Wie ich einmal für einen Streich wiederauferstanden bin

Tot zu sein war wirklich schrecklich! Es war dunkel in meinem Sarg und ich langweilte mich maßlos. Fiel es mir sonst schon nicht leicht, leise zu sein, um einer Entdeckung zu entgehen, so war still und leise sein zu müssen die pure Qual. Doch ich war nun einmal tot und tote Sylvari rappelten nicht in ihrer Kiste. Daran würde ich mich wohl oder übel halten müssen.


Fast zwei Wochen lag ich nun in meinem hölzernen Gefängnis. Die ersten drei Tage waren vergleichsweise spannend gewesen. Zu dieser Zeit hatte der Deckel noch gelegentlich offen gestanden, Doktor Iorga ab und an mit mir gesprochen und mich potenziellen Käufern vorgestellt, bis sie den richtigen gefunden hatte. Nicht immer fiel es ihr ganz leicht zu erklären, warum die meine linke Gesichtshälfte verdeckende Schädelmaske nicht entfernt werden sollte. Keiner der von ihr vorgetragenen Gründe kam der Wahrheit auch nur nahe, aber sie bewies auf jeden Fall Professionalität, Vertrauenswürdigkeit und am allerwichtigsten: Kreativität! Langsam wurde sie mir richtig sympathisch.


Am Ende des dritten Tages hatte sie einen vielversprechenden Kandidaten ausgemacht. Da er der einzige Leichenhändler war, der einen realistischen Preis für eine tote Sylvari beziffern konnte und Andeutungen fallen ließ, dass ich nicht die erste, zerpflückte Blume sei, die er noch verkauft bekommen hatte, entschied Doktor Iorga, mich ihm zu verkaufen. Sie schärfte ihm ein, nicht unter die Maske zu sehen, weil sie dort experimentiert habe und ihn das nichts anginge. Obwohl er das nutzte, um den Preis zu drücken, staunte ich nicht schlecht, als ich meinen Wert zu hören bekam. Würde ich mich noch etwas öfter verkaufen, wäre ich bald reich!


Dann ging es auf den Wagen, womit die Zeit der Langeweile begann. Am Quietschen der Räder konnte ich die Linkskurven erkennen, doch nicht viel mehr. Manchmal ging es aufwärts, manchmal abwärts, mal war die Straße rau, mal eben, mal gerade und mal kurvenreich. Ich hatte keine Ahnung, durch welches Land wir fuhren, sah nichts von der zweifellos atemberaubenden Landschaft und traf keine neuen Leute. Stattdessen lag ich in einer hundertundsechzig Zentimeter langen, fünfundfünfzig Zentimeter breiten und fünfundsechzig Zentimeter hohen Kiste, die mir kaum genug Raum ließ, mich an der Nase zu kratzen und langweilte mich.


In meinem Kopf malte ich mir aus, wie es wohl wäre, den Hintermann des Händlers vor den anderen beiden gefunden zu haben. Ich könnte ihm all seine Geheimnisse entlocken und ihn dann fortjagen, um seinen Platz einzunehmen. Dann würden auch meine Gefährten erkennen, wie sehr sie mich doch brauchten. Oder ich nutzte meinen Vorsprung, suchte und fand die vermisste Leiche und führte sie zu Fengys, anstatt die Krähenzunge zu ihr zu bringen. Vielleicht könnte ich mich auch nachts aus meinem Sarg schleichen und ihm den Belag für seine Frühstücksbrote stehlen. Das hälfe mir zwar nicht sonderlich weiter, aber es wäre immerhin unheimlich komisch.


Doch selbst mit meinen ausschweifenden Phantasien konnte ich die Zeit nicht überbrücken. Zusätzlich rissen mich die schlecht gesummten Lieder und die regelmäßigen Selbstgespräche des Wagenfahrers immer wieder aus meinen Gedanken. Am liebsten hätte ich ihm geantwortet, doch dann wäre unser ganzer, schöner Plan, ihr Hauptquartier auszuforschen, gescheitert. Und so blieb ich stumm und dichtete seine Liedtexte für mich um.


Tot zu sein ist gar nicht komisch - lalalalaLA-lalah-lah-lah!
Das weiß sogar Thorn der König - lalalalaLA-lalah-lah-lah!


Da weder Mond-, noch Sonnenlicht mich in dem Sarg finden konnte, musste ich regelmäßig Trinkschläuche und kleine Säckchen mit haltbaren Nahrungsmitteln hinauf befördern. Mal bekam ich Brot und Trockenfleisch, dann Brot und Käse und einmal sogar Brot und Trockenfrüchte. Langsam konnte ich mir vorstellen, wie sich der blutige Prinz gefühlt haben musste, aber der hatte ja wenigstens Candy-Corn bekommen.


Vor lauter Langeweile vollführte ich sogar ungewohnt pflichtbewusst die von Doktor Iorga verordneten Übungen, streckte meinen Rücken und wackelte mit meinen Zehen. Ich hatte ja sonst nichts zu tun. Die Heilung schritt über die Dauer meiner Beinahe-Unbeweglichkeit während der wochenlangen Sargfahrt gut voran. An ihrem Ende würde ich wieder mit Pheynea tollen und spielen können, wie es mir beliebte. Aber euch interessiert natürlich, wie es kommt, dass ich wieder mit meinen Zehen wackeln kann, nicht wahr? Gut, lasst mich erzählen:


Sobald ich mich auf ihrem Tisch beruhigt hatte, begann die gute Frau Doktor mit größter Vorsicht ihre Operation. Sie war von der sylvarischen Anatomie höchst fasziniert, gab aber ganz offen zu, nicht genug davon zu verstehen, um mich wirksam zu heilen. Also beschränkte sie sich darauf, die Bruchstelle zu reinigen und meinen Körper zu stabilisieren, dass meine Selbstheilungskräfte den Rest erledigen konnten. Es fühlte sich äußerst komisch an, wie sie Stücke aus meinem Rücken zog, brach und sägte, mein Blattwerk wickelte, band und zusammennähte und mich so wieder in einer aufrechten, gesunden Position fixierte. Meine Beine spüren konnte ich zu dem Zeitpunkt aber noch immer nicht.


Kaum verlangte ihre Arbeit nicht mehr ihre vollständige Konzentration, begann sie mich über die Umstände meines Unfalls auszufragen. Kaum bestimmten die Schmerzen ihrer Arbeit nicht mehr meine Welt, begann ich ihr zu antworten. Gemeinsam entschieden wir, der verschwundenen Sylvari-Leiche auf eigene Faust nachzuspüren, um meinen Gefährten zuvor zu kommen und Pheynea vor dem Menschen zu beschützen - vielleicht auch andersherum. Da ich die nächsten Wochen ohnehin nicht laufen durfte, entschied Doktor Iorga kurzerhand, ich müsse die Kutsche zum Versteck des Händlers nehmen. Ich stimmte ihr zu und sie verkaufte mich.


Zur Mittagszeit des zehnten Tages hatten wir den Umschlagplatz erreicht und mein Sarg wurde an eine Wand gelehnt. Kaum waren der Lieferant und der Zwischenhändler zur Abwicklung der Finanzen von der Ware fort getreten, versuchte ich meine Kiste zu verlassen und scheiterte. Sie hatten einen weiteren Sarg direkt vor meinen gestellt. Ich war gefangen. Toll!


So verbrachte ich dann die nächsten zwei Tage halb stehend, halb liegend. Noch immer erreichte mich kein Sonnenstrahl und langsam gingen auch meine Wasser- und Nahrungsvorräte zur Neige. Und noch immer gab es nichts für mich zu tun. Immerhin konnte ich jetzt Selbstgespräche führen, wenn ich sicher war, dass niemand bei den Särgen wartete.


Am dreizehnten Tag ging mir das Essen aus. Ab da war ich also nicht bloß gelangweilt, sondern obendrein auch noch hungrig, was meine Laune auf ein Allzeit-Tief sinken ließ. Verglichen mit dem nagenden Hungergefühl war die Langeweile trotzdem schlimmer und so fing ich damit an, die Seite meines Sargs Splitter für Splitter, Faser für Faser abzutragen. Die Arbeit war scheußlich eintönig, aber eine gute Vorbereitung für den Fall, dass weder Doktor Iorga, noch meine Gefährten mich hier finden würden und ich auf eigene Faust aus meinem Gefängnis ausbrechen musste. Sonst würde mein Sarg hinterher zu ... naja, meinem Sarg werden.


Bis zum Abend gelang es mir nicht, das dicke Holz vollständig zu durchdringen. Ich war kurz davor, für den Tag einfach aufzugeben und mich am Schlaf zu versuchen, da hörte ich lauter werdende Stimmen.


"Ihr werdet schon sehen, sie ist ein Prachtexemplar. Fast völlig unbeschädigt, bis auf eine kleine Wunde." Diese erste Stimme, ein von starkem Tabak und hochprozentigem Alkohol geformter Bass, gehörte zu niemandem, den ich kannte. Er musste der Zwischenhändler sein.


Die Krähenzunge hingegen erkannte ich sofort. "Ich suche eine bestimmte Sylvari. Wenn sie es ist, mache ich Euch reich!" Ich durchschaute seine List sofort. Schließlich war weithin bekannt, dass er kaum Geld besaß.


"Sie ist gleich hier", ließ der Händler seinen potenziellen Kunden wissen und kam dabei näher und näher zu mir. "Direkt hinter diesem Sarg. Ganz frisch, vor ein paar Tagen erst reingekommen."


"Das kann nicht sein", widersprach der andere sofort. "Sie müsste schon deutlich länger hier sein, etwa ..."


Wie erwartet wurde die Blockade vor meiner Tür aufgehoben und ich spannte mich an. Kaum hörte ich den anderen Sarg auf den Boden fallen, da stieß ich die Tür vor mir mit aller Kraft auf und schoss mit anklagend ausgestrecktem Arm aus meinem Gefängnis der letzten zwei Wochen.


"DU! Du hast mich umgebracht!"


Der Mensch vor mir hatte runzlige, wettergegerbte und sonnengebräunte Haut, stumpfe, graue Strähnen in Haar und Bart und müde, jetzt aber in Todesangst aufgerissene, blaue Augen. Als ich aus dem Sarg platzte und ihn anschrie, fiel er einfach nach hinten um - doch ich hatte keine Ahnung, wer er war.


Die Krähe stand einige Meter im Halbdunkel hinter ihm und starrte mich fassungslos an. "Du?", fragte er ungläubig.


"Wa-wa-wa-wa ...", sagte der Leichenhändler. Er war völlig verwirrt. Trotzdem war meine Vorstellung nicht genug gewesen, ihn auch das letzte bisschen Kontrolle über sich zu kosten. Ich würde wohl oder übel an der Intensität meiner Darbietung arbeiten müssen.


"Bedauerliches Missverständnis", versicherte ich ihm und ließ den Blick hektisch schweifen. "Kleine Verwechslung." Wo war mein Höfling?


"Das ist unmöglich!", kreischte Pheynea hinter mir. "Du bist tot!" Sie hatte auf einem Vorsprung Position bezogen.


Ich wirbelte auf der Stelle herum und streckte meinen Arm und Zeigefinger in ihre Richtung aus. Meine Chance, diese Situation noch zu retten. "Und DU! Du hast mich umgebracht!" Punktlandung!


Verbeugung. Vorhang. Applaus!

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