Yeshis letzter Arbeitstag


1325 N.E.

„Pass schön auf, Mama!“, sagte Yeshi und drückte ihre in Messingfarben gerüstete Mutter. Die einäugige Löwengardistin strich Yeshi das ungebändigte schwarze Lockengewühl aus der Stirn und drückte ihr einen Whiskeyschmatzer auf.
„Na deswegen fahr ich ja da hin!“, lachte Mama in ihrer kehligen Kettenraucherstimme, bei der Yeshi sich so geborgen fühlte. Ihr Whiskey- und Tabakatmen mischte sich mit der frischen, salzigen Seeluft und dem abgestandenen Algenduft des Steges. Mama sah hoch zum Löwengardeschiff, als ein Norn ungeduldig etwas herunterrief. Sie nickte knapp, winkte ab.
„Keine Ruh' die Leut'!“, brummte Mama und grinste, als eine Möwe das bestätigte. Sie steckte sich noch ein Pfeifchen an und klemmte es zwischen die Zähne.
Yeshi strahlte, sie durfte Feuer geben.
„Also Schnuffel...du kommst zurecht allein?“
Yeshis nickte eifrig. „Klar, wie immer halt.“
„Kein' Quatsch essen, gelle Mausi?“
Yeshi nickte.
„Und denk' dran die Wäsche zu machen, ja? Also auch aufhängen.“
„Ja...“, bestätigte Yeshi.
„Und nicht deine Haare beißen!“
„Nee...“ Yeshi schüttelte den Kopf, als Mama ihre wieder länger werdenden Locken hochschob.
„Keinen reinlassen wo du nich' kennst!“, mahnte Mama und packte Yeshis Nase zwischen Daumen und Zeigefinger, zupfte daran.
„Ma', ich bin dreiundzwanzig!!“, lachte Yeshi.
„Ebendrum!“, grunzte Ma lachend, sah einen Ladekran herauf. „Und, wo schickt der Herr Makarios dich heute hin? Bist' wieder am Hafen helfen?“
„Ne, heut' wieder bei der Post.“
„Pakete?“
„Ne, heut' mach' ich nur Taubenkäfige sauber. Aber das kann ich auch gut.“
„Aha, hat der alte Mak jetzt auch Tauben?“
Yeshi nickte. „Ich kenn' jetzt schon fast alle Tauben mit Name. Die kennen mich auch schon. Vielleicht werd' ich mal Taubenzüchtlerin oder so.“
„Bestimmt.“
„Für die Löwengarde vielleicht?“
„Vielleicht.“, bestätigte Ma knapp. Sie bemerkte sogleich den verunsicherten Blick, den dieser Mangel an Bestätigung bei Yeshi auslöste. Sie fühlte sich nicht ernst genommen.
„Wenn ich zurück bin, üben wir wieder bisschen mit dem Schild, hm?“, versichterte Ma dann sogleich, klopfte Yeshi aufmunternd auf die Schulter.
Das brachte Yeshi wieder um Lächeln, sie nickte.
Mama grinste stolz und kniff Yeshi in die Wange, zupfte mal dran. „Du beißt dich schon durch.“
Noch mal Whiskeyschmatzer auf die linke, dann die rechte Backe, eine herzliche Umarmung, dann stiefelte Ma die Planke hinauf.


Wenige Wochen später


„Yeeeeshi!“, unterbrach ein Ruf das Möwengeplärre. Gattis Asurahändchen drehten an der Kurbel,
die Kranwinde surrte und bald war die Frachtkiste unten bei Yeshi. Sie umgriff das schwere Ding mit beiden Armen, hievte sie aus dem Netz, packte sie auf die Schulter und schleppte sie los Richtung Lagerhaus.
Heute war sie 'am Hafen helfen', wie Ma sagte, aber es war ehrliche Arbeit.
„Kommst'e mit Pause machen gleich?“, fragte der alte Slarzz, als Yeshi die Kiste auf den Stapel im Lager geladen hatte.
„Jo...eine noch.“, antwortete sie dem kleinen, alten Charr verzögert, abwesend. Den ganzen Tag hatten sie schon geackert. Schwer zu sagen wie spät es überhaupt war, es war auch nie richtig hell geworden heute, dunkle Wolken, geregnet hatte es aber nicht.
Als sie wieder draußen ankam, stand da Herr Makarios und schaute nach oben.
„Liegt was in der Luft.“, bemerkte der alte Canthaner. Der 'alte Mak'. Ihr Chef.
„Mhm. Da will was runter.“, sprach Ike unsicher und rieb sich die braune Glatze.
„Ja, ne?“, trug Yeshi zur Diskussion bei und betrachtete die unnatürlich trüben Wolken kurz. Wie vor einem Gewitter. Nur eher so Grüngrau statt Gelb. Wie Gemüsesuppe. Manchmal tunkte sie Semmel in die Suppe...genau so sah die Sonne jetzt irgendwie aus.
„Yeeeeshi!“, riss Gatti sie dann aus den Gedanken, sie winkte vom Kranturm herunter. Sie kurbelte, dann wanderte noch mehr Ladung nach unten.
Yeshi nahm sie in Empfang.


Dann, eine Unheilsstimme von oben, vom Schiff.
„Da...da kommt was aus dem Wasser!!“, verkündete der Junge im Krähennest panisch, dabei hektisch mit den Armen wedelnd.
Auf Yeshis Rücken stellten sich alle Härchen auf. Es kam ihr vor, als erlebte sie diesen Moment zum zweiten Mal. Vor einigen Tagen hatte sie auch hier gearbeitet, derselbe Bub hatte im selben Schiff im selben Ausguck gehockt und ausgerufen, dass das Leuchtfeuer der Klaueninsel brennt. Kaum ein Schiff war von dort zurückgekommen, und damals konnte keiner ihr sagen, wo oder was mit Mama war. Ma hatte immer gesagt, niemand kommt an der Klaueninsel vorbei, wenn man Löwenstein zur See angreifen will. Da müsste man schon direkt durch die Insel und jeden einzelnen Löwengardisten töten.
„Die Toten! Sie...kommen den Strand hoch!! Versteckt euch!!“ Er ging auf Tauchstation in seinem Krähennest und war aus aller Augen... Glocken läuteten in der Stadt, Rufe, Geschrei, Alarm, Panik.


Yeshi warf die Kiste in den Sand und biss sich in den Rücken ihres Zeigefingers. Die Kerben darin waren seit Mama vermisst war noch tiefer geworden. Sie wollte sich eigentlich was drauftätowieren lassen, damit man das nicht sah. Man sah immer sofort, dass sie da reingebissen hatte, das mochte sie nicht, da hielt man sie für blöde. Aber vielleicht war ja auch gleich alles vorbei...
Alle Arbeiten waren zum Erliegen gekommen.
„Was jetzt??“, fragte Slarrz.
Gatti machte Anstalten, die lange Strickleiter herunterzuklettern.
Ike hatte einen Einfall, lief auf die Planke zu. „Auf das Schiff, auf dem Meer sind wir sicher!“
„Die sind von Orr hier hergeschwommen!!“, warf Herr Makarios keuchend ein. „Und wieso, wieso glaubst du, fährt da seit Jahren niemand mehr der klar im Kopf ist runter??“
Ratlos sahen sie sich an.


Da kamen die ersten Gestalten aufs Hafengelände zugerannt. Sie waren fürchterlich. Weniger Personen, mehr Gegenstände. Dinge, die mal Personen gewesen waren. Das Gegenteil von allem was lebendig war, aber auch nicht tot. Skelette, lieblos mit rottiger Haut überzogen, mit Meeresgetier und Pflanzen behangen, grotesk menschliche Bewegungen imitierend.
Entweder hatten sie die Löwengardisten umgangen oder einfach überrannt, jedenfalls waren sie gleich hier.
„Wir...gehen ins Lager und warten auf Hilfe!!“, entschied Makarios und humpelte mit seinem Jadesteinstock auf die Lagerhalle zu.
Gatti rief von der Leiter herunter, die sie halb herabgestiegen war. „Nein, nein in der Stadt sind wir sicherer! Da sind andere! Aus dem Lager kommen wir nicht raus, hier ist die Frontlinie!!“
Der Charr und die beiden Männer rannten weiter zur Halle, aber Yeshi fand Gattis Idee gar nicht so dumm. Gatti hatte immer schon die besten Einfälle gehabt. Sie war eine von den Asura, die zwar schlau, aber nicht arrogant waren. Eine, die ihre schlauen Ideen nur mitteilte, wenn damit allen geholfen war. Yeshi wollte auf die Asura warten, mit ihr zusammen abhauen. Gatti sprang die letzten Sprossen herunter und rannte los.
Von der Seite preschte ein großer Untoter in sie hinein.
Ein Kreischen, als Gatti zu Boden gestoßen wurde. „Yeeesshiiii!!“, brüllte die Asura panisch und streckte die kleinen Klauen nach ihr aus. Yeshi starrte auf sie herunter, gelähmt. Die Monster hatten Gatti umschwärmt, hoben ihre rostigen Klingen und Stöcke.
Hackten auf Gatti ein.
Yeshi konnte nicht wegsehen, als ihr grauer Schädel gespalten, ihre Ohren abgeschlagen wurden. Sie hackten noch, nachdem das Kreischen erstorben war. Gattis kleine Klauenhände hörten auf zu zucken.
Es ging schnell, aber nicht sofort.
„Auf, Yeshi!!“, brüllte Ike hinter ihr und blieb stehen, seine Augen wurden groß als er schnallte, was da vor sich ging.
Ein erstickter Schluchzer entfuhr Yeshi, sie wagte kaum zu atmen, sich zu bewegen, während die buckligen Untoten langsam den Blick von Gattis Leiche hoben, aus leeren Augenhöhlen zu ihr herüberstarrten, rot glänzend von frischem Asurablut. Sie biss sich in den Zeigefinger und stand da, während Tränen in den Augen hochquollen. Erfüllt von Angst und Wut starrte sie zu ihnen rüber, fingerbeißend, als könnte sie damit einen Bannzauber beschwören. Da rannte der Größte von ihnen stolpernd los. Wie eine Welle schwappten die anderen ihm nach. Yeshi rannte in die andere Richtung, wollte an der Lagerhalle vorbei.
Aber da waren auch schon welche. Überall waren welche.
Erst dachte sie es wären Sylvari, aber es waren Untote voller Seetang, Pocken und Korallen. Es roch nach totem Meeresgetier und gammligem Fleisch. Ihr war übel. Da packte Ike sie am Arm, plötzlich war auch sie in der Lagerhalle.
„Das TOR ZU!! DEN RIEGEL RUNTER!“, brüllte Makarios, panisch mit dem Stab wedelnd, als Ike und Yeshi langsam die beiden Torflügel nach innen zogen, während die Horde aus über einem Dutzend vergammelten Irren unaufhaltbar heranschwappte.
Der schnellste Untote hatte keinen Unterkiefer, war von Seepocken übersäht, beim Rennen schlackerte sein Kopf im Nacken, das Gesicht nach oben - als funktioniere der Körper auch ohne den Schädel. Der Anblick schnürte Yeshi den Hals zu.
Das Tor war geschlossen und er war weg.
Slarzz hob den langen Holzriegel und verriegelte die Halle, Sekunden später prallte die Horde gegen die Planken. Eine Klinge brach direkt vor Ike durch das splitternde Holz, er kreischte hell auf, ging vor Schreck zu Boden robbte panisch nach hinten.
Da ware sie nun, in der Lagerhalle, ohne Ausweg. Am Ende der Halle war kein Ausgang, nur eine Wand aus den Frachtkisten, die sie den ganzen Tag über gestapelt hatten. Das Dach schien meilenweit entfernt und hatte ohnehin keine Öffnung.
Nicht die beste Option, vielleicht hätten sie direkt in die Stadt rennen sollen. Wie es dem Bub im Ausguck wohl ging?


Noch unheimlicher wurde es, als die Toten für einen Moment nicht mehr wie eine wilde Horde auf das Tor einschlugen. Es wurde plötzlich still. Erst dachten sie, die hätten aufgegeben. Aber dann hörten sie, wie Fingernägel am Holz kratzen. Kalte Stimmen durcheinanderbrabbelten.
„...er...kalt...wir...leuchten...er...“
„...Tod...kommt....“
„...allein...du bist...“
Dann schlugen knochige Handflächen gegen das Holz.
Immer mehr, immer wieder.
Als feuerten sie Fasskeiler an.
Nach und nach wurde wieder mit den Fäusten und stumpfen Klingen gegen das Tor gehämmert.
Das weckte die vier Überlebenden aus ihrer Starre.
Makarios blickte gehetzt hin und her. „Haben wir Waffen?!“
Ike rappelte sich auf, zückte sein Jagdmesser, das in seiner Hand zitterte.
Der Canthaner nickte das ab, sah zu Slarrz stumpfen alten Krallen.
Yeshi tastete sich ab. Sie hatte nur einen Holzlöffel in der Westentasche.
Sie blickte auf den Stock des Canthaners, den scheinbar magischen Stein, auf die kleine gefrorene Krake, die von grüner Jade umschlossen war.
„Kannst...du nicht zaubern? Oder irgendwie Kampfkunst? Mit dem Stock oder so...?“, fragte sie.
„Was? Kampfkunst?? Weil ich Canthaner bin?? Das ist...“, empörte er sich, winkte ab. „Ein wenig Wassermagie, aber das ist nichts, was uns-“ Da flog ein großer Holzsplitter an ihnen vorbei, herausgeschlagen durch eine ledrige Knochenfaust.
Sie zuckten zusammen, Ike kreischte wieder, Slarzz floh in Richtung der Kistenwand, Makarios folgte. Der Charr und der Canthaner halfen sich gegenseitig, die Kisten hinaufzuklettern, während die Biester die Tore zu Kleinholz zerlegten. Die Alten kauerten oben nebeneneinander. „Seht nach, ob da Waffen in den Kisten sind!“, befahl der alte Mak den beiden jungen Menschen. Perplex sahen sie sich an, dann folgten sie.
Die Angreifer waren durchs Meer hier hergeschwommen, verkrüppelt, mit halben Köpfen. Die waren so zäh, wie sollte man gegen sie kämpfen?


Aber irgendwas nützliches musste doch in den Kisten drin sein, schwer wie die gewesen waren. Gewehre vielleicht, Lanzen, Granaten. Yeshi schabte sich sämtliche Fingernägel blutig, als sie die Kuppen unter die zugenagelte Kiste schob und den leicht Deckel anhob. Sie zog ihre ledernen Arbeitshandschuhe über. Ihr Holzlöffel brach, als sie ihn als Hebel in den Schlitz schob. Ein Reißen an der Vorderseite, der Deckel löste sich samt rostigen Nägeln. Blau. In der Kiste war alles voller blauer Plüschquaggans. Das war süß, aber das half nicht. Für einen Moment bereute sie es, vor Jahren bei einer Sternschnuppe „für immer lauter Spielzeug“ gewünscht zu haben. Vor ihrem Inneren Auge blitzte eine Szene auf, als sie mit Ma am Strand Sterne geguckt hatte.
Immer wieder Splittern am Holz, die Untoten schlugen und traten ein immer größer klaffendes Loch in die Holztore, ohne Rücksicht auf Haut und Knochen. Der Holzriegel hüpfte stetig in der Befestigung.
Ike hatte derweil sein Messer beim Öffnen seiner Kiste verbogen, lauter billige Vasen waren da drin. Makarios rief irgendwas nutzloses. Sie tauschten Blicke aus, sahen dann über die Schulter zu dem Loch im Tor, das sich mit Untoten füllte. Der Riegel fiel. Einen Meter hoch mochte die Holzwand vor den Füßen der Toten noch sein, aber das war für sie niedrig genug zum Losrennen. Übereinanderstolpernd ergossen sie sich in die Lagerhalle, trampelten sich gegenseitig platt, die Gefallenen krochen hinterher, rappelten sich auf, wankten nach. Die Menge rannte, die Zeit der Waffensuche war vorbei. Yeshi hielt hilflos einen Holzdeckel in den Händen, Ike sein verbogenes Messer. Die beiden wechselten einen Blick. Er hatte seinen Bruder auf der Klaueninsel verloren, sie ihre Mutter. Jetzt waren sie selbst an der Reihe.
Ein knappes Zunicken. So gut kannten sie sich nun auch wieder nicht.
Ike schloss die Augen, griff seinen Flügelanhänger und murmelte ein Gebet.


Slarzz warf eine Kiste, haute damit zwei Untote um, das Holz zerbrach, Glasfläschchen klirrten, knallige Farben flossen heraus. Schon waren die beiden bunten Toten wieder dabei, sich aufzurappeln.
Der Schnelle ohne Kiefer rannte direkt auf Yeshi zu, die Rostklinge erhoben. Sie wich mit einem Satz zur Seite aus, er schlug in die offene Quaggankiste, die Klinge blieb im Holz stecken. Kuscheltierinnerein wurden vergossen. Mit beiden Händen machte er sich daran, die Klinge wieder rauszupflücken. Yeshi trat nach ihm, aber das interessierte ihn nicht, schon beim zweiten Ruck gelang es ihm die Klinge zu befreien – Sein ausdrucksloser Totenkopf ruckte ihr schief entgegen.
Er stach nach Yeshi.
Sie trug noch immer den Holzdeckel in Händen. Wie einen Schild hielt sie ihn vors Gesicht – Krakk! - die Klinge war zu einem Drittel durch den Deckel gedrungen und im Holz steckengeblieben - wieder zerrte er mit beiden Armen daran, um die Waffe rauszubekommen.
Die Angst war noch da, aber sie machte nun immer mehr Platz für was anderes. Für die Wut. Für animalischen Überlebenswillen. Für Aggression, die sonst ihre Haare oder ihr Zeigefinger abbekamen. Noch ein Tritt, diesmal so heftig, dass ihre Zehen schmerzten. Sein Schienbein knackte, er stolperte zurück, die Klinge wieder in den Händen.
Sie hatte zunächst nicht gewagt, die Monster anzusehen. Als würden sie verschwinden, wenn man nicht dran dachte. Das hatte nicht geklappt.
Nach seinem Gestolpere versuchte der Untote wieder, in eine gerade Haltung zu kommen.
„HRRAH!“, brüllte sie mit dem Mut der Verzweifelten. Bevor er wieder zuschlagen konnte, knallte sie ihm den Holzdeckel in die Fresse. Die gammligen Seepocken auf seiner Stirn splitterten, er grunzte, der Kopf wurde zur Seite umgerissen. Er knallte mit dem knochigen Rücken gegen den Kistenstapel. Keine Gnade jetzt, Arschloch. Sie drosch, bis die Zähne flogen.
„NA KOOMM!“, schrie sie das Monster an, es vibrierte in ihren Armen, als der Holzdeckel beim heftigen Aufschlag den Schädel runterdrückte und das Holz in der Mitte brach.
Die Holzsplitter schnitten ihren Handschuhe auf, saugten sich mit ihrem Blut voll. Der Untote war zu Boden gegangen, lehnte da jetzt wie ein Penner vor seiner Kotze, nur dass die Kotzbrocken Zähne waren. Er stützte sich hartnäckig mit der Rechten auf, er hatte seine Klinge verloren... Sie trat auf ihn ein, der Brustkorb splitterte, sie verfing sich in den Rippen, rupfte den Fuß wieder raus. Er wagte es, wieder aufstehen zu wollen. Zäh. Sie packte den schleimigen Kopf mit ihrer Linken, starrte ihm in die leeren Augen. Da waren nicht mal Augen, da war nichts. Schmatzend drückte sich der Daumen des Lederhandschuhs in die Augenhöhle, als der Tote herumzuckte.
„Daaahfff....Fhaiffaaan!!“, keifte das kieferlose Ding noch, ehe sie den blutigen Holzsplitter am Rachen ansetzte, wie einen Holzpflock kräftig von unten hineindrückte, Zentimeter für Zentimteer gab das Gewebe nach - Adrenalin strömte in Wellen durch ihren Körper, als sie ein Knacken im Schädel vernahm, spürte wie die Bestie nachgab. Besiegt von der Tagelöhnerin. Da musste Zhaitan schon mit mehr anrücken. Und das tat er.


Es waren nur wenige Sekunden vergangen, die schnellsten Untoten wurden bald von den andern eingeholt.
Ike rang mit einer zappelnden Seetanghexe, hatte sie an den Handgelenken gegen die Kisten gedrückt. „Ich...das...Messer!“, keuchte er. Yeshi übernahm ein Handgelenk, Ike nahm das Messer und stach der Hexe erschreckend routiniert, blitzartig in die Magengegend, einmal, zweimal, zehnmal.
Ja, sie waren stark. Und sie konnten kämpfen. Das wussten sie. Aber sie hatten nie gegen soetwas gekämpft. Die Angst hatte sie gelähmt. Weil das so viele waren, weil sie das waren, was sie waren. Angst mochte einem das Leben retten, aber in einer Sackgasse voller Untoter hatte Angst keinen Platz, da war dummer Mut wichtiger.
„SO kannst du sie nicht töten! Der Kopf!“, rief Mak von seinen Kisten herunter. Von der Rentnerbank.
Was war überhaupt hier los?? Sie waren zu zweit hier unten. Dass der alte Mann sich versteckte, gut, aber der Charr?? Ike stieß der Hexe das krumme Messer durchs Ohr, sie rutschte in ihrem eigenen Innereienglibber die Kiste runter, sackte zusammen.
„Wo BLEIBT ihr?? Komm' runter du Kuschelcharr!!“, ächzte Yeshi und machte sich für den nächsten Toten bereit. Ike hatte die Rostklinge aufgehoben, Yeshi begnügte sich mit einem spitzen Holzsplitter und dem Holzdeckel der Vasenkiste. Dank Tragegriff konnte sie ihn wie einen Schild nutzen.
Slarzz hatte einen befremdlichen Blick drauf, starrte auf die Untoten, warf die nächste Kiste. „Ich...kann nicht!“
Die Kiste splitterte auf und warf zwei weitere Tote zu Boden, kurz bevor sie Ike und Yeshi erreichten. Frische, getrocknete Lederflicken verteilten sich auf dem kleinen Schlachtfeld.
„Na los!“, befahl Makarios und machte Anstalten, den Charr mit dem Stab nach unten zu schieben.
„Das...es geht schief! Gefährlich!“, jammerte Slarrz.
Der Charr hatte niemals erzählt, was er früher gemacht hatte. Bevor er als alter Sack am Hafen gelandet war. Vielleicht war er einfach nur ein Feigling und hatte nie gekämpft. Wie wurde ein Charr sonst so alt? Das sähe ihrem Glück ähnlich - mit dem einzigen Charr der nicht kämpfen konnte in der untoten Apokalypse.
„R-reiß dich zusammen Großer!“, rief Ike.
Slarrz riss dem Canthaner den Stab aus der Hand, dann sprang er die Kisten herunter.
„Das ist ein Erbstück!“, rief Mak ihm grunzend nach. Slarrz ignorierte das.
„Also..gut- Neben...mich, in einer Reihe! Aufstellen!“, keuchte der alte Charr. Er hatte sich neben den beiden in die Mitte gedrängt, also standen sie schon längst in einer Reihe. Er hob den Stab mit der Linken in die Höhe, aus seinen Augen züngelten Flämmlein, die Hörner glühten kurz auf und ein Feuerbällchen rauschte auf einen der angreifenden Toten. Es reichte, um ihn von innen zu entzünden.
Ike brüllte irgendwas, Yeshi brüllte irgendwas, sie brennen zu sehen gab ihnen Mut.
„Weiter so!“, ächzte Makarios und blieb oben. Slarrz Blick wanderte wild umher, immer wieder zur Decke. Noch einen zündete Slarrz an, dann waren sie da.
Einer knallte gegen Yeshis provisorischen Schild, jaulte, hämmerte mit dem Kopf dagegen, hielt sich fest. Sie rang mit ihm, trieb ihn in Ikes Richtung, der ihm die rostige Klinge in den Hinterkopf rammte. Sie blieb stecken und er fiel in sich zusammen. Der Holzdeckel war gebrochen, sie nahm eine der Latten in beide Hände.
Der Große stand vor ihr, Beil in der Rechten. Er starrte sie an. Gattis Blut umrahmte seine eingefallenen Wangen, orange und türkise Farbklekse seine Beine und Arme.
Er holte weit aus. Sie holte weiter aus. Planke in die Fresse, Kalk splittert, knackend wird sein Kopf zur Seite geworfen. Mit einem Zischen dreht sich der Schädel wieder in die alte Position zurück, Yeshi aus leeren Augenhöhlen anstarrend.
Na warte.
Noch ein Schlag, Hautfetzen fliegen, der Unterkiefer wird krumm, der Kopf ruckt wieder zur Seite, das Beil fällt. Und auch wenn er nicht zum Angreifen kam, wieder starrte er sie an, irgendwie herausfordernd. Als sie seine dünne Haut, die freiliegenden, alten Sehnen, die rissigen Knochen sah, da wurde ihr klar wie stark sie selbst als lebende, gesunde Wesen waren.
Ein letztes Mal knallte die Latte in die Fratze, die letzten Zähne platzten aus dem schmierigen Zahnfleisch und flogen in alle Richtungen, dann klappte er vor ihren Füßen in den Sand, das Gesicht im Dreck.
Der Kopf zuckte leicht, hob sich. „Diehnee...“ Das gesplitterte Ende der Holzlatte wurde durch den Hals gerammt, dann war Ruhe. Yeshi ballte die Fäuste, nahm den Blick vom Untoten.
Das Beil kickte sie Ike zu.
Ein spitzes, langes Stück brach von der Holzlatte, als sie sie aus dem Hals zog.
Ein Untoter explodierte, ein anderer rannte brennend aus der Scheune. Sie rückten zum Tor vor. Ike trieb das Beil durch einen knochigen Hals, der Kopf purzelte platschend in eine lilane Farbpfütze. Slarrz ließ schließlich den Stab fallen, griff den Torriegel und begann unter den restlichen zu wüten - auch wenn er klein war, er war ein Charr. Er brüllte wie die entfesselte Bestie, die er war. Der Schädel eines Gegners wurde splitternd im Körper versenkt, ein untoter Asura bekam es durch den Rachen.
Sie machten sie fertig.


„Wa---AAHH-!“, brüllte Ike plötzlich, als ihm eine Rostklinge durch den Unterschenkel schnitt und er zu Boden ging. Ein Verkrüppelter hatte ihn vom Boden aus erwischt. Mit dem gesunden Bein trat er nach seinem Angreifer, ihn mit dem Beil davon abhaltend über ihn herzufallen, mit der Linken briet er ihm eine umherkullernde Vase über, Splitter flogen.
Yeshi macht einen Satz auf ihn zu, kickte gegen den Untotenschädel, dem der Kiefer von den rottigen Sehnen flog. Ike hackte ihm in den Hals, ein Tritt von Yeshi, ein Hieb von Ike, ein Tritt von Yeshi, ein Hieb, der Kopf löste sich. Leblos fiel das Ding auf den Verletzten. Slarrz war zur Stelle, rollte das Biest herunter.
Nur noch einer stand da im Eingang.
„Meiner.“, beschloss Yeshi und stampfte schnaubend auf ihn zu. Sie kam an der Kiste mit den zerbrochenen Farbfläschchen vorbei. Eines davon, allem Anschein nach Frühlingstau oder Winterbrise, war am Rand herrlich aufgesplittert. Man konnte es am Flaschenboden greifen, die aufgebroche Oberseite hingegen war nun eine spitze Eiskrone.
Der Untote streckte die Hände nach ihr aus, packte ihr in die Locken und riss. Das tat verdammt weh, trieb Tränen in ihre Augen und machte sie wütend. Wie einen Dolch rammte sie die Scherben der Flasche in sein Ohr. Das spitze Glas blieb stecken, blaue Farbe ergoss sich über Kopf und Hals.
„Eeehhrr-“. Er fiel auf den Hintern, ließ ihre Haare nicht los, sie warf sich auf ihn. Den langen Holzsplitter setzte sie am Hals an, drückte mit beiden Händen kräftig dagegen, quetschte. Das raue Holz sägte quer über die rottige Kehle. Der Orrianer quiekte, ihm versagte die Stimme, es wurde ein Gurgeln. Sein Widerstand brach mit seiner schleimigen Speiseröhre, die Hände in den Haaren erschlafften und fielen. Einen Moment starrte Yeshi in seine leeren Augenhöhlen. Es roch abartig. Sie rotzte und spuckte ihm ins Gesicht, dann blickte sie sich um, erhob sich benommen.
Die anderen lagen, sie standen.
Sie schnaufte durch. Für einen seltsamen Moment bedauerte Yeshi, dass es schon vorbei war.
Ungläubig sahen sie einander an. Yeshi fletschte die Zähne zu einem Grinsen. Makarios war abgestiegen, hatte den Stab wieder an sich genommen, dämmte kleine Feuer mit Wasserplatschern ein, um die Lagerhalle zu retten.
Ike hatte sich Schnaps über sein Bein gekippt und es mit einem aufgeschlitzten, gehäuteten Plüschquaggan verbunden. Der Rest wurde getrunken.
„Bleiben wir hier drin!“, rief Makarios dann, ehe er wieder zu den Kisten eilte, sich auf dem Weg ein intaktes Fläschchen abgrundschwarzer Farbe in die Manteltasche steckend. Ike mit Wassermagie zu helfen fiel ihm nicht ein.
Tumult, der näher kam, sie hielten inne.
„Was is' das?“
Yeshi rannte schließlich nach draußen.
Sie hörte Schüsse, Schreie, nein, Schlachtrufe, Metall in Bewegung. Lachen sogar.


Der Strand wurde von einer mächtigen Metallflut überschwemmt. Eine Formation der Wachsamen walzte alles nieder, was untot war. All der Fortschritt, den die Untoten gemacht hatten, dahin. Ein schönes Gefühl. Der untote Widerstand wurde in Sekunden zermalmt, zermetzelt von Stahl, Blei und Magie.
Eine Norn teilte einen Untoten Artgenossen mit ihrem Großschwert entzwei, ein Asura ließ die Köpfe mit seinem kleinen Gewehr platzen. Ein Charr hatte einen untoten Menschen auf dem Horn seines Helmes gespießt. Er rupfte ihn mit der linken Kralle ab, das Ding wurde in zwei Hälften gerissen, matschige, graue Innerein ergossen sich vor ihm. Dann trampelte der Trupp die Leichen auf dem Weg zur Lagerhalle zu Soße.
Es war abartig, ekelhaft, brutal. Aber zugleich wunderschön.
„Ermus, Perimeter sichern!“, befahl die Norn mit dem riesigen Kamm auf dem Helm. Der Charr machte sich auf den Weg in die Lagerhalle. Bald erklangen Pistolenschüsse, als er einzelne Untote exekutierte, die noch zappelten.
Wie eine zum Leben erwachte Heldenstatue schritt die Norn auf die Überlebenden zu.
Sie deutete auf Gattis Leichnam. „Tzup.“, sagte sie nur. Der Asura mit dem Gewehr scherte aus, warf einen Blick durch sein Monokel auf die tote Artgenossin, schüttelte den Kopf. Sein Blick traf den von Yeshi.
„Armes Ding. Sonst alle in Ordnung?“
Sie sahen einander an, zu Ike, dessen Bein eingehackt war. Eine Sanitäterin war sofort bei ihm, blaues Leuchten ließ Ike aufseufzen, eine kühle, feuchte Brise schwappte über sie alle hinweg.
„Gute Arbeit da drinnen.“, stellte der Charr, Ermus, fest. Slarrz wich seinem langen, musternden Blick aus. Ermus nahm seinen Helm ab, um die letzten Innereien vom Stahlhorn zu kratzen.
Die Norn reagierte auf die fragenden Blicke der Überlebenden.
„Ich bin Taktikerin Karlsdottir. Wir haben die Lage unter Kontrolle. Löwenstein wird heute nicht fallen. Wir werden die Toten Helden der Klaueninsel rächen. Und sie erlösen.“
Als Yeshi das hörte und einen Moment darüber nachdachte, wurde ihr wieder schlecht, sie hockte sich auf den Boden neben Gatti, zog die Handschuhe aus und bearbeitete ihre Nägel mit den Zähnen. Als sie merkte, dass da untote Reste durchs Leder gesuppt waren, musste sie kotzen. Es sollte das letzte Mal sein, dass sie sich auf den Nägeln herumkaute. Sie würgte nochmal, wischte sich über den Mund.
Sie fühlte sie sich erstaunlich befreit, als hätte sie den letzten Rest Angst mit herausgekotzt.


Die Norn ließ sich davon nicht beirren, schwang weiter in seltsam abgehackten Sätzen ihre Rede. „Wir werden die Klaue zurückholen. Wir werden sie Meter für Meter niedermetzeln. Wir werden Orr überrennen, bis wir Zhaitan selbst vor die Flinte kriegen und ihm jeden Kopf einzeln abreißen.“ Sie sprach mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht daran zweifeln ließ, dass es gelingen konnte. „Bis es faulige Drachendärme regnet.“
Ermus hatte sich derweil den Darm vom Eisenhorn gewunden.
In Yeshis Magen rumorte es kurz, aber es ging.
Die Norn sah über die Runde.
„Manche müssen kämpfen, damit alle frei sind. Seid ihr Manche?“
Man machte sich daran, Ike abzutransportieren. Makarios war dazugekommen. Sie sahen sich verwirrt an, sahen zur Norn.
Sie sprach nochmal langsamer, deutlicher.
„Wir wollen denen in den Arsch treten. Das wird Blut und Leben kosten. Die Wachsamen rekrutieren. Also, jemand interessiert?“
Der alte Mak lachte keuchend, stammelte irgendwas, deutete auf die untoten, teils schwelenden Leichen die sie umgaben, schüttelte den Kopf.
Slarrz schüttelte schnell die Mähne. „Ich...bin zu alt für sowas...“
„Ein andermal...“, keuchte Ike mit erhobenem Stinkefinger von seiner Bahre aus, als er zusammen mit Gattis Leichnam abtransportiert wurde.
In Yeshis Kopf ratterte es. Entscheidungen mussten getroffen werden, über die man nachdenken, für die man sich Zeit nehmen musste.
„Ich, hier!“, rief sie dann aus einem Impuls heraus, Untote zu töten, Ma zu rächen und die Welt zu sehen.
Taktikterin Karlsdottir nickte. „Na immerhin. Ihr seid?“
„Äh. Jaroyesh. Giffgy.“
Die Norn musste das wohl erst mal verarbeiten, schwieg einen Moment.
„Wie auch immer, in einer Stunde am Wachsamenzentrum, Rekrutierungsbüro. Stellt Euch in die Warteschlange.“, sprach sie dann routiniert und setzte ihren Weg fort, klatschte in die Hände und winkte ihren Trupp mit sich.
Jaroyesh sah ihnen einen Moment nach, warf ihre kaputten Arbeitshandschuhe in den Sand.
Sie hatte heute zum letzen Mal am Hafen geschuftet, Pakete ausgetragen und Taubenkäfige geputzt.

Kommentare 6

  • Gefällt mir gut, zu lang fand ichs jetzt auch nicht. Hab nur ehrlich gesagt die ganze Zeit darauf gewartet das sie wohlmöglich ihre zombifizierte Mutter entgültig umbringen muss, oder die Asura sich als Zombie in die Szene schleppt, keine Ahnung warum, eventuell zu viele entsprechende Bücher gelesen (da passiert sowas doch gefühlt immer). Und...ich mag wissen wie sie mit langen Locken ausgesehen hat. Gibts da vielleicht noch ein Bildchen zu? :)

    • Ja, das wäre mir dann aber zu viel Schicksalszufall gewesen, wenn Mama Giffgy von der Klaueninsel genau zu Yeshis Arbeitsstelle geschwommen wäre. Die ist zu dem Zeitpunkt noch auf der Klaueninsel, wo Roy ja auch noch vorbeikommt... Laut Roys Aussagen war ihre Ma aber schon Asche, bevor sie sie identifizieren konnte.
      Dass Gatti von den Toten zurückkommt hab ich auch überlegt aber rausgelassen, hielt ich für zu viel Ablenkung, hätte aber sicher auch funktioniert. Mehr frische Untote sind aber für zukünftige Orr-Geschichten geplant.


      Und vielleicht mal ich mal ein Bild von Locken-Yeshi, bisher gibt es keins.^^

  • Ganz groß, Ovy. Gut, dass du es nicht gesplittet hast. Es ist definitiv nicht zu lang. Ich mag den alten Charr. Und Roys Mama. <3 wirklich toll. Es macht Roy greifbarer und irgendwie menschlicher.

  • Und so wurde aus klein Yeshi die große, böse Jaroyesh. Stark <3