Der Schreibtisch (II)


"Wie....gefiel er dir?"


Adam befiel mit Übermacht das Bedürfnis, sich noch tiefer in den Sessel zu graben. Aber er tat es nicht, im Gegenteil: Der Baronet setzte sich auf, legte die Unterarme auf den Tisch und die Fingerspitzen locker, aber akkurat aneinander. Wie das gerade wirkte, war ihm klar. Er mochte ein direkter Mensch sein, geradeheraus und praktisch veranlagt - aber Adam Beaufort war auch wieder nicht so simpel gestrickt, die Kniffe und Akzente seiner Stellung nicht ab und an einzusetzen. Zu schade war er sich dafür auch nicht.

Wie gefiel er dir?

Eine solche Frage, so hatte Adam gelernt, brachte stets gewichtige Ereignisse mit sich. Sie konnte beste Neuigkeiten oder nichts Gutes zugleich verheißen. Er hatte sie bereits aus den Mündern mehrerer seiner Geschwister gehört, immer dann, wenn sie um Rat oder Erlaubnis bezüglich ihrer Partnerwahl zu ihm gekommen waren. Er mochte diese Gespräche, nicht, weil sie bedeuteten, dass seine Verwandten ihn als Familienoberhaupt anerkannten, sondern auch, weil es ihm selbst zeigte, dass sie seine Meinung schätzten. Gerade seine, wo er doch wahrlich kein leuchtendes Beispiel in Liebesdingen war, bedachte man seine Jugendjahre oder die Geschichte, wie er sich selbst eine Ehefrau eingefangen hatte.
Aber die Beauforts kamen trotzdem mit ihren Liebesdingen zu ihm und allesamt hatten sie im Zuge dieser Gespräche an irgendeinem Punkt genau diese Frage gestellt: Wie gefiel er dir? Was hältst du von ihr? Sogar im Tonfall waren sie alle ähnlich gewesen: Hoffnungsvoll, aber zaghaft.

Keine und keiner von ihnen hatte bisher für diese Zaghaftigkeit so viel Grund gehabt wie Alexander.
Adam musterte seinen kleinen Bruder eine Weile schweigend und während das Familienoberhaupt sich in Gedanken verlor, hatte der junge Arzt Zeit, sich ins Gedächtnis zu rufen, weshalb er diesen Raum so ungern aufsuchte. Hier, vor diesem Schreibtisch, umgeben von Familientradition in Form von Mobiliar und Büchern, war Alexander wieder vierzehn Jahre alt. In sehr schlimmen Fällen sogar erst Zehn.
Jetzt gerade fühlte Doktor Beaufort sich wie wie Sieben und bereitete sich darauf vor, eine ernste Rede des Vaters darüber zu hören, dass man seiner Schwester keinen Schneckenschleim in die Haare schmierte. Oder ihr Kröten ins Bett setzte. Tote Fische im Kleiderschrank waren ebenfalls nicht gern gesehen und er argwöhnte, dass bereits getragene und in den Mund gestopfte Socken es auch auf die Liste schaffen würden. Äußerlich hielt sich der Akademiker aufrecht, blieb ernst. Innerlich reckte er trotzig das damals noch bartlose Kinn in die Höhe.

Alexanders Geduld ließ Adam in Ruhe in seine Gedankenrunden drehen. Der Baronet brauchte manchmal ein bisschen länger. Es war nicht so, dass Adam dumm war. Aber passend zu seiner bärigen, mitunter unterschätzbar behäbigen Gestalt ließ er sich gerne Zeit mit Dingen, die Intellekt erforderten. Irgendwann kam er immer zum Ziel.

So wie jetzt offenbar. Er atmete durch, nahm die Hände wieder auseinander, um sich mit einer durchs Haar zu fahren, den Kopf dabei vorwärts und zur Seite neigend. Also gut, Alexander meinte das offenbar ernst. Nicht nur die Frage, auch die ganze Sache mit diesem Söldner.

Die eigentliche Frage war also eher, was es überhaupt schon zum Ernstnehmen gab.
"Ein kluger Mann. Ziemlich fester, moralischer Kompass, wenn ich mich nicht sehr täusche." gab Adam schließlich seine Einschätzung ab. "Oder du." Nur in diesen beiden Worten lag letztlich eine Art Autorität, alleine durch die unverhohlene Sorge, die mitklang.

"Adam...", begann Alexander und verstummte ja doch wieder. Es fiel den Beaufort-Brüdern wahrlich nicht schwer, miteinander über Frauen zu sprechen. Sängerinnen oder Tänzerinnen miteinander zu vergleichen oder die Debütantinnen-Vorschläge ihrer Mutter zu verwerfen. Es waren lockere Gespräche zwischen Brand und Zigarrenrauch, in denen viel und männlich herb gelacht wurde. Dieses Gespräch hier aber hatte eine völlig andere Qualität und vom Lachen waren sie beide gerade weit entfernt.

"Du musst dir keine Sorgen machen.", war daher alles, was der Doktor hervor brachte.
Und dennoch brachte Alexander seinen großen Bruder damit absurderweise zum Lachen. Es war allerdings kein Lachen der guten Sorte, keines der volltönenden und nur in Gesellschaft gedrosselten Donnerlachen, die der große, junge Adam früher so freigiebig verteilte. Auch keines von den Gezähmteren, die dem Baronet in den letzten Jahren zu Eigen wurden, Jahre in denen Pflicht und Verantwortung das Donnern dämpften. Nein, es war ein kurzes Herausstoßen einer etwas unschlüssigen Erheiterung, bitter im Nachgang. "Alex..." sagte der Baronet. "...wie ich es drehe und wende, an dieser Sache macht mir alles Sorgen." Begann Alexander eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann, hieße das ruppige Gewässer für die Familie, die Adam sicher durch jede See zu schiffen sich geschworen hatte. Wurde er zurückgewiesen, so hieße es einen unglücklicher Alexander. Beides hielt Adam für nicht erstrebenswert.
"Und trotzdem stellst du ihn ein?" Alexander hatte schon gesehen, wie der Baronet mit Menschen verfuhr, die er für eine Gefahr für einen seiner Lieben oder gleich die ganze Familie hielt. Keiner von diesen befand sich nun in Lohn und Brot bei den Beauforts.

"Du musst dir zumindest keine Sorgen um einen möglichen Skandal machen, Adam. Ich werde nicht noch einen auslösen."

"Achja. Das heißt also, die Sache war nur ein Hirngespinst, du konzentrierst dich auf deine Praxis und in ein, zwei Jahren vielleicht wieder auf eine eventuelle Ehefrau, ja?" Adam konnte nicht anders, als den Worten einen ironischen Unterboden zu bauen, während er Alexander unumwunden herausfordernd ansah.
Wenn jemand wusste, welche Knöpfe es zu drücken galt, um den Doktor aus der Haut fahren zu lassen, dann war es seine Familie. Gerade aber hielt er noch ruhig und ernsthaft stand. Zu wichtig war Alexander das Thema, vielleicht auch die Person, um die es sich drehte. "Ich bin nicht so masochistisch veranlagt, einer einseitigen Sache für immer nachzutrauern. Er ist ein Freund. Ein sehr guter Freund. Und damit kann ich mich zufrieden geben."
Sein Gegenüber rieb sich die Stirn und sackte in den großen Ledersessel zurück. Es war vielleicht das einzige Möbelstück, das Adams bärige Statur verschlucken konnte, wenn dieser - so wie jetzt - ein wenig im Leder hinabrutsche und die Schultern einzog.

Er war erleichtert. Adam Beaufort, Baronet von Hainwacht war zutiefst erleichtert - und ebenso zutiefst darüber beschämt. Ein Teil von ihm wollte eine Flasche Prickelwein aufreißen und mit sich selbst feiern, dass dieser spezielle Kelch von Skandal an seinem Haus vorübergegangen war. Der andere Teil aber wollte Curtis satteln, ohne Unterbrechung nach Götterfels jagen und Mister Ghabriel Reaves den Kieferknochen neu einrichten. Nicht orthopädisch, sondern schmerzhaft. Was fiel dem Kerl eigentlich ein, einen Beaufort, Alexander zu verschmähen?!

Der Mann rieb sich über die Stirn, froh darüber, dass seine Geschwister nicht einmal annähernd wussten, was die halbe Zeit in Wahrheit in ihrem großen Bruder, Beschützer und Anführer, vorging. Wie unsicher er sich Tag für Tag in diesen Pflichten fühlte. Und wie überrascht, sie dennoch halbwegs zu meistern. Jetzt gerade war Adam aber wenig stolz auf sich. Er schwieg und dann sagte er auf eine stille, zurückgenommene Weise das, was ihm gerade näher am Herzen lag.
"Das tut mir leid, Alex."
Doch der jüngere Bruder lächelte völlig ohne Wehmut. "Das muss es nicht. Ich bin wirklich zufrieden, Adam. Ich habe mir niemals Illusionen gemacht."
Es versetzte Adam einen Stich, mitten in die Brust. Alexander hatte sich keine Illusionen gemacht - und auch dafür fühlte sich der Baronet, nein, der Bruder verantwortlich.
Verantwortung.
Wie er dieses Wort hin und wieder hasste. Ja, er liebte seine Familie über alles und würde für jeden einzelnen von ihnen durch Hölle und Verdammnis gehen. Aber manchmal musste er ihnen genau dieser Verantwortung wegen weh tun, ihnen Illusionen nehmen. Träume, Hoffnungen. Nicht selten fragte Adam sich, ob es das alles wert war.

Das dringende Bedürfnis nach Brandyschärfe ließ den Mann aus dem Sessel schießen und den Raum durchmessen, um sich etwas einzuschenken. Alexander hatte sich nicht erhoben, war seinem Bruder aber mit den Blicken gefolgt, in denen sich nun Sorge abzeichnete. Vertauschte Rollen, ohne dass er je die Verantwortung des Älteren zu tragen hatte. Trotzdem fühlte auch er sich verantwortlich für seine Familie. Und zu einem Teil schuldig an deren Sorgen.

"Lass uns ausreiten, Adam. Ich war lange nicht mehr jagen." sagte Alexander plötzlich in das breite Kreuz des Bruders.

Ich kann nicht.

Das hätte die Antwort sein sollen. Arbeit lag auf dem Tisch. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass eines seiner Geschwister das von Adam zu hören bekam. Als Erstgeborener und Haupterbe, als zukünftiges Familienoberhaupt wurde er früh schon mehr an die Kandare genommen als die anderen. Natürlich, keines der Beauford-Kinder wurde je zu Pflichtvergessenheit und Müßiggang erzogen, doch von Adam wurde in Punkto Fleiß und Verlässlichkeit immer jenes Jota mehr erwartet, das ein zukünftiger Baron eben an den Tag legen musste.
Adam kippt den Schluck Brandy und stellte lautstark das Glas ab. "Ja. Das ist eine gute Idee."
Als er sich umdrehte, lächelte er seinem kleinen Bruder zu.

Kommentare 18

  • Sehr schön fortgeführt. Ziemlich gute Balance aus Innerem & Äußerem.
    Außerdem ist mir manch ein Adjektiv _positiv_ aufgefallen!

    • ...je länger man schreibt, desto weniger Adjektive verwendet man, kann das sein? :D


      Danke. :) Es war eine schwere Geburt diesmal.

    • Ja. Das ist ziemlich genau so. Und man lernt auch, dass das richtige Adjektiv an der richtigen Stelle mehr Eindruck hinterlässt, deutlich mehr, als einfach nur eine Menge davon.
      "Der Baronet setzte sich auf, legte die Unterarme auf den Tisch und die Fingerspitzen locker, aber akkurat aneinander", fand ich z.B. sehr schön. Simpel, aber sehr schön. Und eigentlich "nur", weil die ersten beiden, der drei Teile ohne Adjektive auskommen.
      Eine Sache, die man auch lernt, ist es Adjektive in "leicht" & "schwer" zu unterteilen. Zumindest nenne ich sie so. Leichte kann man durchaus mal aneinander reihen, ohne, dass es sich gleich wie Fanfiction liest. Schwere... naja, sagen wir einfach, sie haben Gewicht. XD


      Jedenfalls finde ich es toll, dass du dich durch die Geburt gequält hast & das Ergebnis mehr als respektabel. Ich bilde mir auch ein zu merken, dass du wieder rein findest, ins Schreiben. Es liest sich in Teilen runder.

    • Danke, das spornt mich sehr an. :) Das mit den leichten und schweren Adjektiven musst du mir beizeiten bitte mal erklären.

    • Das mach ich gerne. Eine andere, vielleicht sogar passendere Bezeichnung wäre "starke" & "schwache" Adjektive. Das ist glaube ich verständlicher. Aber da quatschen wir bei Zeiten mal drüber. =)

  • Interessanter Einblick. Erlaubt noch mal einen anderen Winkel von Adam wahrzunehmen. Manches aus dem ersten Teil hast du dabei gefestigt, anderes erweitert, mich manchmal auch überrascht, aber eben auf eine positive Weise, weil du die Vielfältigkeit dieses für mich noch praktisch unbekannten Charakters bereits herauszuarbeiten in der Lage warst.
    Schönes Kapitel.

    • Vielen Dank. :)

    • Die Übergänge / Wechsel kommen auch nicht mehr so stark raus.

    • Ich habe gefühlt diesmal mehr überarbeitet als bei Teil 1. Entweder das, oder Anna und ich haben uns im Verlauf des Plays einfach mehr aufeinander eingespielt. Vielleicht scheue ich mich auch einfach weniger davor, Adam aufzudröseln, weil er mir mittlerweile mehr von sich verraten hat. Schwer zu sagen.

    • Man wächst ja eh an und mit seinen Charakteren. Vermutlich noch mehr, wenn man den Charakter von jemand anderem übernommen hat. Aber ich finde ihn sehr lebendig.

    • Langsam trau ich mich auch mit ihm ins RP. :D

  • Lass uns Wildschweine jagen gehen!