Ein Bourbon für Thomas Wilbour


Die Sonne schien schon in die Fenster des Büros als er erwachte. Ein zucken ging durch die Lider und die Augen öffneten sich langsam, wollten den Blick nur langsam freigeben. Ein Gefühl von Spannung entstand. Wie ein hundertjähriger fühlte er sich. Die Glieder ein bisschen steif. Er schien erwacht zu sein wie er eingeschlafen war, und sich die ganze Nacht nicht wirklich bewegt zu haben. Das leere Glas vor ihm am Tisch, war umgefallen und an einen Beutel gerollt welchen er mitgebracht hatte. Der Versuch einer Bewegung ließ einen Blitz durch seinen Leib zucken. Am Arm war es besonders schlimm. Erinnerung umspülte ihn zeigte ihm die Bilder der Treppe.



Beim nach unten hasten hatte er seinen Fuß zu weit vorn aufgesetzt, der daraufhin nach unten klappte, und ihn der Schwerkraft und seinem Schwung überließ. Mit hartem Schritt setzte er auf der nächsten Stufe auf den Zehen auf und geriet ins straucheln. Darauf war er mit dem Oberkörper nach vorne gekippt und hatte sich mit der Hand abfangen wollen, als sein Leib auf die Stufen zu raste.



Der Blick ging zur rechten Hand als sich Finger bewegten und ein weiterer Schmerzblitz durch den Arm in die Schulter ging. Die Finger waren geschwollen und an zwei Stellen hatten sich deutliche blaue Flecken gebildet. Als sich der Mann nach oben drückte, hustete er unterdrückt und seine Brust brannte ihm.



Im Fallen hatte er das schlimmste verhindert und war mit dem Oberkörper statt dem Kopf - zumindest zunächst - auf die Kante geschlagen. Ein hässliches Geräusch war der Lohn und das Gefühl das ihm die Luft weg blieb. Schmerzhaft amtete er aus, während er sich noch immer weiter abwärts bewegte.



Mühsam kam sein Leib nach oben und hustet ein weiteres Mal als er die Zähne zusammen biss und sich erhob. Der Spiegel an der Wand offenbarte blaue Flecken die sich auch über das Gesicht zogen. Die Wangen waren geschwollen und der Kiefer, den er nun probierend kreisen ließ, schickte protestierenden Schmerz durch seine Nerven. Langsam betastete er sein Gesicht, wenigstens schien nichts gebrochen zu sein.



Wie viele Male er mit dem Kopf auf die nachfolgenden Stufen geknallt war hatte er im Fallen nicht zählen können. Jede weitere versetzte ihm einen Schlag der es ihm unmöglich machte den Kopf zu heben bevor er das untere Ende erreichte und liegen blieb. Ein zwei Augenblicke mochte er liegen geblieben sein, bevor der Wille ihn Zwang sich zu erheben. Der rechte Arm brannte ihm wie von Feuer, und auch das Atmen fiel schwer. Im Mund stellte sich der metallische Geschmack von Blut ein. Er schluckte hinab.



Langsam schob sich der Mund auf und die Zunge hervor. Sie war etwas dick, aber intakt. Wenigstens etwas. Auf dem Weg zum Schreibtisch humpelte er. Sein linkes Bein schmerzte, doch er konnte gehen. Mit der linken öffnete er die Hose und ließ sie hinabrutschen. Ein dicker, violetter Fleck rutschte knapp oberhalb des Knies in seinen Blick.



Kurz nach dem der Oberkörper aufgeschlagen war, kam das Knie zur Landung im Knick zwischen zwei Stufen. Der Oberschenkel schlug hart auf der Kante auf und entzündete ein weiteres Feuer in ihm. Schmerz, doch mehr geschah nicht, den Göttern sei Dank.



Mit der linken entschlüpfte er zunächst umständlich der Weste, dann dem Hemd. Ein unterdrückter Schrei füllte den Raum als er den rechten Arm hervor zog. Er musste irgendwas tun. Die linke zog die oberen Schubladen auf. Nach einiger Suche fand er ein Lineal. Sein Blick fiel ebenso auf den langen Brieföffner am Tisch. Langsam setzte er sich in den Stuhl und legte sich beides auf dem Tisch zurecht. Mit der Linken fuhr er zur untersten Schublade und zog sie auf. Er hatte es schon einmal so getan, aber damals war mehr zur Hand gewesen als Lineal und Brieföffner. Eine Kordel Paketband wurde hervorgeholt und vier lange Streifen davon abgeschnitten und parallel auf der Tischplatte abgelegt. Das Lineal darüber, quer zur Schnur.


Er holte Luft und legte den rechten Arm auf das Lineal und den Brieföffner obenauf. Scharf war dieser glücklicherweise nicht. Er kam sich etwas lächerlich vor, als er das dünne Stück Metall betrachtete, aber es schien besser zu sein als nichts. Die Linke legte die oberen Enden der Schnüre über seinen Arm und klappte die unteren von unten nach oben. Mit den Fingerspitzen verwand er sie und zog sie mit einer Hand und den Zähnen zu. Übelkeit stieg in ihm auf, zusammen mit dem Schmerz. In der Retrospektive erschien es damals weniger schlimm. Die drei anderen Kordeln verlangten ihm alle Disziplin ab, die er aufbringen konnte. Nach einer Viertelstunde saß er schwer atmend und schnaufend im Sessel und das Zimmer drehte sich um ihn. Als es nach und nach anhielt öffnete sich die Augen wieder.



Schwerfällig und mit einem Hinken erhob er sich wieder und schritt zum Beutel auf der Couch. Alle Utensilien wurden auf dem Tisch ausgeleert. Kleine Schächtelchen, Tuben und Tiegel rollten über den Tisch. Ein kleiner Tischspiegel war ebenso dabei. Die Zähne mahlten aufeinander als er vor dem Tisch auf die Knie ging. Der Oberschenkel spannte, doch konnte er sich langsam hinknien. Die Finger der freien Hand zogen etwas Graues aus der Tasche und brachten es auf seinen Kopf. Eine Beule prangte an der Stirn. Der Sturz hatte ihn ganz schön mitgenommen.


Als er sich die Haare glatt strich, und die vorderen in die Stirn zog, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass man die Beule nicht sehen konnte. Die violette Stelle am Aug allerdings schon, und das mehr als deutlich. Auch die aufgeplatzte Lippe stach hervor. Aber er wusste wie er sie kaschieren konnte. Mit langsamen und schlurfenden Schritten war er zum Tisch zurück gekehrt. Eine Flasche war sein Ziel. Er griff sie und hielt sie in der Faust, während er mit einiger Anspannung den Deckel mit den Fingern abdrehte.


Den Inhalt gab er auf ein Netz, das angehoben wurde und auf sein Gesicht gebracht. Er presste es fest und kämmte den Bart danach so, dass man es nicht sehen konnte. Ein neuerlicher Kontrollblick in den Spiegel stellte ihn zufrieden. Von der Lippe war nichts mehr zu sehen. Mit Schminke wurden die blauen und violetten Flecken im Gesicht übertüncht. Als er zuletzt hineinsah, schien er ein Stadium erreicht zu haben, in welchem er sich unter Menschen traute.



Alt war er. Das graue Haar fiel ihm in Strähnen ins Gesicht. Nun musste er irgendwie in seine Kleider kommen. Mehr noch, er musste es irgendwie schaffen, die Bandagen anzulegen. Er nahm eine dicke Stoffrolle hervor und presste den Anfang mit seinem Rücken gegen die Wand. Mit der linken wandte er den Stoff um den Leib und schob sie hinter dem Rücken durch. Als die erste Schlinge gelegt war, zog er zu, und sich somit etwas aufrechter. Sofort blieb ihm die Luft weg. Mit jener Technik wurde der Verband weiter um den Leib gelegt, und mit jeder neuen aufsteigenden Bahn, gewann er zwar etwas Haltung, doch auch wurde er kurzatmiger. Ständiger Schmerz brandete durch seinen Leib. Wieder dauerte es eine Weile bis das Unterfangen beendet war.



Die Hose zog er im sitzen an, und es ging dabei mehr schlecht als recht. Der steife Verband zwängte seinen Oberkörper ein und behinderte ihn noch mehr. Als er den rechten Arm in das Hemd wandte, unterdrückte er einen mehrfarbigen Fluch und auf ein Aufschrei. Luft holen. Er musste Luftholen bevor er weitermachte. Er nahm noch einmal alles zusammen und schob den Arm danach in die Jacke. Bei jeder Berührung der Finger schmerzte es ihn, doch er zwängte ihn irgendwie in den engen Ärmel und als er geschafft hatte und wieder Atem hatte, schlüpfte er mit dem linken Arm erst in das Hemd, und dann in die Jacke. Es schien ewig zu dauern die Knöpfe zu schließen. Seine Kleider wirkten zerschlissen, wenngleich sie sauber waren und ihn vor der beginnenden Kühle des Herbstes schützen würden.


Hinkend ging die Schritte zum Schreibtisch und dort nahm er den Brief an sich, welchen Graham Turpin dort nur Stunden zuvor abgelegt hatte. Er besah ihn und schob ihn dann mit einer Hand in die Brusttasche der Jacke. Ein Griff ging zum Zylinder im Beutel. Mit ihm auf dem Kopf, mit den alten Kleidern, mit dem krummen Gang, den er sein eigen nannte, wirkte er wie ein Bild des Elends. Es musste so gehen. Zuvor war es um ein vielfaches schlimmer.


Er lauschte an der Tür nach draußen. Keine Schritte; Stille. Einige Augenblicke später zog seine Hand die Tür auf und die Füße führten ihn langsam und humpelnd in den Flur und die Treppe hinab. Dieses Mal sehr langsam.





Es wusste nicht wie lange er gebraucht hatte um das Haus zu erreichen, das sein Ziel war. Den rechten Arm hielt er hinter dem Rücken in einer Position, die möglichst Schmerzfrei war. Wenigstens das war gut an seiner krummen Haltung. Er konnte den Arm halb auf den Rücken legen. Ein einatmen ging durch den alten Leib als die Finger der anderen Hand anklopften. Die junge Frau, welche ihm die Tür öffnete, blickte ihn eine Weile an. „Ehre der Krone, was kann ich für Euch tun?“



„Ehre der Krone. Entschuldigt das ich störe, mein Name ist Thomas Wilbour, und ich bringe eine Nachricht für die Dame dieses Hauses.“ Antwortete er. Seine Stimme war heißer, sie kratzte regelrecht. Er würde es durchstehen.

Kommentare 3

  • Er ist verbissen, das muss man ihm lassen. Ich glaube er ist keiner der gerne Mitleid, bekommt, ich hab trotzdem welches. :>

    • Er hat allen Grund diese Verbissenheit zu zeigen. Es steht mehr auf dem Spiel als die Abgabe eines Briefes. :)

  • Abermals gelesen. Erneut jede einzelne Zeile zwei mal und wieder für mich festgestellt: Die Vorgeschichte zum Erlebten zu lesen, wertet das bereits Erspielte nochmals auf. Es macht es nur noch spannender.


    Deine vermeintlichen Schachtelsätze, die ich nicht als solche empfinde - was daran liegen könnte, dass ich ebenfalls zu diesem Stilmittel greife, machen es mir leicht in die von dir liebevoll gestalteten Bilder zu finden. Dem Charakter nachzufühlen und mich in seine Lage soweit hinein zu versetzen, dass ich mitfiebere. Das Fieber steigt im Wissen daran, was nach dem Öffnen der Tür geschah - wie es sich weiterentwickelte.


    Ich danke dir für diese Geschichte. Für soviele RP Stunden. Für die Aussprache und das Wiedersehen. ♥