe im Herzen. Ich werde mich von allen mir noch im Blut ruhenden Fesseln befreien und endlich der Mensch sein, der ich sein möchte. Leben, wie ich leben möchte, lachen und weinen, wie mir der Sinn steht und ich werde dies nicht allein lernen müssen.


Denn er achtet auf mich, auch wenn Du sein Leben nicht gutheißen würdest, aber wer bist Du zu urteilen. Du den ich liebte und liebe, er den ich mehr liebe und immer lieben werde. Im Vergleich allein wegen eurer Stellung schon, würdest Du verlieren und wärst Du am Leben und würdest mich holen wollen. Ich würde nach deiner gereichten Hand schlagen.


Dies ist mein Abschied und mein Abschluss, mögest Du, der mit Sicherheit nicht dort ist, wo ich Dich dennoch gern wissen würde, niemals mehr einen Funken Macht über mich haben, denn ich war deine Tochter, aber bin nun eine freie Frau, mit eigenen Entscheidungen; einem eigenen Leben und ich, die verlernte zu leben, schenke nun mit Dwaynas Segen ein Leben.


In Liebe, aber auch zum endgültigsten aller Abschiede.


Deine Tochter,
Faye

Kommentare 2

  • Die braune Tür als Symbol fand ich stark, hab mir da ein ewig wartende Faye vorgestellt.
    Fast wirkt sie verständnisvoll, aber nach dem Schlagen nach der Hand wird der Abschied wirklich zum endgültigsten.
    Frau Rohrstock hätte auch mal eine Abrechnung dieser Art 'verdient'.
    Ballast abwerfen 10/10.