Zaghaft gelupfte Schleier

Das Lichtspiel der einsamen Kerzenflamme hatte etwas verspieltes, etwas anmutiges.
Etwas, das den Blick aus dunklen Augen länger lockte und dazu führte, dass man das eigentliche Braun darin erkannte. So dunkel, dass es im ernüchternden Alltag stets zu kaum mehr, als 'dunkel' gereichte, musste man es beschreiben.
Tatsächlich war es aber warm.
Lezas Augen trugen ein warmes, dunkles Braun.
Eines, das an alte Eichen erinnerte, die im Sommer zur Rast einluden mit den weiten Schatten die sie warfen, oder an die man sich mit dem Rücken lehnte, wenn man eine Pause brauchte.
Es erinnerte sie gleichsam an das Braun vom Fell des Nachbarhundes. Gewiss nicht das klügste Tier das sie kannte, aber wenn man ihn rief und die kurzen Haare im Sonnenlicht einige Nuancen erhellt wurden und schimmerten, freute man sich.
Nicht, weil der Hund ein so wunderschönes Fell hatte, sondern weil er so loyal war, stets zurück zu eilen, wenn man ihn rief.
Man erfreute sich an seiner Loyalität und darin lag die Essenz.


Nur ganz langsam trat sie an einen der Spiegel näher heran, die die Mitte des Raumes dominierten und ein Rund bildeten, aus dem es für den Blick kein entkommen gab. In ihrem Rücken, auf einem schmalen Tischlein, stand der einarmige Kerzenhalter, der unter normalen Umständen kaum genug Licht spenden konnte, bekräftigt von den dutzend Spiegeln jedoch, seine ganz eigene Lichterwelt zu schaffen im Stande war.


Ein Narzistentraum, für wahr, doch Leza war keine Narzistin, noch strebte sie derlei an, auch wenn sie an diesem Abend durchaus als solche wirken musste in dem dünnen Kleidchen am Leibchen.
Ein dunkles, sattes Grün schmückte den dürren Leib, der nennenswerten, fraulichen Kurven entbehrte und doch etwas Weiblichkeit betonte.
Sie lächelte sogar, als die Fingerspitzen vorsichtig nach dem weiten Rock heischten und ihn etwas anhoben, kurz bevor sie einen tänzelnden Schritt zur Seite wagte und die Hüfte etwas mit drehte, um Schwung in die Bewegung zu kriegen und den Stoff aufwallen zu lassen.
Als der braune Blick ihr Ebenbild im nächsten Spiegel betrachtete, erkannte sie ein seltenes Gut darin, dass die wenigsten ihr zutrauten:
Unschuldige, fragile Freude.


Es war nicht jene, die sich am Anblick labte, oder dem Wissen. Sie kannte keinen Hochmut, noch die Gier.
Die Freude war die des Kindes, dass sie so lange nicht mehr war und doch so präsent im Wesen lag, wie ihr Glaube- nur weniger offensichtlich.


Dem Takt der Kerzenflammen folgend, reckte sie sich auf die Zehenspitzen und näherte sich ihrem Spiegelbild etwas vorgebeugt, bis ihre Nasenspitze fast die glatte Oberfläche berührte. Dunkle Locken fielen ihr weich über die schmalen Schultern und wussten den Makel auf der Haut für einen Moment gut zu verbergen vor ihrem Blick, der die eigenen Augen suchte und darin versank.


"Was willst du, altes Mädchen, mh? Was willst du?"
Die Stimme klang leise, blass- und brach mit dem Zauber des Momentes.
Leza stellte sich wieder auf und wandte sich dem Tisch zu, um den unscheinbaren Ring vom Holz zu pflücken und ihn zu betrachten.
Er war alt, nicht von hohem, materiellen Wert, oder herausragender Qualität.
Der Ring war kein Meisterwerk, oder würde es jemals sein und dennoch bedachte sie ihn mit einer behutsamen Zärtlichkeit in den Gesten, als fürchte sie seinen Bruch und Verlust.
Zwar hatte sich die kurze Unbeschwertheit, die Leichtigkeit wieder aus ihren Bewegungen gelöst, doch das kleine Lächeln auf den Lippen und der warme Ausdruck im Blick blieben, als sie das alte Silber vorsichtig auf den linken Ringfinger schob und das erwachende, vertraute Gefühl genoss.
Die Erinnerung daran war fast verblasst, doch nun frischte sie wieder auf und bestärkte die Zärtlichkeit im Blick, die sie die Hand an die Brust ziehen ließ.


Ein weiteres mal betrachtete sie ihr Spiegelbild und schaffte es nicht mehr, den Schleier so undurchsichtig vor dem eigenen Blick zu halten.


Sie sah sich.


Sie sah, was sie vermisste.


Und das leise Kind in ihr rappelte sich auf, rieb die wunden Knie vom schmerzhaften Fall und war bereit, den nächsten Schritt zu wagen und sich endlich seinen eigenen Monstern zu stellen, die es so lange, so stumm gehalten hatten...~

Kommentare 4

  • Schön geschrieben, sehr einfühlsam auf seine Art. Auf eine intime, aber nicht bloß stellende Weise gibst du hier einen sehr stimmigen, sehr tiefen Einblick in den Charakter, der in diesem Moment ganz Leza selbst gehört. Solche Szenen mag ich. Außerdem hast du eine sehr punktgenaue, schnörkellose Art, zu formulieren, während du dir gleichzeitig ganz bewusst immer wieder zu erlauben scheinst, von dieser grundsätzlichen Linie auszubrechen. Das führt zu einer angenehmen Mischung, die sich flüssig und gut lesen lässt. Hat mir gefallen.

  • Leza. Leza. Leza. Deine beste Freundin verlang, zu wissen was los ist! Sie steckt sonst ihre große Nase rein!

  • Nein nein, kein bisschen narzisstisch. :0


    Aber niemand ist wohl so glücklich wie der Nachbarhund<3