Vor dem Spiegel

Ich sitze am Spiegel und sehe mich an, mein verweintes, leicht aufgequollenes Ich. Verloren streicht meine Bürste über mein blondes, nein, rotes Haar, denn mit jedem Strich fällt der Zauber gewollt von mir ab und das Blond fließt fleckenlos aus meiner Erscheinung ins Nichts. Mein Blick sinkt auf die letzten blonden Spitzen, fällt von diesen an meine noch getragene Kleidung, die mich einengt und abschnürt, obwohl sie doch auf mein Maß geschneidert worden ist. Irgendwann vor Jahren habe ich angefangen auf meine gewollte Haarfarbe, die Farben meiner Kleidung anzupassen. Nur die Arbeit ist die Ausnahme, weil wir beide uns einigten. Bin ich also rothaarige, trage ich dunkles Rot, Braun, Schwarz; habe ich blaues Haar war es Weiß und Blau in allen Tönen und bin ich blond trage ich ein helles Rosa, ein frisches Gelb, ein schillerndes Gold so falsch wie meine Haarfarbe es ist und doch zierend.

- Unpassend, taktlos -


Ein tiefer Atemzug will mir nicht gelingen, die Bürste abgelegt bekommt ein Übergewicht an der Kante des Schminktischs und fällt klackernd, tanzend vom Aufschlag zu Boden. Es bricht das Holz an einer Ecke, das Stück löst sich vom Jahrelangen Verbund und fällt in andere Richtung zum schweren Rest. Von unten höre ich ihn rufen, sorgenvoll im Stimmklang, aber auch noch angespannt vom Abend. „Es ist alles gut.“ er weiß, dass ich lüge und er weiß, dass ich mich selbst belüge. Ein Kopfschütteln, ein längerer Blick auf die gefallene Habe. Ich möchte etwas werfen, etwas zerstören, etwas von mir reißen und doch sind die nächsten Handgriffe langsam, sorgsam und wenig hektisch. Ich nehme mir das Federn besetzte Oberteil, lege es zur Seite und streiche eine Feder glatt, die in seinem Arm aufgefächtert worden war. Dann die Brosche, der Gürtel und der Rest des Rocks wird um die Arme gefaltet und abgelegt. Meine Schuhe stehen an der Tür, nebeneinander, verlassen und doch nicht einfach von den Füßen geschnippt. Zuletzt hebe ich die Bürste und lege sie an ihren Platz, dem ehemalig ungewollten Sprungbrett der Kante fern.

- Geirrt, verloren. -


Hier erinnere ich mich an die Zeit, die Zeit vor allem jetzt, vor der neuen Aufgabe und vor dem neuen Heim. Sie kamen und gingen, ich kam und ging noch öfter. Keiner war ich wichtig genug um nicht zu vergessen, um zu warten und unschuldig bin ich nicht daran. So wird es wieder sein, Schmerz ist überwunden und Liebe eingekehrt, vielleicht erinnere ich mit meinem Sein an Zeiten, die vergessen werden sollen? Natürlich, wie konnte ich so dumm sein, so muss es sein. Ich habe meine Aufgabe erfüllt, meinen kurzen Augenblick erlebt und trotz Tränen, viel Lachen und Freude gefunden. Zeiten vergehen, Momente verlieren sich, Menschen vergessen. Ein Seil mit zwei Enden muss von beiden Seiten gezogen werden um im Gleichgewicht zu bleiben. Habe ich losgelassen? Hat sie es? Tag um Tag sind vergangen, zerronnen zwischen beider Hände. Ich werde nicht fragen, ich werde nicht zeigen, was mir im Inneren durch den Sinn geht und ich werde akzeptieren, nicht vergessen, aber auch nicht halten.

- Lächeln, weinen -


Ein Blick in den Spiegel, ich lächle, ich werde immer lächeln, weil es das ist was ich kann und weine nur mehr Tränen in der Seele und ein Tropfen Blut verliert sich vom Herzen, so rot wie mein Haar nun ist.

Kommentare 5

  • Danke der Tags wusste ich um wen es geht. :D Wusste ich gar nicht dass die das kann. Ich stelle mir grade vor wie unsere heutige Kosmetikindustrie und Youtube-Schminktutorials aussehen würden, wenn es Magie gäbe.


    Davon ab ist das gelungen schön traurig.

  • Nochmal gelesen und für schön passend zum Charakter empfunden. Danke für das Spiel damit und die Geschichte. <3

  • Eine sehr traurige Geschichte. Allerdings gefällt es mir, dass ich mir die Situation so lebendig vorstellen konnte. :) Von den Schühchen bis hin zu der Feder. Sehr greifbar geschrieben.

    • Dankeschön für deine Worte, der Charakter war auch ziemlich traurig in der Situation. <3