Willkommen in Orr


Willkommen in Orr


Funken spritzten und Knochen splitterten, als ihr Streitkolben auf den brennenden Schädel traf, welcher in hohem Bogen aus dem matschigen Spielfeld flog, durch die dichte Regenwand – und rauchend wie ein Meteor in den Schlamm krachte. Direkt neben die Leiche eines untoten, etliche Meter langen Riesen.
Roy rannte los, so gut es ging durch den tiefen Morast und der schweren Rüstung. Sie würde zwei, vielleicht drei Stationen erreichen, bevor Sy den Kopf in seinen Krallen hielt. Der Charr rannte in die nasse Dunkelheit hinaus, zum schwelenden Schädel. Eine Leuchtgranate aus einem Mörser erhellte das Feld. Sys Bein ging es wieder besser. Die anderen in seiner Mannschaft hoben die Flaschen und Krüge, gluckerten los.
Und da hatte er ihn.
Sie setzten die Trinkgefäße ab, Roy blieb an Station drei stehen. Der Orrianer war von der Markierung gerutscht, sie hievte ihn wieder drauf. Die Markierung war ein Klappstuhl in Norngröße.
Marni warf den nächsten Orrianerschädel direkt durch Tzups Flammenwerferstrahl hindurch. Brennend flog er auf Shlompuuboo zu. Ein Schlag mit dem flachen Perlenspeer, der Schädel änderte seine Flugbahn. Der Quaggan und Roy rannten von ihren Stationen los, Marni dem Schädel nach.
„Spielstopp!“, rief Tzup wie der Lehrer, der er vor dem Krieg gewesen war.
Ein Wummern in der Luft war nämlich zu hören. Kopter.
„Drei.“, behauptete Sy. Das glaubte man ihm, er hatte schließlich mal einen gesteuert, bis er damit abgeschossen wurde.
Das Dröhnen wurde lauter - bald schwebten die Maschinen über der Artilleriestellung, die aus nur noch einem Panzer und einem Mörser bestand, der ab und an eine Leuchtgranate zur Spielfeldbeleuchtung in den verregneten Himmel schoss. Mehrere Paktsoldaten kletterten die Strickleitern hinunter.
Die Blicke der Schädelspieler richteten sich auf die Fluggeräte, die direkt in der Flugbahn der Leuchtgranaten schwebten. Das Spielfeld wurde dunkel, als die letzte Leuchtgranate erlosch.
„Ich glaub' das war's erst mal mit dem Licht...“, befand Hugi. Das Grüppchen machte sich also auf, um sich die Neuen aus der Nähe anzusehen.
„Was treibt ihr hier eigentlich?“, fragte Gelehrter Farlif, der ihnen entgegenkam.
„Sport.“,, antwortete Hugi und lotste ihn wieder zurück.
„Kommt, wir sehen uns das Frischfleisch an.“, befand Tzup und feuerte mit dem Flammenwerfer in die Luft, um den Weg zu erhellen.


Wieder irgendwelche frischen Rekruten, wieder ein neuer idealistischer Anführer. Es waren schon so viele Neue hier verreckt, Roy machte sich nicht mehr die Mühe sich Namen zu merken. Das war nicht herzlos. Wenn die untoten Leiche eines Freundes auf einen zutakelte, war es schwerer ihn einfach abzuschlachten. Im Gegensatz zu irgendeinem gesichtslosen Rekruten. Vor wenigen Wochen tat es ihr noch weh, so viele junge Leben ausgelöscht zu sehen. Aber Schicht für Schicht hatte Orr ihr Mitgefühl abgeschält.
Für sie gab es inzwischen eine Art harten Kern. Tzup, natürlich. Die Nornbrüder, Hugi, Marni. Besonders Hugi mit seinem Schmunzelbart. Vielleicht auch Farlif. Spaxx jetzt weniger, mit seinem Genörgel. Shlompuboo sowieso, den kannte sie noch aus Kindheitstagen.
Dann waren da noch die Charr. An Sy hatte sie sich inzwischen auch gewöhnt, der frische Kriegsmeister Ermus Fleischreißer genoss natürlich auch ihren Respekt. Mit Cranguz wusste sie nichts mehr anzufangen, seit er nach der Flucht vor der untoten Horde seine Stimme - und wohl auch Teile von seinem Hirn - verloren hatte.


Aus den Koptern kletterten ein paar Sylvari, ein paar Menschen, eine knuffige Asura, alle in frischen Uniformen und Rüstungen, die jetzt nass wurden. Sie stellten sich stocksteif in zwei Reihen auf und salutierten zackig, als Roy da gerade mit dem Helm unterm Arm heranspazierte, flankiert von den Nornbrüdern. Mit der zerkratzen Rüstung, wehendem Waffenrock, mit all dem Schmutz, der frischen Tätowierung im Gesicht und der furchteinflößenden Eskorte musste Roy für die aussehen wie eine verdammte Heldin.
Sie sah den erstbesten an, ein Milchbub der durch sie durchschaute.
„Und ihr seid...?“, brummelte sie.
„Rekrut Mannsfeld, 4. Artilleriekompanie, Drittes Reservebatallattalion, Wachsame, meldet sich zum Dienst!! Wir sind die Verstärkung und sollen uns beim Lagerkommandanten melden!“, rief er aus.
So war das also. Schreien konnte sie auch.
„Das bin ich!! Kriegsmeisterin Jaroyesh Giffgy!! Willkommen in der Scheiße, ihr Lappen!!“
Sy öffnete den Mund, schloss ihn wieder, wischte sich mit leichtem Kopfschütteln übers Gesicht und lief auf einen der Kopter zu, um etwas mit dem Piloten zu beschreien. Marni tippte sich an die Stirn und verschwand ebenfalls, Tzup und Hugi sahen sich kurz an und grinsten blöde. Die Augen der Artilleriekompanie waren sowas von geradeaus! gerichtet, dass sie das nicht bemerkten.
Die Rekruten wussten nicht, was man jetzt sagen sollte, warteten auf Roy, die sprach.
„Eure Herzen gehören den Göttern, dem Mutterbaum, oder der Alchemie. Aber Eure Ärsche gehören den Wachsamen!!“
Schweigen.
„Habt ihr DAS VERSTANDEN!?“, brüllte sie heiser und grausam.
„SIRJAWOHLSIR!!“, brüllten sie in einem Chor, zuckten teilweise zusammen.
Sie grinste, winkte ab. „Rührt euch ihr Pisser.“
Die Rekruten schmunzelten erleichtert, entspannten sich.
Roys Kopf ruckte zurück und sie brüllte: „HAB' ich euch erlaubt zu lachen? Bin ich komisch? Findest du mich witzig, Mannsfeld??“
„Nein Sir!“
„Nein?? Bin ich langweilig?“
„...nein, Sir?“
„Ich hab dich nicht verstanden!! Wegen dem Regen und den Koptern!!“
„Ja Sir?!“
„Was, was?! Augen geradeaus, stillgestanden!“ Es war schön, Königin zu sein.
Der letzte der Neuen schritt die Strickleiter herab, zwei Soldaten halfen ihm bei der letzten Sprosse, einer davon hielt einen Regenschirm für ihn.
„Was geht hier vor?“, fragte er, ein Mensch, irritiert. Er starrte einen Moment perplex auf seine glänzenden Mithrilstiefel, die nun plötzlich mit Matsch besudelt waren.
„Sir, Kriegsmeisterin Giffgy hat uns gerade instruiert, Sir!“, rief der eifrige Mannsfeld.
„Hauptmann von Grewich!“, sprach der Mann schließlich stolz und salutierte der vermeintlichen Vorgesetzen. Sein Haar war länger als Roy es je getragen hatte, so glatt und perfekt, der Bart so unglaublich einheitlich gestutzt, die Rüstung auf Hochglanz poliert und ohne einen Kratzer. Ein Prinz war vom Himmel herabgestiegen um Orr im Alleingang zu retten.
Sie merkte, wie die Soldaten anders atmeten. Sie waren ihn noch nicht gewohnt, den Gestank von gammligem Untot und Morast, Latrine, von Fäulnis und Leiche, der sie hier stets begleitete. Gerade hier an der Fluchküste, so nahe vor Arah. Sie auch nicht, aber anders atmen half auch nicht viel. Da halfen nur Kippchen in den Nasenlöchern.
„Wie ist die Lage hier?“, fragte der Hauptmann Kriegsmeisterin Giffgy.
„Die Lage ist beschissen, Hauptmann! Der Riese liegt da seit Tagen rum und stinkt, wir können den nicht anzünden weil es ohne Ende wie aus Kübeln pisst, der Boden ist mehr flüssige Kacke als Erde, uns schwimmt die ganze Scheiße in die Zelte rein, die ganze Norn- und Charrscheiße, die Verwundeten liegen in nassen Hängematten, wir brauchen so viele Verbände dass wir uns nicht mehr die Ärsche abwischen können, die Zeltstangen suppen ein, von fünf Panzern fahren noch zwei, einem davon fehlt der Turm, aber Treibstoff haben wir für hundert! Dreiviertel unserer Munition ist nass, der Rest reicht grad' so für zwei orrianische Kleinfamilien! Wir haben einen Mörser, nur noch Leuchtmunition! Unsere Dolyaks hat ein Irrer alle abgeknallt, mussten wir essen! Vorräte: Madenreis ohne Hühnchen, Madenreis ohne Ananas und Madenreis ohne Dolyak. Schnaps alle. Fleisch alle. Eine Zwiebel haben wir noch, ich sag' aber nicht wo. Wasser ohne Ende.“
Etwas perplex nahm Von Grewich die Informationen auf, nickte dann einfach.
Schweigen.
Im Kommandozelt tat sich was.
„Reckin, lasst den Scheiß. Verarsch' die doch nicht.“, brummelte eine Charrstimme. Ermus war aus dem Offizierszelt getreten, nur bekleidet mit Lendenschurz und Erkennungsmarken, scheuchte er Roy mit einer Krallenbewegung zur Seite. Der blonde Pelz stand in alle Himmelsrichtungen.
„Nur Scheiße im Kopf die Frau.“, lachte er, die Neuen blickten weiter geradeaus, sie trauten sich aber nicht mehr zu lachen, während der Regen auf sie niederprasselte. Von Grewich brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen, sah zu Ermus, der sich schließlich vorstellte.
„Kriegsmeister Ermus Fleischreißer. Hab' hier das Sagen. Hauptmann Oelsund, Hauptmann Knochenspalter, Taktikerin Karlsdottir, Kriegsmeister Scharfzahn und Kriegsmeisterin Glynnes sind leider nicht mehr unter uns, aber ihre Soldaten haben mir ihr Vertrauen ausgesprochen. Und ja, Reckin Giffgy hat bis auf ihren Rang im Grunde die Wahrheit erzählt.“
„Was ist mit Taktiker von Lehmdorf? Ich sollte hier Taktiker von Lehmdorf treffen..?“
Die Veteranen sahen sich an, Kopfe wurden geschüttelt und Schultern gezuckt.
„Keine Ahnung. Weg. Nie hier angekommen.“
Von Grewich wirkte ernüchtert, nickte aber. „Das...so ist das also. Hauptmann von Grewich. Artilleriekompanie. Wir sollen Eure Kompanie entlasten und die Position festigen. Wir...haben Mörser, Munition und Nahrungsmittel.“
Begeistertes Aufjaulen.
Aus Ermus Zelt kam schließlich eine rotbraune Charr, die sich schweigend von hinten näherte, einmal über Ermus dreieinhalb Ohren strich und auf Katzenpfoten wieder irgendwo im Lager verschwand. Oder im Schatten.
Ermus blickte kurz verschmitzt nach hinten, räusperte sich.
„Na das hör'n wir gern. Es gibt auch ganz andere Lager hier, da sind alle untot. Wir haben es eigentlich ganz gut hingekriegt.“ Er sah über die Schulter zu Hugi, Tzup und Roy und Shlom. „Nicht wahr?“
Hugi gab einen Daumen hoch.
„Himmlisch.“, bestätigte Tzup.
„Paradies.“, pflichtete Roy bei.
„MoOooment mal, eine AblöÖöse? Das heisst wir...köÖönnen heim??“, warf Shlompuboo basslastig blubbernd ein.
Ermus winkte ab. „Nix da. Die Kopter sind für die Verwundeten. Hugi, stampf' mal hoch zu Xor und schau' wer transportfähig ist.“
„Aye aye.“, bestätigte der Norn mit dem schönen Bart und verschwand in Richtung Lazarett.
Ermus blickte durch die Reihen der nassen Artilleristen. „Also, nochmal von vorne. Ich will, dass ihr funktioniert. Jeder Idiot bedeutet mehr Tote, mehr Tote bedeuten mehr Feinde. Ihr seid Artilleristen. Ihr kennt euch mit Sprengstoff aus. Solltet ihr in eine aussichtlose Situation geraten – zieht den Stift eurer Granate, haltet sie an die Stirn und nehmt so viele von denen mit wie ihr könnt.“
Sie blickten geradeaus.
„Ausnahme: Sylvari werden nicht wiedererweckt. Spinatschädel kämpfen bis zum Tod.“
Die Kopter änderten ihre Position.
„Verstanden soweit?“
Das Ploppen eines Mörserschusses.
„SIR, JAWOHL, SIR!!!“
„Ach haltet die Fresse. Ich bin Ermus.“
Die Gefechtsfeldbeleuchtung ging wieder an, färbte die nächtliche Ebene in rötliches Flackern. Zelte, Panzer, Soldaten, Scheiterhaufen, die nicht brannten. Wunderschöne, gigantische aber vollkommen nutzlose Ringstrukturen. Und dieser verdammte Riese.
Außerdem näherte sich eine Gestalt in der Ferne, schlurfte wie eingekackt heran, die Arme leicht von sich gestreckt, braun vom Schlamm.
Sogleich griffen die neuen Soldaten nach den Waffen, sahen hilfesuchend zu Grewich, der sah wiederum hilfesuchend zu Ermus. Ermus hob beschwichtigend die Tatzen. „Nicht schießen. Das ist einer unserer Späher.“
Das war dieser Canthaner, den sie am Grill getroffen hatte.


Unter den Anweisungen von Doktor Xorquatl trugen einige Soldaten derweil sieben Verletzte auf Bahren zu den Koptern, wo sie an Haken gehängt und hochgezogen wurden.
Eine einarmige Charr lachte kehlig „Viel Spaß noch ihr Mäuschen!“, ehe sie hustete und würgte. Spaxx war nicht dabei, der alte Pechvogel.
Manche auf den Bahren hatten nur blutige, verbundene Stümpfe anstatt Beinen oder Armen. Sie waren mit Gürteln und Ketten fixiert. Falls sie starben und als frische Untote aufwachten, hätte man sie unter Kontrolle.
Ein Mann brauchte keine Bahre, nicht mal eine Krücke. Er hatte keine Verletzung. Xorqatl navigierte ihn zu einer Leiter, die er eigenständig hochkletterte. Er starrte stumpf vor sich hin.
„Was ist seine Verletzung? Was stimmt nicht mit ihm?“ , fragte Von Grewich.
Keiner beantwortete die Frage.
„Cranguz auch?“, fragte Xorqatl stattdessen.
„Nein, lasst den hier.“, verneinte Ermus.
Cranguz half beim Tragen einer Bahre. Der dicke, alte Charr tat was man ihm sagte und konnte kämpfen, immerhin.
Als die Verwundeten in die Kopter eingeladen waren, erreichte sie der durchnässte Späher bibbernd.
Er sah aus wie ein canthanischer Schlammgolem, wenn es denn sowas gab. Fette Maden krochen auf ihm herum, Matsch und Würmer füllten seine Gürteltaschen, da er scheinbar durch das Leichenfeld im Osten zurückgekrochen war. Aber er war kein Untoter. Er sah mit glasigen Augen durch den neuen Hauptmann hindurch, als dieser irgendetwas fragte, ehe er den Kopf nach vorne warf und ihm vor die Füße kotzte. Roy reichte ihm ihre Feldflasche, hob die Hand, um ihm auf die Schulter zu klopfen, unterließ es dann aber wegen all des kriechenden Schmutzes.
„Macht ihn sauber, dann soll er Bericht erstatten.“, sprach Ermus schließlich. „Packt all die schönen Spielsachen aus dem Koptern ins Zelt von Trupp Blutregen.“
Der Charr im Lendenschurz machte sich auf den Weg in sein Zelt.
„Wenn nur ein Gramm Munition nass wird reiß ich euch die Eier ab...“, murmelte er. Bevor er durch die Plane trat, blickte er ein letztes mal zurück zu den Rekruten um Hauptmann von Grewich. „Willkommen in Orr.“
Rekrut Mannsfeld übergab sich aus vollem Hals.

Kommentare 10

  • Ich hab mich beim Lachen verschluckt! D:
    Sehr geil. Weitermachen!!

  • Himmlisch!
    Paradies!
    *kotz*
    Haha... meine Güte. Besser als n Film.

  • einfach nur großartig

  • Ich feiere es so hart.. Full Metal Jacket, Bad Company, Apocalypse Now, andere Kriegsfilme deren Namen hier aufzuzählen wohl den Rahmen sprengen würde.. Großartig :D

    • <3 Freut mich, wobei manches auch von non-fiktionalen Tatsachenberichten inspiriert ist. Manches.

    • Ich musste beim ersten Teil mit den Rekruten und "Kriegsmeisterin" Jaroyesh Giffgy an Gunnery Sergeant Hartman denken :D aber total ^^