Morgendlicher Besuch

Es dämmert gerade, als das Weib sich in den Fellen regt und der Schmerz heftig durch ihren Knöchel zuckt. Kurzzeitig wirkt es, als betäube er ihr gesamtes Bein. Leise murrend dreht sie sich auf den Rücken, wischt sich den Schweiß von der Stirn und schnauft nach oben zur Hüttendecke. „Dreck…,“ brummt sie leise und rau aus. Tapsige Schritte erregen direkt darauf ihre Aufmerksamkeit und sie sieht an den Rand des Lagers. Dort steht ihr Sohn, sieht sie mit verschlafenen Augen an und gähnt herzlich. „Ma.. uuuuahrg!“ Jonne schmatzt und klettert ins Lager. Über seinen tief schlafenden Pa hinweg, schlüpft er zu seiner Ma unter die Felle und schmiegt sich an. „Was machst du denn schon auf den Beinen mein Fratz?“ Sie streicht ihm mit den Fingerkuppen sacht von der Stirn zur Nasenspitze. Immer wieder. Das gefällt ihm. Das hat die Ma schon gemacht, als er noch ganz klein war. Direkt drückt er sich noch etwas mehr an den warmen Körper seiner Ma und schnauft schwer seufzend durch. „Is war wach… Die Katze hat mis geweckt. Die is‘ doof.“ Der Junge schnaubt, bringt seine Ma damit aber zum Lächeln. Sie hebt den Kopf und drückt ihm einen Kuss auf die Stirn. „Was hältst du von süßen Brötchen mit Rosinen?“ Jonne nickt. „Is mag noch ein bisschen smus‘n… dann helf‘ is dir Ma.“ „Das klingt gut, Großer.“


Eine ganze Weile liegen sie im Lager und dösen vor sich hin. Dem tiefen Atem des Nornberges zu ihrer Linken wird gelauscht, dem Maunzen der Katzen die vor der Türe sitzen und raus wollen, dem leisen Windrauschen im Wald… „Ma?“ „Hmmh, Jonne?“ „Ma, bist du sauer?“ Sie hebt den Kopf und schaut zu ihrem Kind. Die Augen des Jungen sind mit einem Mal hellwach und haben einen gewissen Ernst im Blick, wie ihn nur ein Kind haben kann. In Gedanken antwortet sie mit ‚Ich bin doch keine Zitrone‘. Ihr Mund jedoch sagt etwas Anderes. „Sollte ich sauer sein?“ „Ne… aba dein Fuß is‘ kaputt. Un‘ is bin weggerannt.“ „Ich bin nicht sauer. Gestern war ich enttäuscht.“ Da herrscht Schweigen. Sie spürt, wie der Junge sich etwas fester an ihr hält und schwer schluckt. „Jonne, du bist ein Norn. Und du weißt, was das bedeutet?“ Anstrengung geht durch den Körper der Roten, als sie sich mit dem Jungen in den Fellen aufsetzt und ihm die strubbeligen schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht streicht. Das Lächeln der Ma ist warm und gilt allein dem Sohn. Jonne schnauft schwer aus, kratzt sich die Wange und muss doch auch ein wenig grinsen, als er die Ma so lächeln sieht. Eifrig nickt er. „Ja! Ein Norn is‘ frei un‘ stark un‘ mutig un‘ … ein Legend‘nhaber un‘ ein Held!“ „So ist es. Und bist du das alles schon?“ Die Beiden sehen sich im Halbdunkel der Hütte an. Das Weib trägt noch immer ein Lächeln auf den Lippen, das für den Sohn bis in die Augen reicht. Neben ihnen dreht sich der Kerl mit einem Brummen auf die Seite, brummelt im Schlaf ein paar Wortfetzen vor sich her die ohnehin keiner versteht. Jonne schnauft erneut, beinahe schon etwas trotzig. „Ja…! Ne… Mh. Ein bisschen. Is bin frei un‘ mutig! Is spring‘ nämlich vom Dach, ähä!“ „Ja, das tust du. Aber weißt du auch, warum ich gestern enttäuscht war?“ Der Mund des Kindes klappt auf, wieder zu und ein leises Murmeln folgt. Dabei knubbeln die Finger aneinander herum, greifen dann an den wilden Haarzopf der Ma und hubbeln dort über das vom Schlaf zerstrubbelte Flechtwerk. „Weil is noch net stark bin.“ Die Ma nickt. „Genau,“ sie tippt ihrem Sohn auf die Nase und lacht dabei heiter. Jonne mag den Laut. Er hat etwas Tröstliches. Etwas das Bestärkt. „Aber das wird sich ändern. Immerhin bist du ein Norn. Ein sehr mutiger Norn.“ Das Kind grinst sehr breit und die Ma bekommt einen dicken Schmatz auf die Wange. „Un‘ dann geh is mit dir zusamm‘n los!“ „Und dann gehst du mit mir zusammen los, ja. Oder mit Pa. Du wirst ein großer Held sein, mit einer gewaltigen Legende.“
Das Weib zwinkert dem Kind nochmals zu und deutet dann aus dem Lager hinaus. „Und jetzt komm, wir backen Brötchen und später kannst du deinen Pa ein bisschen fordern. Der zeigt dir das gern, wie man stark wird.“ Wölfisch grinsend schiebt sich die Norn aus dem Lager, wo der Junge schon fröhlich durch die Hütte flitzt und in der Speisekammer verschwindet. Ihr Blick geht nochmal auf den schlafenden Kerl, dem das wirre Haar aus dem Gesicht gestrichen wird und ein Kuss auf die Schläfe gesetzt. Danach schlägt sie hinkend den Weg zum Kochbereich ein, damit der Morgen mit dem Geruch von warmen Milchbrötchen beginnen kann.


„Maa~ … un‘ dein Fuß?“
„Der wird schon wieder, mein Großer. Der wird… was uns nicht tötet, macht uns stärker.“

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 12

  • Genau, JEDER muss Legende werden. xD


    Hat die Katze eigentlich normale Hauskatzengröße?

    • 'Natürlich' muss jeder Legende werden! Wo kämen wir hin, wenn nicht?! D:
      Hauskatzengröße... pff, das wäre ja lächerlich! Wir nehmen da lieber die Norsk Skogkatt oder auch Norwegische Waldkatze. Die kommen auf 7-9 kg und sehen damit nicht aus wie winzige Plüschtiere in den riesigen Pranken! :D

    • Die Nornwegische Katze!

    • I <3 Nornwegen.

  • Aww, so niedlich aber zeitgleich so liebevoll geschrieben! Ich hab diesen kurzen Einblick nach meiner Nachtschicht gern gelesen und kann mit einem Schmunzeln im Gesicht nun einschlafen. :)

    • Dann träume von vielen Norn die sich prügeln!
      Aber es freut mich, dass dir der Einblick gefallen hat. :)

  • Wunderschöne Momentaufnahme aus dem Nornschen Familienleben :) Beim letzten Satz mußte ich an meinen Opa denken. Der meinte auch immer "alles, was nicht unmittelbar tötet, härtet nur ab". Hach ja. <3

    • Bei mir war es immer "Stell dich nicht so an." ^^' Das erschien mir aber unpassend!

  • Bei deinen Texten hab ich immer Sehnsucht danach auch Norn zu spielen. Ganz, ganz wundervoll geschrieben <3