Hochpunkt

Als Nillu an das Kolleg der Statik zurückkehrte, um ihr Projekt zu präsentieren, da war sie nicht mehr in modische Kleider gehüllt. Stattdessen steckte sie in einem Metallpanzer, der wie ein halber Golem aussah und auch einer war. Zusammen mit ihrer Mutter und einem befreundeten Golemanten hatte sie das Stütz-Skelett zu einem Exoanzug erweitert, um nicht nur ihre zerbrechlichen Knochen zu schützten, sondern auch die Kraft ihre schwächlichen Muskeln durch Golem-Aktuatoren zu verstärken. Selbstverständlich verdrehten ihre Kommilitonen die Augen, selbstverständlich wurde hinter ihrem Rücken getuschelt und gelacht, doch zum ersten Mal seit langer Zeit machte es der jungen Golempilotin nichts mehr aus. Sollte Flakka doch gewalttätig werden - wenn sie nicht dazu überging, echte Waffen zu verwenden, würde sie an der Panzerung scheitern.


Nach erfolgreicher Verteidigung ihres Projekts blieb Nillu noch etwas mehr als ein ganzer Monat bis zum Seifenblasenturnier und somit mehr als genug Zeit, ihre Vorbereitungen zu treffen. Doch so leicht gab sich Flakka nicht geschlagen. Mit allen Mitteln versuchte sie, ihrer Rivalin das Leben zu einem nicht enden wollenden Albtraum zu machen. So mischte sie Abführmittel in Nillus Essen, manipulierte das Schloss ihres Zimmers, dass sie auf dem Wohnheimflur schlafen musste und malte den Exoanzug in den Farben der Inquestur an. Dabei legte sie eine solche Hartnäckigkeit an den Tag, dass die tapfere Fassade der Golempilotin langsam zu bröckeln begann. Aber zu den ihr so vertrauten Gefühlen von Scham und Hilflosigkeit mischte sich ein neues: Wut. Und als die Professorentochter und ihr Trio während einer Vorlesung mit einem improvisierten Störer versuchten, ihren Golemanzug lahm zu legen, um sie darin einzusperren, da verlor sie die Geduld und handelte sich durch die daraus resultierende Störung des Unterrichts die erste Verwarnung ihres Lebens ein.


Von diesem Zeitpunkt an legte die angehende Golempilotin besonderes Augenmerk darauf, sich dem Quartett gegenüber nichts zu Schulden kommen zu lassen. Den Nachwuchs des Professors für gerade ihre wichtigste Veranstaltung zu verletzen, würde gewiss nicht bloß ein Bestehen endgültig unmöglich machen, sondern gewiss auch eine sofortige Exmatrikulation nach sich ziehen. Sich kalkuliert und nicht aus einer Mischung von Angst und Scham von ihren Kommilitonen fern zu halten löste ein wohliges Gefühl in ihr aus. Zwar verlor sie Rang um Rang, bis sie auf der Liste von Übungsleiterin Kemmo ganz unten angelangt war, doch sie vertraute auf den Plan, den sie zusammen mit ihrer Mutter gefasst hatte. Sie würde es ihnen allen zeigen!


Als der Tag des Turniers kam, war Nillu lange vor allen anderen bereits auf den Beinen. Während die Professoren und Studenten noch in Vorbereitung auf den aufregenden Tag schliefen, vergrub sie eine Kiste nach der anderen in der Arena. Als ihre Kommilitonen um die besten Golems stritten, reservierte sie genug Kampfplätze in Folge, um sich ohne Pause bis an die Spitze kämpfen zu können. Und dann stand sie auch schon ihrem ersten Gegner gegenüber.


Kurpp war kein sonderlich guter Pilot, deshalb hatte er sich - wissentlich das einzig die Null ihn herausfordern würde - den defensivsten Golemanzug gesichert, den er finden konnte. Aufstiegschancen rechnete er sich damit keine aus, aber ihm war ohnehin wichtiger, einen Abstieg zu verhindern. Als er aber sah, gegen was er antreten würde, tat er seinen Unglauben über die Lautsprecher seines Gefährts kund.


"Das kann doch nicht dein Ernst sein!", protestierte er lautstark. "Das ist ein Lastenanzug!"


Nillus Stimme hatte einen deutlichen schnippischen Unterton, als sie ihm antwortete. "Ich finde ihn auch übertrieben, Kurpp. Für dich hätte mein alltäglicher Exoanzug ausgereicht, aber das Komitee hat ihn nicht zugelassen."


Ein einzelnes, amüsiertes Lachen klang aus den Reihen der Zuschauer, dann stimmten rasch weitere ein. So schlagfertig hatte man die junge Pilotin nie erlebt. Auch Nillu selbst konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihr Gegner war gerade sicherlich rot bis in die Ohrenspitzen. Bevor er eine Möglichkeit fand, die Blamage zu verdauen, leitete sie die zweite Phase ihres Plans ein und grub eine Golemklaue an genau der Stelle in den Boden, an der sie die erste Kiste wusste.


"Was soll das werden, Null?", versuchte Kurpp sein Gleichgewicht wieder zu finden. "Willst du mich mit Erde bewerfen? Ich muss dich wissen lassen, dass das gegen ..."


Er wähnte die Lacher bereits auf seiner Seite, doch als er sah, wie Nillu ein schmutziges Glyphen-Großschwert aus dem Erdreich zog und einschaltete, verstummte er. Die beachtliche Panzerung seines Golemanzugs mochte ihn vor den meisten leichten Waffen schützen und seine eingebauten Schilde ließen die Energie der erlaubten Geschütze harmlos verpuffen, dieser schweren Klinge aber würde er nicht lange standhalten können. Das war einfach ...


"Unfair!", protestierte der plötzlich benachteiligte Pilot und wandte sich den Schiedsrichtern zu. "Stoppt den Kampf! Sie betrügt!"


"Nicht im Geringsten!", rief jemand aus dem Publikum. "Alles, was sich in der Arena befindet, darf verwendet werden!"


Professor Flett presste die Lippen aufeinander und tauschte einen Blick mit dem Vertreter der Friedensstifter aus. "So ist es", bestätigte er. "Möglicherweise müssen wir die Regeln nach dieser kreativen Demonstration für die Folgejahre anpassen, doch aktuell bewegt sich Pilotin Nillu vollständig im Rahmen."


Kurpp setzte zu einem weiteren Protest an, brachte jedoch kaum ein Wort heraus, bevor Nillus Waffe seinen Golem in den Rücken traf.


In den nachfolgenden Kämpfen präsentierte Nillu eine neue Waffe nach der anderen. Gegen einen mit Energiekanonen ausgestatteten Golemanzug verwendete sie einen tragbaren Schild - der auch später gegen einen schnellen Kampfgolem mit Energieklingen zum Einsatz kam - und ein kürzeres Schwert. Einen beweglichen Golem mit mächtigen Kraftfäusten fing sie mit einem magnetischen Netz, das ihn rasch bewegungsunfähig machte und schaltete ihn dann mit einer tragbaren Energiekanone aus. Gegen einen mit Raketen ausgerüsteten Gegner verwendete sie einen einmalig nutzbaren Energieschildgenerator, nur um ihn dann mit einer eigenen Rakete zu bezwingen. War der Gegenüber schnell, versuchte sie ihn in seinen Bewegungen einzuschränken, war er hingegen behäbig, setzte sie darauf, ihn auszumanövrieren. Gegen leichte oder Distanzwaffen verwendete sie defensive Schilde, gegen schwere Nahkampfwaffen hingegen nutzte sie selbst Raketen, Kanonen oder ihre Lanze. Da sich ihre Kommilitonen auf die bereit gestellten Golems und ihre eingebauten Waffensysteme verließen, gab es keinen einzigen anderen Golemanzug, dessen Hände die nötige feinmechanische Präzision aufwiesen, um ihre Waffen zu verwenden und niemanden, der sich wirklich auf einen Kampf mit ihr hatte vorbereiten können.


So gelang es ihr, Gegner um Gegner mit ihrem unbewaffneten und nicht für den Kampf gedachten Gefährt zu bezwingen. Und während zu beginn nur wenige Stimmen auf ihrer Seite standen, jubelte ihr die Menge bald zu, feuerte sie an und freute sich über jeden ihrer Siege. Ja, so schlagfertig hatten sie Null noch nie erlebt.