Spiegel


Zwischen Traum und Vergangenheit gefangen.
Erinnerungen, die nicht verblassen.
Ihr weißes Gesicht, diese dunklen braunen Augen.
Ich sehe sie vor mir, dann wieder verschwommen, hinter den Spiegeln meiner selbst.
Wir waren eine Droge, das Verderben, die Glückseligkeit. Doch er hat dich mir entrissen.
Ich schließe die Augen. Über mir tanzen die Schatten. Doch nichts vermag dich abzudunkeln.
Zweifel überdauern. An allem, an jedem. An mir selbst.


Kristian schlägt die Lider auf und sein Bernstein findet sich wieder hinter dem großen Spiegel im Flur nahe seines Gemaches auf Gut Dörnbeck. Die Stirn liegt in Falten, das kantige schmale Gesicht mit den hohlen Wangen in Schatten. Die Haare trägt er mittlerweile länger, die Locken zeichnen sich nur noch durch leichte Wellen in seinem goldbraunen Haar, das er nun mit seiner Linken durchkämmt.


„Wer ist da?“ ertönt eine Stimme hinter einer Kommode im dunklen Flur und mit ihr erreicht das Licht einer Kerze den Mann am Spiegel. „Kristian? Was machst du hier? Es ist mitten in der Nacht.“ Die alte Dörnbeck hat ihn aufgespürt. Dabei war er doch ganz leise gewesen um niemanden zu wecken. Nur langsam drückt er sich von der Wand ab, den Blick allerdings noch tief im Spiegel versunken. „Ich…“


Stille.


Die Alte lächelt, tritt langsamen Schrittes in ihrem langen Schlafrock aus Samt auf ihn zu, den Kerzenhalter etwa auf Brusthöhe mit sich führend. Das Licht gerät in Bewegung. Es tanzt und mit ihm die Schatten an den Wänden und den Gesichtern, die sich dadurch zu Fratzen formen.


„Ich verstehe, wie du dich fühlst.“ Flüstert sie leise und greift mit ihrer freien Hand nach Kristian´s Gesicht, um es mit Zeigefinger- und Mittelfingerspitze in ihre Richtung zu lenken. Doch diesmal stößt sie auf Widerstand. Er lässt nicht vom Spiegel ab, gräbt sich stattdessen noch tiefer in sein gegenüberliegenden Angesicht. „IHR VERSTEHT GAR NICHTS!“ zischt er.


„Ruhig! Du weckst die anderen.“ Mahnt sie und versucht ihn durch den Spiegel mit ihrem Blick zu erreichen. „Wenn du mich fragst, dann muss ich dir ganz ehrlich sagen, dass ich über die Auskunft des Arztes sehr erfreut bin. Noch ein verzogenes und verlogenes Miststück in unserer Familie wäre…“


„Ich habe Euch nicht nach Eurer Meinung gefragt, Tante.“ Meldet sich der Graf dazwischen und endlich legt sich seine Aufmerksamkeit auf den langen dunklen Flur in Richtung der Gästezimmer.


„Doch das hast du. „ widerspricht sie und stellt sich ihm erneut gegenüber. „Deswegen bist du hier. Mit diesem Mädchen…“ Die Tante hat keine hohe Meinung von der Komtess, das hatte man bereits bei ihrem ersten Aufeinandertreffen deutlich gemerkt. „Ich weiß wirklich nicht, was dich zu solch geistlosen Handeln getrieben hat.“
Kristian seufz auf. Immerhin konnte er in diesem Punkt nicht widersprechen. Vor allem wusste er genau was oder besser gesagt WER ihn in diese Ecke gedrängt hatte. Diese Erkenntnis lässt ihn erneut den Kopf senken.


„Keine Sorge, Kristian.“ Spricht Adelaine ihm gut zu und hakt sich gleichzeitig bei ihm unter, um ihn mit sich zu zerren. Ein letzter Blick trifft auf den Wandspiegel. Ein kalter. Ein leerer…


Was ist das? Dieses Gefühl zwischen Sinn und Sünde?
Ich fühle Nichts. Ich schwebe.
Ist es verwerflich sein eigenes Wohl über das der anderen zu stellen und gleichzeitig selbst von fremder Hand geführt zu werden? Abschaum!
Lügner!
Hatte sie Recht? Sein Licht in der Dunkelheit?
Hatten sie alle Recht?
Nein.
Eine geglückte Verzweiflung, die mich noch weiter von ihr entfernen wird. Ich will sie nie wieder sehen!

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