Ursprung

Unter den anfeuernden Rufen der Menge setzte Nillu ihren Aufstieg fort und lange sah es aus, als könne niemand sie aufhalten. Selbst Teesi und Hikka - beide Teil von Flakkas Quartett - schafften es nicht, ihren Siegeszug zu stoppen. Dann aber gab Xatt sich kampflos geschlagen und überließ Carri seinen Golem. Nillu ahnte gleich, dass die Grünhaarige etwas im Schilde führte, konnte aber nicht erkennen, worauf sie abzielte. Xatts Golemanzug war mit schweren Flammenwerfern und Raketen, sowie einem Generator für eine Schildkuppel ausgestattet und zählte nicht zu den Standardmodellen. Jedoch war die Panzerung schwer und der Golem zu träge, um mit ihren schnelleren Manövern mithalten zu können. Was also war ihr Plan?

Auf eine Antwort musste sie nicht lang warten. Kaum war die Arena freigegeben, feuerte Carri jede Waffe ab, die ihr zur Verfügung stand. Gerade noch rechtzeitig aktivierte Nillu ihre letzte Schildkuppel, doch die Raketen und die Flammen waren nicht auf sie, sondern auf ihre überzähligen Waffen gerichtet. In nur einem einzigen Moment hatte die Grünhaarige sie ihres gesamten, wertvollen Arsenals, ihres grenzenlosen Potenzials beraubt. Alles was ihr blieb, war ein leichtes Glyphenschwert, das sie in der Hand behalten hatte und mit dem sie Flakkas Golem sicher nicht ausschalten konnte.

Und zu allem Überdruss stellte sich Carri nicht einmal zum Kampf, sondern fuhr ihren Golem gut sichtbar herunter und verkündete hämisch: "Ich gebe auf. Die Herausforderin hat gewonnen. Glückwunsch, Null."

Im Laufe des Tages hatte Nillu sich an den Spitznamen zu gewöhnen begonnen. All die Studenten und Gäste, die sie begeistert anfeuerten, ließen sie langsam den Schmerz vergessen, den sie damit verbunden hatte. In einer kurzen Pause hatte sogar jemand ihr ein großes Oval auf den Rücken ihres Golemanzugs gemalt und sie hatte es voller Stolz akzeptiert. Doch jetzt, wo Carri ihn wieder herablassend nutzte, kehrten die negativen Gefühle mit einem Schlag zurück. Die Hilflosigkeit des Moments drohte Nillu zu verschlucken. Die Herausforderung an Flakka war bereits ausgesprochen, die Arena reserviert, doch der Kampf so gut wie verloren. Der Euphorie ihrer Siegesserie beraubt machte sich nun auch die Erschöpfung der nächtlichen Arbeit und der andauernden, höchste Konzentration fordernden Duelle bemerkbar. Und plötzlich war sie wieder den Tränen nahe. Was sollte sie nun tun? Aufgeben und sich blamieren? Kämpfen und verlieren? Was immer sie auch tat, sie würde unweigerlich auf den letzten Platz der Rangliste zurückfallen.

"Na, immer noch so überheblich, Null?", riss Flakkas Stimme sie aus ihren Gedanken. Die blonde Professorentochter hatte die Arena bereits betreten und ihr gegenüber Aufstellung bezogen. "Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir noch eine Lektion zu erteilen."

Kaum hatte sie ihren Satz zu Ende gesprochen, aktivierte Flakka die Energiefäuste ihres Golems und setzte sich in Bewegung. Um nicht den Nachwuchs eines der Juroren disqualifizieren zu müssen, gab der Schiedsrichter die Arena übereilt frei und der überrumpelten Nillu blieb kaum Zeit, die Kontrollen zu packen, da war die Gegnerin schon bei ihr. Taumelnd und um ihr Gleichgewicht kämpfend wich sie dem Angriff aus und nur den langen Hebearmen war es zu verdanken, dass ihr Golemanzug nicht der länge nach hinfiel. Doch Flakka hatte ihre Maschine schon gewendet und führte bereits den nächsten Angriff gegen sie. Ihr Lachen, das dabei aus den Lautsprechern drang, zeigte deutlich, wie sehr sie diesen Moment genoss und je mehr sie sich in den Kampf hinein steigerte, desto näher kam sie gleichzeitig ihrem Sieg.

Die Lage schien aussichtslos. Weder mit ihrem Schwert, noch mit den bloßen Golemfäusten konnte Nillu etwas gegen die Panzerung des gleichzeitig auch besser bewaffneten Golems ausrichten. Wäre sie nicht ein klein wenig schneller gewesen, hätte die Blonde längst gesiegt. So entging sie ein ums andere Mal ihrem Schicksal, schaffte es aber auch nicht, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Wenn ihr nicht bald der rettende Einfall kam, war dieser Kampf verloren. Vielleicht würde der Schiedsrichter ihn sogar abbrechen. Soweit durfte es nicht kommen!

In den Reihen der Zuschauer hatten sich inzwischen zwei unterschiedliche Sprechchöre gebildet. Die eine Seite feuerte weiterhin die Aufsteigerin an. Sie hatte sich durch geschickte Planung und hohes Kampfgeschick vom letzten Platz bis auf den zweiten hochgekämpft - gewiss würde sie auch diesen letzten Gegner bezwingen. Die andere Partei war auf der Seite der Titelverteidigerin, die sich über das ganze Semester ihren ersten Platz erkämpft hatte und ihn jetzt gewiss nicht kampflos hergeben würde. Je länger der Kampf dauerte, desto leiser wurden die Anhänger der Herausfoderin. Flakkas Unterstützer wurden lauter und eindringlicher, je näher ihr Sieg zu rücken schien. Da weckte plötzlich ein Zwischenruf Nillus Aufmerksamkeit. Jemand hatte Flakka ein "Los, pack sie dir!" zugerufen und das brachte sie auf eine Idee. DIE Idee!

Mit einem gespielten Verlust des Gleichgewichts verleitete sie die Gegnerin zu einem heftigen Angriff, dem sie dann jedoch in letzter Sekunde auswich. Den Schwung des schwereren Golems ausnutzend manövrierte sich Nillu in den Rücken der anderen und packte sie mit beiden Armen unter den Schultern. Dann hob sie Flakka einfach hoch und hielt sie in der Schwebe. Mit einem wütenden Aufschrei trat und schlug die Tochter von Professor Flett nach ihrer Feindin, doch die langen Arme des Lastenanzugs hatten sie knapp außerhalb der Reichweite platziert. In der Null-Fraktion der Zuschauer brach der Jubel aus, doch der Kampf war noch nicht gewonnen.

Als Flakka bemerkte, dass keine Möglichkeit bestand, den anderen Golem zu treffen, wurde sie still. Gefährlich leise, aber für Nillu gut verständlich sagte sie: "Lass mich runter, Null! Sonst erzähle ich allen hier ALLES über dich."

Nillu erstarrte. Doch dann atmete sie tief durch und reckte trotzig das Kinn vor. "Tue es doch! Damit verrätst du ihnen aber mehr über dich als über mich. Ich halte dich da oben fest, bis du dir in die Hose machst. Weißt du was? Ich habe heute Nacht nicht viel geschlafen. Ich glaube, ich mache ein Nickerchen. Lass mich wissen, wenn du bereit bist, aufzugeben!"

Flakka schwieg. Derjenige Teil des Publikums, der den Austausch hatte hören können, lachte laut auf und der Rest stimmte schnell ein.

Nach beinahe einer Minute richtete die Blonde erneut das Wort an ihre Gegnerin. "Das kannst du nicht machen", behauptete sie, doch ihre Stimme verriet ihre Unsicherheit.

Jetzt war es an Nillu, laut zu lachen. "Die Kämpfe haben seit der Klage von Frojj - Nebenkläger: Die Inquestur - keine Zeitbegrenzung mehr", ließ sie ihre Gegnerin wissen. "Wir kämpfen, bis einer von uns siegt oder jemand aufgibt."

Schweigen breitete sich in der Arena aus, als die Menge gespannt auf Flakkas nächste Erwiderung wartete. Leise, trotz der Lautsprecher kaum hörbar und mit heiserer Stimme sagte die Professorentochter: "I-ich ... gebe auf." Und was sie danach sagte, hörte vermutlich einzig Nillu, denn der losbrechende Jubel erstickte jedes andere Geräusch. Die Siegerin schluckte schwer.

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Zwei Tage später stand sie im Büro von Professor Flett. Der Dozent hatte sie dorthin zitiert, um mit ihr über das Dilemma seiner Tochter zu sprechen. Er legte ihr ruhig dar, was Flakka bereits angedeutet hatte: Für ihre Zukunft reichte die Empfehlung ihres Vaters nicht aus, sie musste ihr Talent über jeden Zweifel erhaben demonstrieren. Nillus Aufstieg vom letzten auf den ersten Platz hatte nicht nur das Wunderkind Flakka auf den zweiten Platz verbannt, sondern die Rangfolge dieses Jahrgangs allgemein in Frage gestellt. Eine gemeinsame Lösung musste her - und das, bevor die Inquestur noch eine Möglichkeit fand, den Skandal auszuschlachten und nicht nur dem Ruf von Professor Fletts Ausbildung, seiner Tochter und sogar des Kollegs zu schaden.

Nillu musste grinsen. Sie hatte ihre Lösung bereits gefunden und sich ihre Worte sorgsam zurecht gelegt. "Ich habe nicht Platz Eins belegt, Professor", erklärte sie. "Der gehört Flakka. Ich bin auf Platz Null gelandet."